Olugbenga, die seit einigen Jahren Teil der in Kampala, Uganda operierenden Nyege Nyege-Crew ist, hat während der Pandemie mit Songs wie »Kuka Corona« und »Lockdown Tristesse« ihr Hit-Talent unter Beweis gestellt, im Herbst vergangenen Jahres zeigte sie mit »Viral Wreckage«, das in Kooperation mit Produzenten wie Debmaster, Rey Sapienz and Cris Fontedofunk entstanden ist, dass sie dieses Tempo und die Dringlichkeit locker auf Albumlänge halten kann; ein Fortsetzungsalbum steht kurz bevor. Im Gespräch mit Thomas Venker, der sie auf dem Rewire Festival in Den Haag traf, erzählt Bisola Olugbenga von der großen Rolle, die ihre Mutter und die Kirche für ihre Popkarriere spielten, aber auch vom dem kleinen Teufelchen, das neben einigen weiteren Charakteren in ihr lebt.
In der Schlange I
Es war Albert Einstein, der uns lehrte, dass die Zeit für sich bewegende Systeme langsamer vergeht als für in sich ruhende. In diesem Moment in der Schlange vor dem Paard II in Den Haag fühlt sich das aber keineswegs so an, im Gegenteil, die Zeit scheint geradezu still zu stehen, während ich darauf warte, dass endlich genug Zuschauer:innen den Saal verlassen, in dem Aunty Rayzor – so viel kann man durch die Wand sowie die sich immer wieder ganz kurz öffnende Tür hören – das Publikum zum Ausrasten bringt, so dass ich endlich nachrücken kann.
Rückblende. Ein Tag zuvor.
Ich finde mich, wie am Vorabend abgesprochen, um Punkt 13 Uhr zum Interview im Hotel ein, in dem das Rewire Festival Aunty Rayzor untergebracht hat. Es handelt sich um ein EasyHotel, eine Kette, die offensichtlich zur gleichen Unternehmensgruppe wie die EasyJet Airline gehört, diesen Schluss legen zumindest der verwendete Farbcode und der sehr reduzierte Service markant nahe.
Bisola Olugbenga hatte bei der Gesprächsansetzung um eine möglichst später Uhrzeit gebeten, da sie lange schlafen würde. Und so verwundert es erstmal nicht, dass sie weder in der Lobby wartet noch ans Telefon geht. Die an der Rezeption vorgetragene Bitte, ob man nicht die Künstlerin auf dem Zimmer anrufen könne, wurde verwehrt – nicht aufgrund Unwillens, sondern da es schlichtweg aus Spargründen keine Telefone auf den Zimmern gibt.
Man könne aber sehr gerne für mich hochgehen und schauen, ob sie da sei und sie herunter bitten.
Für einen kurzen Moment zögere ich, erscheint es mir doch ein bisschen übergriffig, die Künstlerin beim Chillen zu stören. Andererseits fürchte ich aber, dass dies die einzige Chancen bleiben wird.
Insofern: Let´s do it!
Zehn Minuten später erscheint eine sichtlich noch nicht ganz wache Bisola Olugbenga aus dem Aufzug. Die Einladung in ein nett aussehendes Äthiopisches Café um die Ecke lehnt sich freundlich mit Hinweis auf ihr Outfit ab – welches ich erst in diesem Moment wahrnehme: sie trägt lediglich Badeschuhe und Jogginghose. Wir setzen uns also für unser trotzdem fast einstündiges Gespräch in die Ecke der semi-einladenden Lobby, die zu diesem Zeitpunkt auch noch gereinigt wird, so dass wir immer mal wieder die Füße lupfen müssen, um dem Wischmob freie Bahn zu gewähren. Aber man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles.
Thomas Venker
Du hast nicht zuviel versprochen: du bist ein echtes Nachtgewächs.
Bisola Olugbenga
Was bin ich?
TV
Du scheinst nachts aktiver zu sein als tagsüber.
BO
Ja, ich schlafe sehr gerne. Ich langweile mich schnell, gerade wenn ich alleine bin, also schlafe ich halt.
TV
Produzierst du deine Musik denn auch hauptsächlich nachts?
BO
Ja. Nachts wird man viel weniger gestört. Dann gibt es nur mich und meine Kopfhörer.
