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gebiete nebenan moritz riesenbeck: wenn sich räume erinnern

Aus Noies 02/23 Oktober 2023

In Moritz Riesenbecks Installationen wird sein besonderes Verständnis für Räume spürbar. Der bildende Künstler und Architekt zeigt seine Arbeiten in brutalistischen Kirchen, in Wohnhäusern und an Fassaden leerstehender Bürogebäude. Welche Bedeutung dabei Klang für ihn spielt, erzählt er im Gespräch mit der bildenden Künstlerin Jessica Tille.
Aufnahme aus der Arbeit »Auflösung« von Moritz Riesenbeck
Aufnahme aus der Arbeit »Auflösung« von Moritz Riesenbeck
Aus Noies 02/23

moritzriesenbeck.com

Jessica Tille:
Deine Arbeiten entstehen mit starkem Bezug zu den Orten, an denen sie gezeigt werden. Das kann eine Kirche oder auch ein verlassenes Mehrfamilienhaus sein – Räume, die sowohl mit einer bestimmten Erwartung an einen Klang verbunden sind, als auch tatsächlich einen eigenen Klang mitbringen. Wie fließt der Klang eines Ortes in Deine Arbeit mit ein? 

Moritz Riesenbeck:
Jeder Ort hat eine Atmosphäre und davon ist die Akustik ein großer Bestandteil. Eine Erwartung, die wir an einen Ort haben, hat also immer mit der Akustik zu tun. Ich baue keine Bühnen, sondern arbeite mit unserer alltäglichen Umwelt – worin man durch den Eingriff, also auch den akustischen, einen Moment schaffen kann, in dem uns der Ort nicht auf die Art und Weise entgegentritt, wie wir es erwartet haben.

Aufnahme aus der Arbeit »Auflösung« von Moritz Riesenbeck
Dokumentation der Arbeit »Auflösung« von Moritz Riesenbeck. Foto von Kai Werner Schmidt

JT:
In Deiner Arbeit »Auflösung« geht es um Demenz – bei dieser komplexen Arbeit scheint der Sound eine entscheidende Rolle zu übernehmen: das Vergessen in der Demenz hallt im Raum wieder. Aus dem Alltag kennen wir das auch: Musik bringt Erinnerungen zurück. Der Raum wird zu einem Archiv der Spuren des Vergessens.

MR:
Es gibt einen speziellen Test für Ärzte, den DemTect, um herauszufinden, ob jemand dement ist. Darin werden Zahlenkombinationen vorgelesen und müssen von der Patient:in rückwärts wiederholt werden. In der Arbeit »Auflösung« wandern solche Zahlenkombinationen durch ein Skript gesteuert willkürlich durch den Raum, gesungen von der Vokalistin Hanna Schörken, die auch zuvor schon einen Chor mit dementen Menschen geleitet hat. Denn Demenz kann nicht nur die Persönlichkeit einer Person verändern, sondern auch die Stimme. In der Arbeit spricht eine Wohnung, der vertraute Lebensraum einer Person mit seinen eingeschriebenen Ritualen und Gewohnheiten, gewissermaßen selbst die Ergebnisse dieses Tests aus.

Dokumentation der Arbeit »Auflösung« von Moritz Riesenbeck
Dokumentation der Arbeit »Auflösung« von Moritz Riesenbeck. Foto von Kai Werner Schmidt

JT:
Klang hat ja auch eine materielle Komponente. Die Technik, die den Klang erzeugt, trägt eine eigene Ästhetik. Wie gehst Du mit diesem Element künstlerisch um?

MR:
Mir geht es darum, dass sich die Technik an die Situation anpasst. Körperschallwandler sind beispielsweise keine einfachen Lautsprecher. Sie haben keine Membran, sondern übertragen den Schall direkt auf das Material. Das, was den Klang erzeugt, ist in meinem Fall die Architektur, auf die ich mich inhaltlich beziehe. Am Fenster angebracht, der Schwelle zwischen Innen und Außen, hört man den Klang auch draußen im Stadtraum – Menschen laufen am Fenster vorbei und verstehen nicht, woher der Klang kommt. Dieser Bruch stellt die Verbindung zur Demenz her, zum nicht-intentionalen Mitteilen und zu einer Art Paranoia. Die verlassene Wohnung spricht das aus, was bereits in ihr lag, indem ihre Fenster zum Lautsprecher werden. Am Ende geht es darum, wie das Zusammenleben mit einer Architektur Rituale erzeugt, die verhindern, zu bemerken, dass ein Mensch krank ist. Ich mag daran auch die Komponente, dass die Kunst, die hier nicht in einer klassischen Kunstumgebung stattfindet, auch den öffentlichen Raum bespielt – ihn mit etwas konfrontiert, wovor die Gesellschaft die Augen verschließt. Das ist in keinem Museum möglich.

