NOIES MUSIK
SZENE NRW
Zeitung für neue und experimentelle Musik

gedanken über haushaltsentwurf: und jetzt? die freie szene und der kölner haushaltsentwurf

Dezember 2024

Mit Kürzungen von fast 27% bedroht der neue Haushaltsentwurf der Stadt Köln die Vielfalt der freien Musikszene Kölns. Dass sie in den kommenden zwei Jahren nicht mehr gefördert werden sollen, erfuhren viele freie Träger dabei erst aus der Presse. Welche politischen Prozesse stehen nun bevor? Und werden die Interessen der freien Szene Gehör finden? Hannah Schmidt suchte nach Antworten.
KulturNetzKöln Demo im Juni 2024. Foto: Kevin Wolf

Von Hannah Schmidt


Die Kulturszene in Köln steht unter Schock – und damit ist sie nicht die einzige im Land. Auch in München und Berlin etwa haben die kommunalen und Landesverwaltungen Haushaltsentwürfe vorgelegt, die drastische Kürzungen vorsehen, und zwar zum großen Teil in der Kultur. Das passierte durchaus mit Ankündigung – schon im Juli hieß es etwa aus der Kölner Stadtpressestelle schon, dass “angesichts der angespannten finanziellen Situation […] erhebliche Anstrengungen in allen Bereichen der Stadtverwaltung notwendig sein werden“. Am Ende bedeutet diese Nicht-Antwort ja nichts anderes als: Es muss stark gekürzt werden, und zwar potenziell überall. 

Nun hatte sich die Szene warm angezogen und darauf eingestellt, dass es hart werden könnte, aber mit gut 27 Prozent weniger hatten die freien Träger im Bereich Musik dann doch nicht gerechnet. Laut einiger aufgebrachter Wortmeldungen im Kulturausschuss Anfang Dezember wurden die kulturpolitischen Sprecher:innen der Parteien und auch die Träger und Institutionen nicht im Vorfeld über die Entscheidung informiert. Brigitta von Bülow von den Grünen etwa wies darauf hin, dass durch diese Vorgehensweise „viele Dinge festgezurrt wurden, die gar nicht mehr unserer Beschlusslage entsprechen“. Kulturdezernent Stefan Charles wurde vorgeworfen, sein Wort gebrochen zu haben: “Wir brauchen einen Kulturpolitiker“, sagte Jörg Kobel (Die Linke), „einen Kulturdezernenten, der Kulturpolitik machen möchte für diese Stadt.“ 

Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Tatsächlich scheinen wir es mit einem aktuellen Phänomen zu tun zu haben, wie sich aus dem, was Gregor Hotz, Geschäftsführer des Musikfonds, sagt, ableiten lässt: Demnach wäre auch in Berlin  die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien  (BKM) nicht mit den sechs Bundeskulturfonds im Dialog gewesen. “Wir haben im Sommer ein Schreiben bekommen, in dem drin stand, dass es laut Regierungsentwurf – wie das auf Bundesebene genannt wird – für den Musikfonds 2025 nur noch 2,9 Millionen Euro geben soll. Es gab keine Kommunikation vorab.“ Das sei etwas, “worüber sich ganz viele beklagen, und das ist etwas, was man betonen muss. Da wird mit dem Rotstift ganz grob über gewisse Positionen drüber gegangen, ohne dass sich die kulturpolitisch Verantwortlichen mit diesen Häusern und Institutionen beraten haben.“ Die BKM habe sich inzwischen aber für die mangelnde Kommunikation entschuldigt: “Wir hoffen, dass auch die neue Leitung des Hauses ab dem nächsten Jahr den Dialog sucht“, sagt Hotz. 

KulturNetzKöln Demo im Juni 2024. Foto: Kevin Wolf

Grundsätzlich ist der Ablauf eigentlich folgendermaßen: Die Verwaltung macht einen Vorschlag für einen genehmigungsfähigen Haushalt und bringt diesen in den Rat ein. Der Rat entscheidet dann, ob er dem Entwurf so stattgeben will oder ob er ihn mit politischen Veränderungsnachweisen versieht und dann politisch verändert beschließt. Vorher wird in den Ausschüssen diskutiert, die wiederum im Rat vertreten sind. Dem Ausschuss Kunst und Kultur gehören laut Stadt Köln 13 stimmberechtigte und mindestens 20 beratende Mitglieder an, Vorsitzende ist Elfi Scho-Antwerpes – alle anderen Mitglieder des Ausschusses sind auf der Webseite der Stadt Köln nachzulesen. Die 13 stimmberechtigten Mitglieder im Ausschuss sind die Ratsmitglieder. 