TV
Das heißt, du arbeitest zumeist erstmal alleine an der Musik und suchst erst dann die Zusammenarbeit mit anderen?
BO
Nein, nicht wirklich. Meine Mutter, die selbst Musikerin ist, und auch meine Schwester, eine Rapperin, spielen eine wichtige Rolle. Meine Mutter spielt Keyboard. Sie war es, die meine Schwester und mich dazu gebracht hat, zu Beats und Sounds zu rappen. Meine Schwester verlor irgendwann das Interesse, einfach da bei ihr zuviel im Leben los war, aber ich habe immer weiter gemacht. Wobei meine Schwester zuletzt auch wieder mehr Ehrgeiz zeigte.
TV
Vielleicht da es bei dir so gut läuft?
BO
Das kann gut so sein.
TV
Musik spielte also schon immer eine große Rolle in deiner Familie?
BO
Natürlich. Selbst mein Vater mag Musik sehr. Er hat uns jedoch am Anfang trotzdem nicht unterstützt bei unseren Musikambitionen. Er wollte lieber, dass ich zur Schule gehe – Musik war für ihn nur eine Ablenkung, kein echter Job. Für meine Schwester hat er sich eine Arztkarriere erhofft.
TV
Dein Vater lag da natürlich falsch, Musik ist sehr wohl ein echter Job. Allerdings nicht immer ein gut bezahlter.
BO
Trotzdem ist er mittlerweile stolz auf mich und das, was ich erreicht habe.
TV
Das sollte er auch sein. Was macht er denn beruflich?
BO
Er ist Elektriker.
TV
Eine gute Berufswahl. Elektriker sind immer gefragt.
BO
Absolut.
TV
Ich möchte nochmals auf die Musikbegeisterung deiner Eltern zurück kommen, das …
BO
… ist doch eine natürliche Gegebenheit.
TV
Hmm, das kommt auf das Elternhaus an. Bei uns Zuhause gab es quasi keine Musik. Meine Eltern hatten lediglich ein paar Beatles Platten – und die auch nur als Dekoration. Ich bin also in einem eher unmusikalischen Haushalt aufgewachsen. Würdest du sagen, dass es für Nigeria hingegen typisch ist, dass viel Musik zusammen gehört wird?
BO
Auf jeden Fall! Du musst dir das Land als sehr lebendig vorstellen. Es gibt sehr viele Leute, viele verrückte Leute. Und ja, wir lieben Musik. Aber nicht nur Musik – wir lieben Entertainment. Ohne Musik könnten wir nicht existieren.
In der Schlange II
Ein guter Moment, um in die Schlange vor dem Paard II zurückzukehren. Mittlerweile stehen nur noch vier Personen vor mir, als endlich die Tür wieder aufgeht und drei weitere den Saal verlassen. Durch den Türspalt kann ich erahnen, was mich gleich erwarten wird: ein wild tobender Mob vor der Bühne, alle schreien besessen »Rayzor Rayzor Rayzor«.
Aunty Rayzor selbst kann ich nicht sehen. Die Stimme, die ich höre, und die offensichtlich ihr gehört, klingt allerdings so ganz anders als bei unserem Gespräch. Befürchtete ich im EasyHotel bei aller Freundlichkeit, mit der sie mir begegnete, dass sie jeden Moment wieder einschlafen könnte, so steht sie jetzt hörbar unter Strom.
Vor einigen Jahren durfte ich Iggy Pop bei einem Festival in Montreal erleben. Ein fantastischer Auftritt. In seiner Band damals Mike Watt am Bass sowie Ron und Scott Asheton (von den Stooges) an Gitarre und Schlagzeug. Iggy tobte über die Bühne, nicht zu bremsen Als er aber nach dem letzten Song die Bühne verließ, musste er auf der Seitenrampe gestützt werden. Alle Energie war aus ihm gewichen.
Jetzt, wo ich das als Vergleichsbild in den Raum tippe, fühle ich mich wieder so schlecht wie im EasyHotel. Hätte ich sie nicht doch lieber schlafen lassen sollen anstatt so ur-deutsch auf mein Interview zu bestehen und sie herunterholen zu lassen. Nicht dass das Gespräch schlecht laufen würde bis zu diesem Zeitpunkt, es fühlt sich lediglich an diesem Ort um diese Zeit komplett falsch an – gegen den natürlichen Rhythmus der Künstlerin.
