Theaterstücke werden in ehemaligen Produktionsstätten aufgeführt, Kunst in leerstehenden Hafengebäuden ausgestellt und Proberäume in Gebäuden eingerichtet, die mal Bunkerschutzräume waren. Die Liste mit Beispielen für die Nutzung von Leerständen ist mittlerweile lang. Akustische Kunst in einem Einkaufszentrum zu präsentieren ist für mich jedoch eine ungewöhnliche, aber umso spannendere Vision.
Inspiriert dazu hat mich eine Anekdote, bei der ein Manager eines Einkaufszentrums an ein
städtisches Museum herangetreten ist (und nicht umgekehrt), mit dem Vorschlag, Kunst in einer leerstehenden Ladenzeile der Mall auszustellen. Leider konnten die Anforderungen des Museums an Sicherheit und Konservierung in der Mall nicht gesichert werden. Aber als eine Bekannte des Museums mir diese Geschichte erzählte, wurde ich hellhörig. Als Klangkünstlerin und Architektin ist das ortsspezifische Arbeiten, das Verbinden von Klang und Raum, ein grundlegendes Prinzip für mein Werk. Je tiefer ich mit meinen Installationen und Soundscapes in den öffentlichen Raum eingreifen kann, desto mehr geht meine Vision von akustischer Kunst auf. So kam ich in Kontakt zu diesem progressiven Manager des Einkaufszentrums.
Doch was bedeutet Raum? Was unterscheidet den öffentlichen vom privaten Raum? Raum ist ein ephemerer Begriff, schwer zu greifen, noch schwieriger zu definieren. Grundsätzlich wird aus Sicht der Architektur zwischen physischem und sozialem Raum unterschieden. Der physische Raum ist messbar in Länge mal Breite mal Höhe mit bestimmten Materialeigenschaften, Lichtverhältnissen und akustischen Eigenschaften. Es gibt beispielsweise dunkle, dumpfklingende und niedrige Räume, aber auch hohe, helle und hallig klingende Räume. Der physische Raum wird hier als ein Volumengefäß mit physikalisch messbaren Größen verstanden. Deutlich komplizierter ist hingegen die Definition des sozialen Raumes. Für den Soziologen und Philosophen Henri Lefebre ist »der (soziale) Raum ein (soziales) Produkt«1 Ähnlich sieht das auch der Kunstkritiker Brian O’Doherty. »Space now is not just where things happen; things make space happen.«2 Der gemeinsame Nenner zwischen Lefebre und O’Doherty: Der Raum als ein soziales Produkt. Die Handlungen der Menschen in einem Raum kreieren den sozialen Raum.
In der Stadt- und Architekturplanung wird Raum in unterschiedlichen Kategorien unterteilt: Neben dem privaten und halböffentlichen Raum haben zum öffentlichen Raum idealerweise alle Menschen zu jeder Zeit Zugang. Dies kann ein Platz in der Stadt sein oder eine Bahnhofshalle. Eine städtische Bibliothek oder ein Museum wären institutionalisierte öffentliche Räume. Michel de Certeau unterscheidet zudem zwischen Raum und Ort. »Insgesamt ist der Raum ein Ort, mit dem man etwas macht.«3 Eine leerstehende Ladenzeile ohne Passant:innen wäre somit ein Ort, doch sobald sich Menschen davor oder darin aufhalten, verwandelt sich der Ort in einen Raum.
Die Begegnung von Klangkunst mit Zufallspublikum ist für mich ein zentrales Element. 2021 habe ich gemeinsam mit den Videokünstlern Alexander Borowski, Sebastian Wulff und Raphael Zöschinger die Klang- und Videoinstallation »Gesang der Maschinen« am und im Opernhaus Wuppertal realisiert. Alles, was üblicherweise unsichtbar und unhörbar hinter der Bühne abseits des Publikums geschieht, haben wir für ein Wochenende auf einen Sockel gestellt: Symbole aus der Haustechnikplanung, Geräusche von Bühnenmaschinen und Dimmerräumen, Filmaufnahmen von Maschinen unter dem Bühnenboden. All dies war Dank der Beschallung im Außenraum und der großformatigen Projektionen von Weitem sicht- und erlebbar und ließ die Grenze zwischen Kunst- und Alltagsraum aufweichen. 2022 haben wir mit dem gleichen Team den Hoeschplatz vor dem Leopold-Hoesch-Museum in Düren mit einer Klang- und Videoinstallation aus Geräuschen und Texturen aus Nord-Düren bespielt. Wenn Passant:innen beim Spaziergang stehen bleiben, sich dazu stellen, Fragen stellen und neugierig werden, sehen wir uns in unserem Ansatz der urbanen Intervention bestätigt.
