Sehr geehrter Herr Kardinal,
wie sieht katholische Kirche im 21. Jahrhundert aus? Lebendig, vielfältig, offen, inspirierend, sozial? Das Erzbistum Köln gibt unter Ihrer Leitung ein anderes Bild ab. Dies zeigt sich auch im Umgang mit der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Köln.
Es ist Sommer 2018. Die KHG feiert 50-Jähriges Jubiläum. Ein multiprofessionelles Team, dem ich als Referent für Musik und Liturgie angehöre, ist sich einig: Als Kirche für die Studierenden gilt es, kritisch zu sein, die Türen aufzumachen und als Ermöglicher aufzutreten. Es hat sich bei Studierenden bereits herumgesprochen, dass die KHG ein Ort geistlicher und künstlerischer Inspiration und Strahlkraft ist. Eine Jubiläumswoche mit Elektronischer Musik in der Kirche, ein Open-Air mit Bands und Chören und ein Semesterabschlussgottesdienst unter Mitwirkung von Musik- und Tanzstudierenden bringt dies anschaulich zum Ausdruck.
Doch die Sache hat einen Haken. Die Diskrepanz der Lebenswirklichkeit von Studierenden zur katholischen Lehre muss durch die Mitarbeitenden ausgeglichen werden: »Ja, wir sind katholische Kirche, aber…« Durch das kirchliche Arbeitsrecht können Sie als Dienstgeber verlangen, dass sich alle Mitarbeitenden an die kirchliche Lehre halten und diese nach außen vertreten. Und ich sage Ihnen einmal ganz deutlich: Kirche lebt heutzutage hauptsächlich von Menschen, die sich mit viel Energie jeden Tag dem widersetzen, was sie in ihrem Arbeitsvertrag unterschrieben haben. Die meisten von ihnen tun dies unter vorgehaltener Hand, um ihren Arbeitsplatz nicht zu gefährden.
Dieser Doppelmoral wollten wir als KHG-Team ein Ende setzen. Um Studierenden unsere Haltung transparent zu machen, schrieben wir im Jubiläumsjahr 2018 ein Positionspapier, worin wir uns im Wesentlichen von den unmoralischen, diskriminierenden und menschenverachtenden Teilen der katholischen Lehre abgrenzten – eine Haltung, die in der Gesamtgesellschaft längst selbstverständlich ist. Das Ergebnis anschließender Gespräche mit Bistumsvertreter:innen war stets, dass dieses Positionspapier nicht toleriert werden kann. Man wolle auf junge Leute zugehen und eine offene Kirche sein, aber bitte ohne Positionierung. Die Quadratur des Kreises.
Nun ist es Herbst 2022 und in der KHG Köln arbeitet keine der Personen mehr, die dieses Papier damals unterschrieben haben. Alle gingen mit einer persönlichen Leidensgeschichte und verließen einen Ort, den sie mit viel Einsatz mitgestaltet hatten, hin zu einer Kirche im 21. Jahrhundert. Aus meiner Perspektive ist mit der KHG auch ein Kulturort verloren gegangen, der vielen Ausstellungen, Konzerten und Performances von Kunst- und Musikstudierenden eine Heimat gegeben hat. Ein Ort der Wertschätzung und Offenheit für die Ideen von Kreativschaffenden. Viele der jungen Künstler:innen waren insbesondere von der brutalistischen Kirche Joh. XXIII. fasziniert und fühlten sich ermutigt, ihre individuelle Spiritualität in ihr Schaffen einfließen zu lassen. Das Positionspapier war für diese Menschen eine existenzielle Sicherheit, die eine Betätigung im Raum der Kirche überhaupt erst ermöglicht hat.
Es bleibt zu hoffen, dass sich an anderen Kirchorten Mitarbeitende finden, die ebenfalls den Mut haben, diese Doppelmoral auszuhebeln. Es sollte nicht ihr Problem sein, dass die katholische Kirche ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat und keine echte Offenheit bieten kann. Es sollte Ihr Problem sein, Herr Kardinal, denn als Führungsperson haben Sie die Möglichkeit, Strukturen zu verändern. Aber vielleicht haben Sie aus der Katastrophe um die KHG Köln auch etwas gelernt?
Mit freundlichen Grüßen
Luis Weiß
Luis Weiß ist Musiker und Musikproduzent in Köln. Sein Schaffen ist geprägt von künstlerischen Projekten in Kirchenräumen und der Entwicklung von Innovation in der Kirchenmusik. Als Musikproduzent veröffentlicht er zudem Musikalben zwischen Jazz, Kirchenmusik und elektronischer Musik auf seinem Label Acoustic Motion Concepts.