Aber da sich die Vergangenheit nunmal nicht umschreiben lässt (nach heutigen Stand der Dinge), widme ich mich lieber wieder der Wiedergabe der Begebenheiten.
TV
Gibt es denn abseits deiner Mutter musikalische Role Models in deinem Leben? Künstler:innen, die in dir den Wunsch zum selbst Musik machen geweckt haben?
BO
Meine Mutter war immer mein Role Model – sie ist mein Ingwer, meine Königin im Hintergrund. Bis heute schreibt sie auch immer mal wieder Musik für mich. Zum Beispiel für das neue Album, das bald erscheinen wird. Wenn ich mich gestresst fühle, wenn ich Probleme mit Beats oder so habe, dann gehe ich zu meiner Mutter. Sie gibt mir konkrete Textideen, aber generell einfach auch Swag.
TV
Gibt sie dir denn auch Ratschläge, wie du die Songs performen sollst?
BO
Oh ja. Ich erinnere mich gut an einen Auftritt in Nigeria nach dem sie mich für meine Energie gelobt hat – aber anmerkte, ich solle manchmal das Tempo rausnehmen, damit spielen. Sie hilft mir dabei, mein Set so zu arrangieren, dass es spannend wird. Das fängt bei der Songauswahl und der Songreihenfolge an. Meine Mutter hat großen Einfluss auf meinen Erfolg.
TV
Setzt du denn immer um, was sie dir rät?
BO
Du kannst dir sicher sein, sie hat meistens Recht.
TV
Das klingt alles super. Sie ist also deine beste Freundin?
BO
Oh ja, das ist sie. Meine Mutter hat mir das rappen beigebracht. Sie hat selbst früher gerappt.
TV
Hat sie denn auch Musik veröffentlicht?
BO
Nein, leider nicht, das war damals nicht so leicht. Ihre Mutter hat sie nicht dabei unterstützt, ihren Traum umzusetzen. Aber sie motiviert meine Schwester und mich nun dazu – und hilft uns (soweit es in ihrem Möglichkeiten liegt) dabei, unsere Träume umzusetzen. Weißt du, man muss mutig sein, wenn man Künstlerin werden möchte, aber man braucht vor allem auch andere, die einen dabei unterstützen.
TV
Wir sprachen ja vorhin darüber, welche große Bedeutung Musik im Alltag der Menschen in Nigeria hat. Macht es das auch leichter, eine Karriere mit Musik umzusetzen? Und war es dir schnell klar, dass das dein Job werden könnte oder hat sich das eher auf dem Weg ergeben?
BO
Am Anfang ging es mir hauptsächlich um den Spaß. Ohne Musik könnte ich schlichtweg nicht leben. Sie bringt uns das Glück ins Haus. Wenn meine Familie und ich singen, sind wir happy.
So richtig ging es dann los, als ich plötzlich eine Menge Aufmerksamkeit in der Kirche bekommen habe, weil ich der Liebling des Pastors war. Ich erinnere mich gut an die ersten begeisterten Kommentare: »Oh mein Gott, sie ist so gut!« Damals glaubte ich zum ersten Mal daran, dass meine Träume wahr werden könnten
TV
Das ist interessant, denn diese Bezugspunkte, Kirche und Pastor, unterscheiden sich sehr von dem, was ich als Bezugspunkt für eine Karriere in der westlichen Musikindustrie heranziehen würde.
BO
Aber so ist es: alles begann in der Kirche. Der für die Musik zuständige Kirchenmitarbeiter forderte einige andere und mich eines Tages mal wieder dazu auf, einen Song auf seine Art zu singen – doch das war mir langweilig geworden, also schlug ich vor, einen Rap Verse einzubauen. Er reagiere zunächst verwirrt: »Rap in der Kirche?« Aber warum auch nicht, Rap ist – wie Gospel – eine andere Art Gott zu loben. Also durfte ich es ihnen zeigen – und alle waren begeistert. Als wir die Version offiziell aufführten, war es ein großer Schock für alle, definitiv der verrückteste Kirchenfeiertag ever. Der Pastor liebte es, er liebte mich. Bis dahin war ich ein Niemand in der Kirche, danach stand ich im Rampenlicht. Plötzlich sprachen mich alle an.