In Köln nun kommt die Musik besonders schlecht weg, möglicherweise auch deshalb, weil die Leitung des Kulturamts während des Prozesses vakant war, und nach wie vor das Musikreferat nicht besetzt ist. Je weniger Verfechter:innen es gibt, desto schlechter stehen am Ende die Chancen. 

Auf Vorschlag der CDU ist auch Janning Trumann als beratendes Mitglied in den Kulturausschuss berufen worden, Posaunist und künstlerischer Geschäftsführer der Cologne Jazzweek, die laut aktuellem Entwurf ab 2025/26 keine Förderung mehr erhalten soll. Der gleichen Entscheidung zum Opfer gefallen sind unter anderem auch die Kölner Gesellschaft für Neue Musik (KGNM) , ORBIT, das Oluzayo-Festival, Shalom-Musik und das Ensemble Concerto Köln – und das sind nur einige der Musik-Posten, an denen die Stadt radikal sparen will.  

Trumann erklärt, was die Null Euro hinter diesen Musikposten bedeutet: “Es wurden die Projekte auf null Euro gesetzt, vor allem in der freien Szene, die in der Vergangenheit durch die sogenannte Kulturförderabgabe gefördert wurden. Das ist die Bettensteuer, die seit ein paar Jahren umgewidmet wird“ – also Geld, das die Politik bekommt, um es zu verteilen. “Im letzten Haushalt waren das etwa 7 Millionen Euro, wovon dreieinhalb dann auch wirklich in die Kultur geflossen sind“, sagt Trumann. „Das ist keine verpflichtende Kulturabgabe.“ Aus diesen Mitteln, diesen 3,5 Millionen Euro, wurden in den vergangenen Jahren viele Projekte gefördert, die jetzt allerdings erst einmal provisorisch auf null gesetzt wurden, “weil die Kulturförderabgabe politisch entschieden wird.“ Im Haushaltsentwurf, der gerade vorliegt, fehlt dieses Geld also noch. 

Das Problem ist allerdings, dass die Verwaltung die entsprechenden Projekte kompromisslos auf null Euro gesetzt hat – und nicht etwa symbolisch auf einen Euro: “Sie hätten von der Verwaltung mit einem Haushaltstitel bedacht werden müssen, einfach als Aussage im Sinne von: Ihr habt gut gearbeitet, und dafür ist die Förderung auch da, ihr werden überführt in den städtischen Haushalt.“ So allerdings müssen die Diskussionen, ob ein Projekt gefördert wird, wieder ganz von vorne anfangen. Ob die Politik das Geld wieder entsprechend einsetzt, wird diese Woche entschieden. 

Wenn sie sich dafür entscheidet, könnte das den Vertrauensverlust wieder kitten, glaubt Trumann, der dadurch entstanden ist, dass etwa das Acht Brücken Festival oder die Cologne Jazzweek auf null Euro gesetzt wurden. “Trotzdem war das schon ein ganz bewusster Vorschlag von der Verwaltung, der uns nun in eine sehr komplizierte Lage bringt.“ 

KulturNetzKöln Demo im Juni 2024. Foto: Kevin Wolf

Was die Diskussion zudem nicht leichter macht: Die städtischen Betriebe, darunter das Gürzenich-Orchester und die Bühnen Köln, sollen sogar eine Aufstockung bekommen. Das Gürzenich-Orchester etwa, das in diesem Jahr noch mit 13,6 Millionen Euro gefördert wurde, soll 2025 14,8 Millionen, 2026 15,9 Millionen und bis 2029 sogar 18,3 Millionen Euro bekommen. Und der Etat für die Bühnen steigt laut Plan von 101.481.000 Euro im Jahr 2024 auf 126.770.00 Euro im Jahr 2025. Im Haushaltsentwurf heißt es: “Die gestiegenen Sanierungskosten des Bühnenensembles am Offenbachplatz führen zu einer finanziellen Mehrbelastung der Bühnen durch höhere Abschreibungen und Zinsen. Diese verschieben sich durch die verzögerte Inbetriebnahme voraussichtlich auf die Jahre ab 2027. Dem wird mittels eines Veränderungsnachweises zu diesem Haushalt Rechnung getragen.“ 

