NOIES MUSIK
SZENE NRW
Zeitung für neue und experimentelle Musik

gedanken über kulturhaushalt: versprechen gebrochen

September 2024

Nachdem die freie Szene die Pandemiejahre vor allem durch öffentliche Förderprogramme überstanden hat, erscheint der Abgrund umso tiefer, der sich aktuell auftut: Bei der Planung der Bundes-, Landes- und auch des städtischen Haushalts für das kommende Jahr stehen massive Kürzungen an. Hannah Schmidt fasst den aktuellen Kölner Stand Anfang August zusammen.
KulturNetzKöln Demo. Foto: Kevin Wolf

Von Hanna Schmidt


Vertreter:innen der freien Szene, ver.di, der Kulturrat NRW, das NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste und weitere haben bereits öffentlich in Briefen und Aufrufen protestiert – Teile der freien Szene Köln zuletzt auch bei einer Demonstration. Die Alarmierung ist berechtigt: Auf Anfrage bestätigt die Stadt Köln, dass »angesichts der angespannten finanziellen Situation […] bereits klar« sei, »dass erhebliche Anstrengungen in allen Bereichen der Stadtverwaltung notwendig sein werden«.

Einzelne Kulturstätten in NRW erfahren die Folgen des knappen Bundes- und Landeshaushalts bereits jetzt: Ende Juli berichtete die Rheinische Post, dass der Bund die Förderung für das Bündnis internationale Produktionshäuser, zu dem auch das Düsseldorfer FFT, PACT Zollverein und das Tanzhaus NRW gehören, stoppen will — was bereits geplante Produktionen unmöglich machen und die Arbeit extrem erschweren würde. Noch hoffen laut RP die Intendant:innen auf einen Kompromissvorschlag – sollte der aber nicht kommen, wären die Folgen für die Arbeit der freien Szene bereits in diesem Kontext schwerwiegend.

KulturNetzKöln Demo. Foto: Kevin Wolf

Mit Blick auf Köln komme »ein erstaunlich großer Teil des Kulturangebots der Stadt aus der freien Szene«, sagt Thomas Gläßer, der im Vorstand des KulturNetzKöln, des Netzwerks ON Cologne (zu dem auch diese Publikation gehört) und der Initiative Freie Musik IFM sitzt. »Wir schätzen ihn im Kulturnetz auf etwa 60 Prozent« – und das, obwohl die freie Szene bisher nur 5 Prozent der Mittel aus dem städtischen Kulturetat erhält. Bereits jetzt seien »die meisten Strukturen und Einzelakteur:innen so prekär aufgestellt, dass jede Kürzung die Szene empfindlich treffen würde« – und zwar nicht nur jede Kürzung, sondern »im Grunde schon das Ausbleiben des dringenden Inflationsausgleichs von 10 Prozent auf alle Struktur- und Projektförderungen«. In der Folge müssten vermutlich »etliche Ensembles, Festivals etc. ihre Arbeit einstellen« – und das wäre gerade für die Stadt Köln, die sich ja durchaus mit ihrem diversen und umfassenden Kulturangebot brüstet, ein Armutszeugnis. Anstatt zu kürzen, sollte die Stadt dieses Potenzial »viel beherzter pflegen, entfalten und finanzieren«. Das müsse auch unter schwierigen Bedingungen möglich sein – denn diesen Gestaltungsspielraum haben Städte und Kommunen durchaus. Da der Haushaltsplan jedoch Ende Juli noch nicht verabschiedet war, lehnte die Stadt Köln ein Gespräch zwischen der Autorin und Kulturdezernenten Stefan Charles ab.