TV
Bist du noch in der Kirchengemeinde aktiv?
BO
Ja, wobei ich nicht mehr so oft hin kann, da ich soviel unterwegs bin.
TV
Kommen deine Freunde aus der Kirchengemeinde zu deinen Auftritten?
BO
Ein paar haben mal vorbeigeschaut. Sie reden jetzt hinter meinem Rücken in der Kirche: »Sie ist verrückt. Sie macht nun E-Pop!« Sie kritisieren, dass ich keine Gospel Songs mehr performe, dass ich Gott nicht mehr lobpreise. Aber dem ist nicht so, denn ich spreche durchaus noch über Gott in meinen Texten. Ja, ich mache E-Pop, aber das heißt doch noch lange nicht, dass Gott mich nicht mehr lieb hat.
TV
Du bist ja kein Einzelphänomen, viele US-amerikanische Künstler:innen haben auch in den Kirchengemeinden angefangen, Musik zu machen. Man denke nur an Aretha Franklin oder Destiny´s Child.
BO
Yeah.
TV
Ich habe ein Interview mit dir gefunden, in dem du zwei Buchtipps mit den Leser:innen teilst: »Jenseits von Gott und Böse« von Friedrich Nietzsche und »Die Kunst des Krieges« von Sun Tzu.
BO
Was habe ich?
TV
Sind diese beiden Tipps denn nicht von dir?
BO
Nein!
TV
Ah, okay. Dann habe ich das missverstanden und sie meinten das als Referenz für deinen Sound. Wegen der oft düsteren Stimmung.
BO
Keine Ahnung. Vielleicht steht in diesen Büchern etwas Hartes, Aggressives drin – und sie dachten, das passt zu mir.
TV
Hältst du deine Musik für aggressiv und brutal?
BO
Manchmal, denn wenn ich meine Texte schreiben oder meine Musik produziere, schließe ich meine Augen und sehe mich selbst… weißt du, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll: ich sehe mich dann als ein kleines Teufelchen.
TV
Du siehst dich als Teufel?
BO
Manchmal. Ich sehe mich selbst wie eine Bestie, denn mein Rap ist des öfteren sehr hart und aggressiv.
TV
Sagst du in deiner Musik denn Sachen, die du sonst nicht äußern würdest?
BO
Oh ja, wenn ich Musik aufnehme, spreche ich mit verschiedenen Zungen. Ich habe mehrere Stimmen in mir, das gefällt den Leuten, glaube ich zumindest. Es ist oft nicht leicht zu sagen, ob das noch ich bin oder schon jemand anderes.
TV
Nutzt du denn nur deren Stimmen oder fühlst du auch wie diese Charaktere?
BO
Durchaus. Mein Lieblingscharakter ist der mit dem Bass in der Stimme, der ist wirklich spitze.
TV
Sprechen die Charaktere denn auch zueinander?
BO
Manchmal. Ich fördere das auch, ich will, dass sie miteinander kommunizieren. Darum geht es doch – that’s the swag. Das ist es, was Rap so interessant macht.
TV
Mag deine Mutter denn diese Charaktere?
BO
Sie mag sie alle, na klar.
Allerdings rät sie mir manchmal dazu, die Texte etwas zu drosseln: »Du bist doch nicht der Teufel!« – und ich antworte dann: »Oh doch, ich bin der Teufel!«
Das gefällt ihr gar nicht. Für sie bin ich in diesen Momenten nicht mehr ich selbst. Ich bekomme das gar nicht mit, ich denke da nicht drüber nach während dessen, alles um mich herum ist leer, ich empfinde mich dann als einen gemeinen, kaltblütigen Menschen.
TV
Hat dein zweisprachiger Rap (auf englisch und in ihrer Muttersprache Yoruba) mit den multiplen Charakteren zu tun? Nach welchen Kriterien wählst du eigentlich die Charaktere aus?
BO
Das hängt immer von meiner Stimmung ab. Ich wechsle meine Charaktere, wenn ich sie wechseln muss – und du kannst mir glauben, ich weiß immer, wann der Moment gekommen ist, um in meine Muttersprache zu wechseln.