Die Baukosten für die Oper sind, so Trumann, “dummerweise im Kulturhaushalt verbrieft, wobei das eigentlich Geld ist für Beton und Stein – wir reden ja gar nicht über Inhalte in diesem Zusammenhang.“ Das Klischee, Kultur sei ja so teuer, sei vor diesem Hintergrund ein Trugschluss: “Die Inhalte sind ja preiswert. Die freie Szene veranstaltet über 50 Prozent des Kulturangebots bei einer Finanzierung von unter zehn Prozent des Gesamthaushalts. Wenn wir jetzt gekürzt werden, landen wir bei fünf Prozent, und das ist natürlich ein Schlag.“ 

Dementsprechend gibt es durchaus Stimmen in der freien Szene, die dafür plädieren, die Opernbaustelle ruhen zu lassen – zugunsten der Inhalte. Davon abgesehen müsse man überhaupt viel mehr darüber sprechen, wie die Verteilung der Kulturfördermittel in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aussieht, findet Trumann: “Das wäre doch mal ein Grund, das Thema jetzt zu diskutieren.“ 

Umso ernüchternder vor diesem Hintergrund wirkt der Eindruck, dass vonseiten der gut geförderten städtischen Betriebe niemand die Stimme zu erheben scheint für die freie Szene. “Wir haben keinen Aufruf der Oper, wir haben keinen Aufruf gegen die Kürzungen, nichts.“ Die Gründe dafür scheinen allerdings komplex zu sein – denn hinter vorgehaltener Hand bestätigen verschiedene Akteur:innen der Szene durchaus Solidarität und auch solidarisches Handeln vonseiten der Institutionen. Vorschläge wie der von CDU-Bürgermeister Ralph Elster, einen “Kultur-Soli“ einzuführen, bei dem ein Teil der Ticketgewinne der Institutionen an die freie Szene gehen, sind allerdings bisher nicht weiter öffentlich diskutiert oder umgesetzt worden. 

Anders ist die Lage in Berlin übrigens, wo die Institutionen gleichermaßen von Kürzungen betroffen sind: “Im Moment ist nichts wichtiger als der Schulterschluss der freien Szene mit der institutionellen Szene“, findet Gregor Hotz. „Und zumindest hier in Berlin gibt es viele Institutionen, die das wissen, verstehen und schon längst mit der freien Szene kooperieren.“ Erst vor zwei Wochen hat Joana Mallwitz, Generalmusikdirektorin des Konzerthausorchesters Berlin, eine bewegende Rede vor ihrem Publikum gegen die Kürzungen gehalten. Aber auch da: Was würde denn jetzt, in einer solchen Lage, überhaupt noch etwas bringen? “Meiner Meinung nach könnte es ein wichtiges Signal sein, wenn die Berliner Institutionen gemeinsam mit der Clubszene und der freien Szene kurz vor Weihnachten streiken würden“, sagt Gregor Hotz. “Wenn VW ankündigt Stellen zu streichen, dann gibt es einen Streik, sofort. Und wenn in der Kultur gestrichen wird? Dann machen, am Ende des Tages, alle weiter wie zuvor.“ Das sei natürlich leicht gesagt, denn “wenn Institutionen wie zum Beispiel die Komische Oper streiken, dann kommen zu den finanziellen Schwierigkeiten, mit denen sie sowieso schon kämpfen, weitere finanzielle Einbußen dazu, da sie wahrscheinlich Tickets zurückerstatten müssten. Aber ich glaube, da muss man durch.“ 

