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Zeitung für neue und experimentelle Musik

gedanken über panigiria: opopopopopopopopopopo oder partymusik für schutzheilige

Juli 2025

In einer Blechlawine fährt Johanna Dombois durch den Parnass, um Panigiria zu feiern: eine griechische Festtradition zwischen Gottesdienst und Party mit Cocktail aus Ritualen, Rundtänzen und Rosenblättern. Ein Bericht
Nach dem Panigiri, Lefkes, Paros-Kyklades ® Johanna Dombois

Von Johanna Dombois

Οι γραμματοσειρές μας εΠι του Παρόντος ακόμη ασκούνται στα Ελληνικά. Το κεφαλαίο Π το καταφέρνουν, όχι όμως και το μικρό Π. Για τον λόγο αυτό, θα χρειαστεί να ΠροσΠεράσετε κάΠοια κεφαλαία στο Παρακάτω κείμενο.


Im Sommer mittags in einer Hochebene des Parnass. Es ist die Stunde, in der Pan schläft, wie die Alten sagen. Ewige Landschaft, Halden aus Schotter, staubig, zerzaust, Geräusch von Ziegenglöckchen, knochenweißes Licht bis in die Täler zum Golf, es riecht nach Bergkräutern und falsch lieblich nach Müll. An einem Wegekreuz taucht ein Auto auf, scharf gebremst vor einem Telegraphenmast, der mit vergilbten Postern zugetackert ist. Ein Mann steigt aus, dann noch einer, Tante Eleni, drei Kinder. Auf den Postern sind Pomadenköpfe, große Damen als Brustbild, Kerle mit Klarinetten, Fiedeln, tanzende Noten und Schriftzüge im Sternchenhimmel zu sehen wie auf Zirkusplakaten, als es noch Zirkusplakate gab. Die Männer fangen das Diskutieren an, Eleni ist schon am Handy, hoppa!, Lachen, jemand schlägt ein Kreuzchen, und weg sind sie wieder. Noch lange hängt eine Staubfahne in der Luft.

Wo sind wir? – In der griechischen Pampa, Herzschmerzland des südlichen Balkan, wohin sich Touristen bloß verirren, wenn ihr GPS kaputt ist. Die Plakate sind Ankündigungen für die nächsten Πανηγύρια. In den kommenden Wochen werden in den umliegenden Gemeinden viele davon stattfinden: Panigiria sind jährlich wiederkehrende Volksfeste zu Ehren örtlicher Schutzheiliger und Namenspatrone, Feiern mit byzantinischem Ursprung, bei denen sich Ikonen-Prozession, Kirmes und Clubevent für Volksmusik unter freiem Himmel verbinden. Im Grunde ist um den 15. August – Himmelfahrt der Jungfrau Maria (gr. Παναγία, Panagia), dem für die orthodoxe Kirche zweitgrößten Feiertag nach Ostern – ganz Griechenland zugetackert mit Panigiria. Jedes Kind kennt sie von Epirus bis Kreta, jeder Taxifahrer in Athen singt mit, wenn im Radio ein Mitschnitt aus Sernikaki kommt, selbst wenn er nie in Sernikaki war und auch nicht weiß, wo es ist. Der Sohn des Wirtes beim Jamas in Köln-Nippes erzählte neulich, er sei Tanzlehrer, Formation, Salsa, solche Sachen! Mit griechischer Tradition habe er es nicht so. Ich: »Wie? Und Πανηγύρια??« Er: „Das ist ja was anderes. Panigiria sind Kindsein und Ferien beim ΠαΠΠούς, dem Opa. Da tanzen wir alle zusammen, ist cool.“

Dem altgriechischen Wort nach ist das Πανήγυρις, Panḗgyris erstmal eine »Versammlung« ohne kultischen oder spielerischen Bezug. Die panhellenischen Spiele (im antiken Olympia, Delphi u.a.), die zu Ehren und unter Aufsicht der Götter abgehalten wurden, bezeichnete man später aber ebenso. Dass die Vokabel im heutigen Alltagsgriechisch daneben »Krach« bedeutet, ja, man είναι για τα Πανηγύρια sagt, wenn man etw. oder jem. total verrückt, gaga, durchgeknallt findet, passt, gerade weil es so wenig zu passen scheint.