Der Sprachwechsel macht es spannender. Die Leute mögen die Mixtur aus Englisch und Yoruba – das gilt gleichermaßen für die Nigerianer:innen wie mein westliches Publikum.
TV
Die Themen über die du dann sprichst…
BO
… ich spreche über mein Leben, über die Herausforderungen, die das Leben mir stellt.
Aber wenn ich ehrlich bin, dann gebe ich die meiste Zeit mit mir selbst an. Das ist es doch, was Rapper auszeichnet, oder? Wir geben an! »Ich bin die Beste! »Ich bin gut! Ich bin bad! Ich bin blabla!«
TV
Was sind denn aktuell die größten Herausforderungen in deinem Leben?
BO
Weißt du, normalerweise ist es als Frau in der nigerianischen Musikindustrie nicht so einfach, den Durchbruch zu schaffen. Weil die Männer mehr Einfluss haben, einfach da sie strategischer agieren, sie wissen das Spiel besser zu spielen. Aber das ändert sich glücklicherweise gerade. Als ich anfing war das aber ein großer Widerstand. Da es mittlerweile aber mehr Frauen wie mich gibt, ändert es sich.
TV
Sprichst du denn viel mit deinen Kolleginnen? Tauscht ihr Euch aus? Beispielsweise über schlechte Verträge.
BO
Manchmal. Aber nicht so oft. Wenn jemand mir einen schlechten Vertrag vorlegt, dann erkenn ich das schon selbst.
TV
Hmm, viele können das nicht. Wenn du wüsstest, was ich schon Verträge gesehen habe, die Künstler:innen oder Studierende von mir unterschrieben haben…. Ein guter Zeitpunkt um über die Bedeutung von Community zu sprechen. Du bist seit einigen Jahren eng mit Nyege Nyege verbandelt.
BO
Nyege Nyege spielen eine große Rolle für meine Karriere. Sie stehen mir zur Seite. Aber ich möchte auch betonen, dass ich es nicht mag, wenn man mich fest nagelt. Ich möchte jederzeit machen können, wonach es mir steht. Mit den meisten Labels in Nigeria geht das nicht. Sie wollen dir immer sagen, wo es lang geht. Aber ich schätze meine Freiheit. Wenn mir danach ist, möchte ich Musik rausbringen können – morgen. Ich möchte einfach ich selbst sein. Nyege Nyege verstehen das. Sie mögen, dass ich vielseitig bin. Sie geben mir die Möglichkeit, herumzufliegen und das zu tun, was ich tun möchte. Deshalb sind wir kompatibel und arbeiten so gut zusammen.
TV
Für dein erstes Album hast du mit einigen Leuten kollaboriert.
BO
Das stimmt, aber nicht mit so vielen, wie auf dem kommenden.
TV
Es gibt ein neues Album?
BO
Ja, sogar schon sehr bald. Es wird anders sein als mein Debüt. Ich bereise die Welt, treffe viele Leute, mache andere Erfahrungen.
TV
Zum Ende unseres Gesprächs hin würde ich mich dafür interessieren, wie unterschiedlich Aunty Rayzor und Bisola Olugbenga sind?
BO
Sehr unterschiedlich. Wenn du mich auf der Bühne sieht, wenn du mich in den sozialen Medien sieht, dann bin ich ein ganz anderer Mensch. Wenn mich Leute, die mich von meinem Social Media Auftritt kennen, im realen Leben treffen, dann wollen sie es nie glauben, dass ich Rayzor sein soll. Ich komme ihnen zu ruhig und nett vor.
TV
Nun, wir alle spielen oft Rollen, gerade auf der Arbeit. Was hast du eigentlich gemacht, bevor du von deiner Musik leben konntest?
BO
Ich bin gelernte Kosmetikerin, mache zum Beispiel viele Wimpernverlängerungen, Gesichtsbehandlungen, gebe Massagen und so weiter.
TV
Hat dir das gefallen?
BO
Ja, natürlich. Meine Mutter arbeitet auch als Kosmetikerin.
TV
Es gibt Musiker:innen, die tanzen und solche, die es nicht tun, ja geradezu ablehnen. Was bist du?
