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gebiete nebenan pieter niessen: nachhaltigkeit mit besserem sound

Aus Noies 01/23 April 2023

Pieter Niessen begann seine Karriere als Raumausstatter, fokussierte sich dann auf akustische Raumoptimierung und leitet heute sein Unternehmen objectiv mit Sitz in Köln-Dellbrück. Die mehrfach ausgezeichnete Firma produziert, beliefert und installiert nachhaltige Akustik-Produkte und berät in allen Fragen der Raumakustik. Hanna Fink traf den Unternehmer im Showroom, wo der Unternehmer zwischen raumklimatisch wirksamem Akustikmoos und speziellen Wandpaneelen Einblick in seine tägliche Arbeit gibt.
Nordgröna von Objectiv
Aus Noies 01/23

objectiv.de

Die Akustikobjekte sind sowohl in der Formsprache wie auch der Bauweise sehr klar. So ist beispielsweise der Raumakustik-Klassiker übersichtlich modular: ein akustisches Wandpaneel besteht aus dem eigentlichen Absorber, eingefasst in einen schlichten Alurahmen, und ist überzogen mit Stoff, wie Wolle oder ähnlichen, oft natürlichen Materialien. Der eigentliche Absorber aus 5 cm dickem PET-Fleece besteht zu 100% aus recyceltem Material. In der Produktion treffen zwei (mit Ökostrom) erhitzte Platten des Materials aufeinander, die Wärme schmilzt zuerst die Fasern an, die einen niedrigeren Schmelzpunkt haben – und die Platten verbacken ohne zusätzliche Klebesubstanzen. Das Ganze ist schwer entflammbar, vor allem aber absolut nachhaltig. Bei Abriss eines Gebäudes oder nach einem Umbau gelangt das Material zurück in den Wertstoffkreislauf (»cradle-to-cradle«). Pieter Niessen hat dafür 2022 den German Innovation Award erhalten.

Wo genau man welche Akustikelemente hinstellen, ankleben oder aufhängen sollte, errechnet das Team von objectiv unter anderem mit einer selbst entwickelten App: welche konkreten Bass-Frequenzen entsprechen dem Störgeräusch, wenn die KVB unter den Besprechungsräumen des Gerichts am Appellhofplatz fährt? Liegt der Lautstärkepegel noch im Rahmen des Arbeitsschutzrechtes, wenn das kleine Büro direkt neben der Produktionshalle liegt?

objectiv macht einen wesentlichen Teil des Umsatzes mit akustischer Office-Ausstattung. Dabei arbeitet die Firma auch mit Künstler:innen und insbesondere Fotograf:innen zusammen. So hängt auch mal ein Birkenwald im Konferenzraum oder der Lieblingsdackel auf Designersessel im Entrée. Die Palette an Projekten insgesamt reicht vom umgebauten Kirchenraum über Heimkino und Gerichtssaal bis hin zu Kitas. Und gerade bei Letzteren wird deutlich, dass es nicht nur um guten Sound geht. Wenn nämlich die Beschaffenheit des Raumes eine sogenannte saubere Informationsübertragung verhindert, hat das langfristig Einfluss auf den Spracherwerb der Kinder. Und wenn die Bahntrasse unter dem Fenster Pegel über 70 Dezibel produziert, steigt nachweislich das Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen.

Es gibt keine Ausbildung für Raumakustiker:innen. Akustik im Allgemeinen ist jedoch ein eigener Studiengang an technischen Hochschulen, hat dank seiner vielfältigen Anwendungsbereiche großes Spezialisierungspotenzial und ist dementsprechend auch an Musikhochschulen wie beispielsweise an der HfM Detmold installiert. Allerdings ist nicht jede:r Musiker:in firm in physikalischen Fragestellungen und ihrer Lösung, braucht Hilfe zur Verbesserung der Raumakustik im Proberaum, Off-Space oder Ladenlokal. In diesem Fall lässt sich, so Herr Niessen, mit wenigen Mitteln schon viel erreichen. Statt Unmengen an Teppich oder quadratmeterweise Eierkartons (sowieso nicht sehr wirksam) an der Wand reichen oft kleine Fläachen von hochwirksamen Absorbern, bei kleinen und geometrisch einfach gebauten Räumen z. B. an der Decke angebracht. In Ecken herrscht in der Regel ein hoher Grad an Schallreflexion, daher wirkt ein Absorber hier besonders gut (für den gegenteiligen Effekt stellen wir unsere kleinen Bluetooth-Boxen für mehr Bumms & Bass ab jetzt also in die Ecke). Und der guten Tipps sind drei: Statt Schaumstoffen aus dem Baumarkt empfiehlt der Profi basotect® von BASF, bis zur Entwicklung der Recycling-PET-Produkte noch Standard der akustischen Absorption auf dem deutschen Markt. Der eine oder die andere Lesende hat sich vielleicht Mineralwolle aus dem Baumarkt besorgt und in einen DIY-Wandabsorber oder eine Bassfalle verwandelt. Doch davon ist abzuraten: Glas- und Steinwolle haben zwar die gleichen absorptiven Eigenschaften wie PET-Materialien, Glaswolle beispielsweise benötigt in der Produktion aber mindestens 1500°, birgt nicht trennbare Substanzen und muss als Sondermüll entsorgt werden.

Wer noch einen Obulus übrig und ein Faible für sichtbare Nachhaltigkeit hat, kann sich auch Moos an die Wand hängen – emotionale Raumakustik trifft feuchtigkeitsregulierende Naturalien. Und flauschig ist es obendrein.

Pieter Niessen begann seine Karriere als Raumausstatter und wechselte dann zur Innenarchitektur und Vertrieb in der Projekteinrichtung. Die Raumakustik wurde bald zu seinem beruflichen Schwerpunkt. Heute ist er CEO und verantwortlicher Entwickler von objectiv, eines Herstellers für nachhaltige Akustikprodukte.