Vor dem Panigiri, Marpissa, Paros-Kyklades ® Johanna Dombois

Für mich ist das Panigiri eine Art archaischer Cocktail. Wie kein anderes musikperformatives Format Griechenlands ist es das Brennglas der Unterhaltungsformen einer multiethnischen Gesellschaft im Zustand des Zerfalls und darin so gegenwärtig, das es in sich experimentell dasteht, Leuchtturm der Berge: es zeigt, es macht, es archiviert, was je schon war, was eben noch ist und bald einmal sein wird. Wild und elementar, marktschreierisch und volksweise, ärmlich, voller Balkantrash und als Container der Traditionen doch so kostbar, dass Anspruch auf Weltkulturerbestatus bestünde, hat das griechische Panigiri sogar die Corona-Zeit überlebt, in der außer dem freien Himmel alles verboten war, was es ausmacht. Manchmal trägt der Himmel eben.

Die zwei wichtigsten TOPs eines Panigiri sind früh der Kirchgang und spät das Konzert mit Tanz. Das heißt, liturgische Deklamation und Volksmusik. Beides zusammen stellt die Klammer für die Festgemeinschaft dar, auch wenn schon lange nicht mehr alle mit zur Kirche gehen. Dazu gehört, dass »Volksmusik« in Griechenland nicht nur niemals ein Reizwort war wie bei uns armen Seelen, sondern das Gegenteil. Griechische Volksmusik ist keine Folklore und mit dem Alltag jeder und jedes Einzelnen auf eine Weise verwoben, dass man sie sich als emotionalen Sweetspot einer Nation vorstellen darf. Wenn überhaupt vergleichbar, dann mit dem Kölner Konzert Wolf Biermanns im November 1976 drei Tage vor dessen DDR-Ausbürgerung oder Rio Reisers Traum ist aus-Performance in der Seelenbinderhalle, Ostberlin, 1988. Zwar fehlt hierbei völlig der religiöse Bezug, und die geschichtliche Dimension ist nicht übertragbar. Aber griechische Volksmusik ist nicht zuletzt so reich, weil sie selbst länderübergreifende Traditionen enthält wie prägt. Griechenland mag geopolitisch zum Randstaat der EU heruntergekartet sein, aber musikalisch ist es die Brücke von und nach Kleinasien. Der berühmte Αμάν-Klageruf (Aman od. Amman, in etwa »weh mir«, »gütiger Gott«, »ach«, milder »mein lieber Scholli«, »whow« u.ä.) kommt aus dem osmanischen Türkisch, das selbst persische und arabische Wurzeln hat, und man kann ihn nicht nur im Rebetiko, sondern trotz schärfster habitueller Abgrenzung Griechenlands zur heutigen Türkei in aktuellen Popsongs auf Radiostationen entdecken, die μόνο Ελληνικά senden, »nur griechisch«. Die Volksmusik der Hellenischen Republik ist World Music, die es gab, bevor es World Music, ja sogar, bevor es Hellenische Republik überhaupt gab. Wollte noch jemand was zu E- und U-Musik wissen? Vergesst es. Der Exportschlager Sirtaki beispielsweise, mit dem Gabi Mustermann ihren Griechen identifiziert, ist eine Erfindung von Theodorakis für Anthony Quinn in Alexis Sorbas von 1964 gewesen, ein Kunsttanz, der von Symphonieorchestern eingespielt und zum Lieblingsflashmob der griechischen Diaspora zwischen Birmingham bis Singapur wurde, bis er mittendrin urplötzlich in Athen Volksgut war. Vergesst es vor allen Dingen, weil es ungriechisch ist, in Unterscheidungen zu denken.