BO
Ich würde mich nicht als Tänzerin bezeichnen, aber ich tanze gerne und würde gerne mehr über das Tanzen erfahren. Ich würde gerne eines Tages in eine Tanzschule gehen und trainieren.
TV
Gehst du denn manchmal mit deinen Freundinnen tanzen?
BO
Ich würde das gerne öfter machen.
TV
Das heißt du machst es nicht?
BO
Nein. Ich tanze einfach zu Hause auf der Straße.
TV
Übst du denn deine Bühnenshow zuhause vorm Spiegel?
BO
Ja, ich übe viel. In letzter Zeit versuche ich, mehr mit Tänzerinnen zu arbeiten, weil ich das Gefühl habe, dass das meine Performance noch spannender machen würde. Noch erlaubt mir meine Gage es aber nicht, eine Crew mitzunehmen. Immerhin habe ich aber schon meine DJ dabei.
TV
Ich würde noch gerne über die Pandemie mit dir sprechen. Du hast sie ja produktiv in Tracks verarbeitet und so den Nährboden für deine jetzt stattfindende Auftritte gelegt.
Wie hat sich die Pandemie denn auf deinen heutigen Alltag in Nigeria ausgewirkt? Hier in Europa haben sich die Existenzbedingungen für nicht so bekannte Künstler:innen merklich verschlechtert. Alle haben mit höheren Kosten zu kämpfen. Wenn man das nicht über höhere Ticketpreise weitergeben kann, wird es schnell eng.
BO
Nun, ich denke, das ist überall dasselbe. Auch wir spüren die Inflation nach Covid. Aber irgendwie kommt man zurecht.
Für mich ist es aktuell einfach auf Tour zu gehen. Ich hab alles, was ich brauche. Ich habe meine Fans, die mich lieben. Ich habe meinen Manager, der mir hilft.
TV
Trittst du denn auch in anderen afrikanischen Ländern oft auf?
BO
Um ehrlich zu sein, ist es sehr, sehr schwer, durch Afrika zu touren, verglichen mit Europa. Auf meiner letzten Afrika-Tour war ich in Kenya – dort mochte ich es am meisten, da sie den nigerianischen Mood haben –, in Djibouti in Ostafrika, in Addis in Äthiopien, in Algeria. Ich komme also auch in Afrika ein bisschen herum, aber es ist oft nicht leicht an ein Visa zu kommen.
TV
Hatte amerikanischer HipHop denn auch einen großen Einfluss auf dich?
BO
Oh ja, ich liebe Eminem. Weil er so aggressiv ist. Und Nicki Minaj, sie hat diese zerkratzte Stimme, wenn sie rappt. Lil´Kim ist auch cool. Aber am liebsten ist mir Eminem.
TV
Wenn du dir eine:n Kollaborationspartner:in aussuchen könntest?
BO
Eminem.
TV
Vielleicht liest er es ja und meldet sich. Was steht als nächstes an?
BO
Weitere Auftritte in Europa und dann geht es nach Südamerika, nach Kolumbien und Mexiko, ich bin schon sehr aufgeregt.
TV
Danke für das offene Gespräch, ich weiß das sehr zu schätzen, gerade um diese Uhrzeit.
Epilog
Als die Tür endlich wieder aufgeht, ist Bisola Olugbenga bereits beim vorletzten Song angekommen. Aber lamentieren bringt ja nichts, man muss nehmen, was man bekommen kann. Zumal anderthalb Aunty Rayzor Tracks es locker mit einem ganz Set der meisten anderen Acts aufnehmen können.
Mit einer erfrischenden Distanzlosigkeit gehen eigene Performance und Dokumentation in eins über, alle im Publikum, aber auch die DJ halten die Kamera permanent in die Höhe. Es geht weniger um die Produktion von Bildern als vielmehr die Respektbezeugung: das ist so toll, es muss festgehalten werden.
Im einen Moment ist Aunty Rayzor noch fest geerdet in ihrer Präsenz, im nächsten schon schwebend über den Dingen. Sie ist überall – und sie macht alles. Sie dreht sich in einer Umlaufbahn jenseits von physischen Gesetzen in die Unendlichkeit. Ganz so, als ob sie Einsatzbefehle von einer höheren Macht erhalten würde.