Bereits jetzt, nach dem Ende des Neustart-Kultur-Programms, ist es allerdings für viele freie Kulturschaffende schwierig an Förderungen für ihre Kunst zu kommen – in einem Beitrag des Kölner Stadtanzeigers beschreibt es die Leiterin des Literaturhauses und ebenfalls Vorsitzende des KulturNetz Köln, Bettina Fischer, so: »Das Land fördert mitunter nur, wenn die Stadt auch fördert. Wir holen mehr an Drittmitteln für unsere Arbeit rein, als wir von der Stadt erhalten. Die zur Verfügung stehenden Geldmittel schrumpfen dann also an allen Stellen.« Thomas Gläßer weist darauf hin, dass es bereits jetzt Akteur:innen in der Musik gebe, »die das Fünf-, Sechs- oder Siebenfache ihres städtischen Zuschusses an Drittmitteln akquirieren.« Das KulturNetz Köln schlägt daher vor, den Anteil der freien Szene am städtischen Kulturetat schrittweise über mehrere Jahre massiv aufzustocken – von 5 Prozent (14 Millionen Euro pro Jahr) auf 20 Prozent. Alles andere, insbesondere die zu befürchtenden Kürzungen, sei inakzeptabel: »Es darf nicht so kommen«, sagt Gläßer. »Erstens ist die Finanzierung der freien Szene mit insgesamt 14 Millionen so knapp gestrickt, dass hier ohnehin keine nennenswerten Sparbeträge zu holen sind. Zweitens stünden Kürzungen in der freien Szene »im harten Widerspruch zu den seit Jahren erfreulich klaren Bekenntnissen aller maßgeblichen Parteien zur Bedeutung der freien Szene.«

KulturNetzKöln Demo. Foto: Kevin Wolf
KulturNetzKöln Demo. Foto: Kevin Wolf

Das merken auch sämtliche offene Briefe an, die seit Monaten online kursieren. Ende Oktober 2023 schrieb etwa ver.di: »Das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag droht mit den geplanten Kürzungen ad absurdum geführt zu werden. Das erschüttert das gerade gewonnene Vertrauen vieler Kulturschaffender sowie kulturbegeisterter Menschen in eine zukunftsgerichtete Kulturpolitik.« Der Kulturrat NRW formulierte im August vergangenen Jahres: »Für den landesgeförderten Bereich gab es Hoffnung, denn die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag eine jährliche Steigerung des Kulturetats vorgesehen, der manche Kostensteigerung abfedern und überdies dringend benötigten Spielraum für Aufgaben schaffen würde, die im Kulturgesetzbuch für NRW festgelegt sind. Doch der nun in den Landtag eingebrachte Haushaltsentwurf 2024 bedeutet faktisch eine Kürzung.« Das Argument der »schwierigen Zeiten« ließen die Unterzeichner:innen und Verfasser:innen schon vor einem Jahr nicht gelten: »Die Zeiten waren auch schon schwierig als die schwarz-grüne Regierung den Koalitionsvertrag unterzeichnet hat: Die Covid-Pandemie und die damit verbundenen Schulden waren bekannt und auch der Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Energiekrise hatten bereits begonnen.«

KulturNetzKöln Demo. Foto: Kevin Wolf

Am 1. Oktober geht die freie Szene in Köln deshalb wieder auf die Straße: »Wir planen, bis zur Verabschiedung des Haushalts kontinuierlich aktiv zu sein«, sagt Thomas Gläßer. Das KulturNetz wolle »sowohl den Druck hoch halten als auch die inhaltlichen und strukturellen Debatten um die kommunale Kulturförderung vertiefen.« Forderungen sind unter anderem neben »Bestandssicherung und Inflationsausgleich« die »Verabschiedung, Umsetzung und Finanzierung des Musikförderkonzeptes« und »strukturbildende Maßnahmen in allen Teilszenen«: »Einerseits sollen aus unserer Sicht neue Projekte wie ein Festival und ein Büro für Globale Musik, die Wiedereröffnung des Studios für Elektronische Musik und ein Verbund akustisch aufgewerteter kammermusikfähiger Räume mit gemeinsamen Betriebsbüro auf den Weg gebracht werden«, sagt Thomas Gläßer. Andererseits gelte es »herausragende bestehende Strukturen” wie zum Beispiel die Spielstätte Loft, das Ensemble Concerto Köln, das Produktionszentrum ZAMUS (Zentrum für Alte Musik) oder das Festival Cologne Jazzweek »weiter zu entwickeln und zu stärken.«

KulturNetzKöln Demo. Foto: Kevin Wolf

Die Musikjournalistin Hannah Schmidt schreibt u. a. für die ZEIT, das VAN-Magazin, den WDR, SWR, BR und Deutschlandfunk. Ihr Buch „Dirigent*innen im Fokus. Warum die klassische Musik fundierte Machtkritik braucht“ (in Kooperation mit dem Frauenkulturbüro NRW) ist im November bei transcript erschienen. 2023 erhielt sie den Reinhard-Schulz-Preis für zeitgenössische Musikpublizistik.