Dokumentation der Arbeit »Auflösung« von Moritz Riesenbeck
Dokumentation der Arbeit »Auflösung« von Moritz Riesenbeck. Foto von Kai Werner Schmidt

JT:
Du selbst spielst Schlagzeug, ein Instrument, das stark mit der Bestimmung eines Rhythmus zusammenhängt. In »Laufen / Begehren« sieht man Dich über ein scheinbar endloses Feld rennen, gefilmt von einer Drone. Was die Arbeit emotional auflädt, ist die Verlangsamung der Aufnahme. In Deiner Arbeit »Handeln (lonely church)« ist verlangsamte Marschmusik in einer Kirche zu hören. Die Sound- und Bildebene sind in den beiden Arbeiten ähnlich behandelt worden. Was interessiert Dich daran, den Rhythmus zu modifizieren?

MR:
In der Verlangsamung kann man etwas genauer anschauen als in der Realität. Dabei erscheint vielleicht etwas klarer, was uns eigentlich schon immer umgab. Man kann auf diese Weise auch etwas sichtbar machen, was vorher nicht sichtbar war – man kann auf etwas hinweisen. 

Im Fall von »Handeln (lonely church)« habe ich, neben der 16-kanaligen Surroundanlage, welche ich mittels Körperschallwandlern auf das Kirchenglas angebracht habe, mit dem Schlagzeuger und Komponisten Lukas Schäfer kooperiert. Er hat Marsch-typische Snare-Rolls eingespielt, und ich habe sie über die Anlage in der Kirche ausgegeben. Es entsteht ein Kontrast zwischen dem sphärischen Klang, der die Menschen umgibt, und den Snare-Rolls, die diese geschaffene Atmosphäre wieder zerteilen.

JT:
Das ist eine gute Überleitung zur Zusammenarbeit. Neben der Kollaboration mit Räumen kollaborierst Du in Deiner Arbeit mit vielen Menschen. Welche Bedeutung hat das für Dich?

MR:
Grundsätzlich ist wichtig zu verstehen, dass meine Arbeit anders funktioniert als z.B. ein Gemälde. Ebenso wie ein Konzert ist es ein flüchtiger Moment, den man zwar aufnehmen kann – aber das Publikum, das Wechselspiel zwischen Szene und Betrachter:innen erzeugt eine ganz eigene Energie. Wenn es nun darum geht, mit Klang eine Atmosphäre herzustellen, was eines gewissen Handwerks bedarf, vertraue ich deshalb Menschen, die sich spezifisch damit beschäftigen und diese spannungsvolle Erfahrung zwischen Werk und Mensch erfahren haben.

Man könnte natürlich einen Track wählen, der die gewünschte Atmosphäre sicher transportiert. Mir geht es da aber um eine gewisse Zeitgenoss:innenschaft – zu spüren, was die Anderen gerade machen und das mit einzubeziehen. Menschen, die selbst Musik machen, die das Handwerk erlernt haben, Menschen mit Klang zu konfrontieren und mit ihnen in einen Dialog zu treten. Darin liegt auch eine Form von Vertrauen – darauf, dass die Anderen auch im Jetzt leben.

Dokumentation der Arbeit »Auflösung« von Moritz Riesenbeck, in Zusammenarbeit mit Hanna Schörken

Moritz Riesenbeck studierte Architektur in Münster und Kunst in der Klasse von Prof. Gregor Schneider an der Kunstakademie Düsseldorf. Er ist Gründungsmitglied des about repetition e.V.,und des Sono-Kollektiv, und ist Herausgeber von Künstler:innenbüchern.