Die Öffentlichkeit in Köln, das glaubt Janning Trumann, wird jetzt nicht mehr viel ausrichten können: “Wenn wir jetzt zwanzigtausend Menschen vors Rathaus kriegen und die Stadt lahmlegen würden wie die Landwirte letztes Jahr in Berlin, dann hätten wir eine große Chance. Aber ich sehe das ehrlich gesagt nicht.“ Mobilisierung innerhalb der freien Szene bekomme er kaum mit: “Die Chance zu protestieren wäre jetzt da gewesen, aber die wurde nicht wahrgenommen.“ Das KulturNetz Köln allerdings, das ja schon im Juni und Oktober größere Demonstrationen organisiert hat, trifft sich und berät sehr wohl darüber, wie protestiert werden könnte – das bestätigt Thomas Gläßer, Sprecher der Sektion Musik im KulturNetz. Allerdings sei dort eine Vielfalt von Perspektiven und Interessen zu synchronisieren, was schnelle Aktionen erschwere: “Man könnte grob sagen, dass es zwei Tendenzen in der freien Szene gibt“, sagt Gläßer: “Viele Akteur:innen haben die Nase voll und wünschen sich einen selbstbewusst geführten Diskurs, der auch eine Neujustierung der kommunalen Kulturförderung und ihrer Ressourcenverteilung thematisiert. Andere setzen auf leise Töne, maximale Konstruktivität und eine Solidarisierung mit den Institutionen – und eventuell sogar mit den Sozialverbänden und dem Sport.“ 

Heißt: der Umgang mit der symbolisch aufgeladenen Opernbaustelle sorgt auch in der freien Szene für Diskussion – was angesichts der Komplexität der Frage nicht verwundern sollte. “Die Szene ringt gerade darum, welche Diskussion jetzt sinnvoll und produktiv geführt werden kann“, sagt Gläßer. “Und die Grundfrage, wie die kommunale Kulturförderung im 21. Jahrhundert aussehen sollte, hat viele Aspekte. Es geht um künstlerische Formen und kulturelle Perspektiven, die Gewichtung von Infrastruktur und Programm, die Förderung von Produktion und Präsentation, die Gewichtung von freier Szene und den Institutionen, oder auch um Diversitätsdiskussionen. Wir haben eine sehr asymmetrische Abbildung der Stadtgesellschaft in der Kulturförderung, auch bei den Künstler:innen und Kunstformen. Gibt es Spielräume, diese Asymmetrie zu korrigieren?“ Den Wunsch, ein breites Bündnis schließen zu können, habe man im KulturNetz nicht aufgegeben. Deshalb ging am Mittwoch ein Statement an die Öffentlichkeit, eine Social Media-Kampagne ab Dezember und eine Aktion im Januar seien in Planung – ob in Form einer Veranstaltung mit Diskussionsraum oder einer großen Laufdemo, steht noch aus. Und dann beginnt ja schon der Wahlkampf, in der die Kultur – und ihre Bauten – auch ein Thema werden dürften.  

KulturNetzKöln Demo im Juni 2024. Foto: Kevin Wolf

Diese Woche jedenfalls, sagt Janning Trumann, “machen die Parteien ihre Bücher zu und dann wird der Entwurf eingebracht.“ Formell wird der Haushalt am 13. Februar 2025 verabschiedet, entschieden ist er dann jedoch schon seit der Finanzausschusssitzung am 17. Januar um 10 Uhr. In dieser Sitzung bringen die Parteien ihre Veränderungsnachweise ein – laut Andrea Kostolnik (Die Linke) sowohl die Parteien, die zum Regierungsbündnis gehören, als auch die Opposition. Verabschiedet werde in der Regel der erste der beiden Anträge, der zweite finde normalerweise keine Mehrheit. Viel wird die Öffentlichkeit kurzfristig also nicht mehr ausrichten können. Auch in Berlin ist Gregor Hotz nicht allzu zuversichtlich: “Ich mache mir keine großen Hoffnungen, dass sich noch viel ändert. Ich glaube, die ziehen das tatsächlich durch.“ 

Immerhin besteht in Köln die leise Hoffnung, dass die aufgebrachten kulturpolitischen Sprecher:innen trotzdem noch Gelder finden und erkämpfen, um die freien Projekte und Ensembles weiterhin zu fördern. Vielleicht wird es ja doch nicht ganz so furchtbar wie gedacht.