Normalerweise wird das fertige Werk hinter verschlossenen Türen aufgebaut, um es dann zu präsentieren. Aber den Ausstellungsraum auch als einsehbaren Arbeitsraum – eine Art Terrarium – zu nutzen, ist die neue Herausforderung, vor der ich nun gemeinsam mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Romy Rexheuser und dem Bühnentechniker Dominik Wald stehe. Das StadtCenter in Düren hat einige leerstehende Parzellen. Die Idee des Managements einer Bespielung mit Kunst, um das Center zu beleben, ist immer noch nicht vom Tisch. Unser Konzept greift diese Lücke ab dem 27. März 2023 auf rund 220m2 auf: Leerstehende Immobilieneinheiten in Einkaufszentren werden Formaten akustischer Kunst zur Verfügung gestellt. Die exponierte Raumsituation mit großen Schaufenstern erlaubt Einblicke in die Erarbeitung ebenso wie in die Präsentation akustischer Kunst. Die Vorteile liegen auf der Hand: große Flächen, Flexibilität dank Rohzustand, Publikumsströme sind ebenfalls vorhanden. Den Besucher:innen von Einkaufszentren werden auf niedrigschwelligem Weg Einblicke und Berührungspunkte mit Formaten geboten, die üblicherweise in separaten Aufführungshäusern stattfinden. Die bunt bedruckte Folie, die den Leerstand kaschieren soll, wird bewusst entfernt. Das Schaufenster mutiert zu einer voyeuristischen Membran, die die Betrachtenden und Performenden trennt und zugleich miteinander verbindet.
Vorbilder bei der Entwicklung dieser Herangehensweise waren für mich unter anderem die Performerin Tara Transitory, die den Soundscape des öffentlichen Raumes akustisch in Echtzeit in ihre Live-Sets mit akusmatischer Musik einbezieht. Die Soundscape der Orte, an denen die Performances stattfinden, werden aufgezeichnet und die damit eingefangenen Klänge werden in dem Setup musikalisch verarbeitet. Die in Ägypten lebende Klangkünstlerin Yara Mekawei verwandelt mit ihrer Klanginstallation »Shoubra Line« (2012) aus Geräuschen einen Durchgangsraum im öffentlichen Raum in einen Ort. Sie präsentiert in einer Kooperation mit dem Künstler Mina Nasr die audiovisuelle Installation in der Artellewa Galerie in Kairo, die unmittelbar an einer öffentlichen Straße liegt. Mekawei nutzt die garagenartige Nische der Galerie mit unmittelbarer Öffnung zum Straßenraum, indem sie Geräusche von außen mit Geräuschen der Metrostation verbindet. Dabei macht sie keinen Unterschied zwischen menschlichen Stimmen, Signalen der Metrostation und Popmusik, die man aus den Kopfhörern mancher Passant:innen wahrnehmen kann.
Ehemalige Industriehallen sind Ruinen der Gegenwart, Shoppingmalls sind Ruinen der Zukunft. Gewerbeeinheiten stehen seit Jahren leer. Die Pandemie hat diese Lage verschärft, europaweit. Gleichzeitig ist der Bedarf an Aufführungsorten für experimentelle Musik- und Performanceformate in den Städten groß, gleiches gilt für Proberäume und Ateliers. Womöglich werden sich Einkaufszentren wie das StadtCenter in Düren als Orte für Kunst und Kultur neu erfinden. Sie haben das Potenzial als urbane Nische für Künstler:innen und Performer:innen, die sie im positiven Sinne parasitär einnehmen werden.
Für die Klangkünstlerin und Architektin Nathalie Brum bilden Klang und Raum eine Einheit. Bei ihren ortsspezifischen Installationen verschmelzen progressive Kunstmusik mit sozialem Engagement. 2022 erhielt sie als Nachwuchskünstlerin den Förderpreis des Landes NRW.