Es ist offensichtlich: Niemand in diesem Raum würde sich anmaßen zu denken, er könne besser tanzen, singen, performen als Aunty Rayzor. Obwohl alle für diesen Samstag Abend herausgeputzt sind, wirken sie doch wie graue Mäuse im Abgleich mit Rayzor in ihren hohen Stiefeln und dem eng sitzenden Latexkleid. Sie ist die eine Performerin, die den einzig wahren Tanz zu tanzen vermag in dieser Nacht, eine Autorität über alle Dancefloors.
Obwohl alle Körper so eng aufeinander gedrängt sind, treten sie zu keinem Zeitpunkt in eine reale Interaktion miteinander. Aunty Rayzor ist das einzige Objekt der Begierde in diesem Raum. Es ist, als ob alle anderen ihre Aura an der Schleuse in den Raum abgegeben mussten. Einzig der erhobene Arm mit den stetig laufenden Handys ist den Zuschauer:innen geblieben als minimalistischer Ausdruckstanz. Die großen Bewegungen, die Choreographie mit Narrativ, sie gehört einzig und allein dieser Frau.
Während des Tanzes zwischen den Körpern muss sie ihr Mikrofon geradezu verbissen festhalten – damit es nicht davonfliegt. Ihr rechter Arm vibriert im Rhythmus der Beats, eben noch eng am Körper ist er schon wieder ausgestreckt. Alles ist unter Spannung, nur ihr linker Arm gibt wie tot der Erdanziehung nach.
Ganz anders die Meute. Wild und doch wie gefroren.
Ich kann Aunty Rayzor nicht wirklich sehen, nur ab und an wirbelt sie ins Bild – und doch malen ihre Stimme und die klackernden Sounds eine Bewegungskurve einem Batgirl Comic gleich in die Luft. Meine Augen sehen Punkte, die weit hinter der Zeit in diesem Raum ihren Ursprung haben, deren Bedeutung weit über diese Performance hinaus gehen.
»I love you guys. I love you so much. Thank you so much guys.«
Und dann entschwebt sie unserem geteilten Biotop.
Später in der Nacht postet sie Fotos, wie sie und ihre Crew euphorisch gen EasyJet-Hotel durch Den Hague ziehen. Happiness kann so einfach sein. Oder so schwer. Es kommt auf die Perspektive ein.
»Go Rayzor! Go! Go Rayzor! Go!«
This article is brought to you by Kaput Mag as part of the EM GUIDE project – an initiative dedicated to empowering independent music magazines and strengthen the underground music scene in Europe. Read more about the project at emgui.de.
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Bisola Olungbenga war gerade mal neun Jahre alt, als sie begann, Musik zu schreiben. Ermutigt von ihrer Klavier spielenden Mutter kam sie von der Schule nach Hause und wetteiferte mit ihrer Schwester, indem sie sich Verse und Refrains ausdachte und dafür mit Süßigkeiten belohnt wurde. Seitdem hat sich Olungbenga zu Aunty Razyor entwickelt, einer der dynamischsten aufstrebenden Künstlerinnen Nigerias – eine genreübergreifende Innovatorin, die Hip-Hop, Afrobeat, R&B und experimentelle Klänge zu einem energiegeladenen Porträt des zeitgenössischen Lagos verschmilzt.
Kaput ist ein 2014 gegründetes Magazin, das ein breites Spektrum an Themen abdeckt, von Musik bis Film, von bildender Kunst bis Literatur, von Straßengeschichten bis zu Hintergrundberichten, und dabei die Wirtschaft der Kultur in den Mittelpunkt rückt. Getragen wird das Magazin von den beiden engagierten Kulturjournalisten Linus Volkmann und Thomas Venker. Sie sagen: »Kaput glaubt, dass die Ökonomie der Kultur ein großer Teil des modernen künstlerischen Lebens ist, über den die meisten Leute nicht genug gesprochen haben. Im digitalen Zeitalter sind die alten böhmischen Illusionen genau das: Illusionen. Es gibt neue Geschichten, neue Träume, aber wie wahr sind sie? Kaput befasst sich mit den neuen Realitäten von Bands, den leeren Rentenkassen von Künstler:innen und der mittlerweile verrückten Idee eines würdigen Ruhestands.«