Vor dem Panigiri, Galaxidi, Nordgriechenland ® Johanna Dombois

Damit sind wir wieder in der Pampa. Es ist Abend geworden, und eine Blechlawine schiebt sich am Telegraphenmast vorbei ins nahegelegene Davlia, dem schon bei Homer erwähnten Daulis. Vergesst auch Straßenbeleuchtung. Wir sind im Gebirge, in unmittelbarer Nähe liegt das mythische Dreiwegekreuz, an dem Ödipus auf dem Weg nach Delphi den Laios erschlug. Hupen, Bässe aus Autoradios, es ist immer noch heiß, Zikaden im wilden Salbei. Die Blechlawine erreicht das Ortseingangsschild und zerteilt sich in fünf Blechlawinen. Davlia war die Stadt am Ende jenes Weges, den Ödipus nicht genommen hatte. Aus dem fahrenden Auto Richtung Kiosk: Freunde, sagt mal, wo ist die Kirche? In Griechenland nicht immer im Dorf. Jemand schreit uns die Antwort hinterher. Vor geschätzt 2500 Jahren habe ich einmal einen Kalenderspruch gelesen, so doof, dass ich ihn bis heute parat habe, er lautet: »Χάος, cháos ist ein griechisches Wort«. Wer je nach einem Panigiri gesucht hat, wird das auch so sehen. Es ist ein Chaos, in dem man sich aber auf merkwürdige Art geborgen fühlt. Aufgehoben wie das Sandkörnchen in der großen Uhr, in der alles wimmelt, aber es wimmelt in eine Richtung.

Panigiri Ag. Paraskivi in Lefkes, Paros-Kyklades ® Johanna Dombois

In dem Moment schlägt die Tonfahne eines Mikrotests über uns zusammen, Kinderchen, das war Philio Pirgaki! – die Grande Dame des Festland-Panigiri – Wir sind da, bravo! Am Hang fällt ein Parkplatz vom Himmel. Man hört eine Salve Hammond-Orgel, aus den Gassen strömen Leute Elenis Großfamilie hinten Fetzen gesummter Liturgie vorne Kinder ab 3 albanische Ballonverkäuferinnen Wägelchen mit 17 eisgekühlten Bierdosen gegrillte Maiskolben Kettenkarussells Souvlakiabuden Rosenblüten auf Tabletts und im Gegenlicht der Neonstrahler tritt man durch die Pforte:

Vor uns öffnet sich ein fast runder Platz. Bis auf eine Aussparung am Nordende ist er mit hunderten weißer Monoblocs eingestuhlt, Ketten von Wimpeln in National- und Kirchenfarben flattern im Abendwind, sonst obendrüber nur die Perseiden. Rechterhand steht das Kapellchen, vor der weit geöffneten Tür auf einem Ambo die mit Jasmin geschmückte Festtagsikone des Hl. Theodoros. Wenige Schritte entfernt Kerzenschränke. Auch hier kommen und gehen die Leute, sie zünden Opferlichte an, küssen ihren Theodoros, legen Basilikumbüschel dazu. Inzwischen ist es Viertel nach 10. Es gibt keinen Anfang oder Auftakt, sehr selten nur Anmoderationen. Zum Tal hin – der Eindruck ist als wäre der dunkle Platz das Gehäuse eines Kaleidoskops, an dessen Ende sich gleißende, bunte Splitter zu einem Bild zusammenziehen –, steht die Bühne. Ein kleiner hoher Kasten ohne Vorhang und von Glühbirnen ausgeleuchtet, die Rückwand mit griechischen Kelims dekoriert. Jacken hängen über einem Lautsprecher. Eine Klarinette liegt da, brennende Kippen, offenbar von der Drei-Mann-Combo, die Läufe testet testet testet, wobei die Läufe länger und länger werden. Es existiert keinerlei Schwelle zwischen Probe und Aufführung, nicht mal die Hemmschwelle. Ein feines, für Außenstehende kaum wahrnehmbares Netzwerk organisatorischer, weniger künstlerischer Belange gibt den Ausschlag dafür, wann etwas wie in Fahrt kommt.

An der Rampe der Bühne steht schließlich die Stuhlreihe für die Solist*innen. Es ist die uralte Anordnung des Rebetiko. Man singt im Sitzen. Zu stehen ist nicht verboten, doch orientiert man sich auch dann am eigenen Stuhl. Niemals habe ich während eines Panigiri eine*n Sänger*in oder Musiker*innen herumgehen sehen, selbst nicht, wenn das Konzert bis in die Morgenstunden dauerte. Während der Aufführung schwatzen, Bier trinken, ins Publikum grüßen, man kennt sich, all das ja. Aber der Raum wird außer mit Klängen nicht durchmessen. Inmitten des Getöses gibt es eine zärtliche Obacht, Maß und performative Bescheidenheit selbst bei den Panigiria-Stars. Das ist eine dienende Performance, dachte ich oft, als lebe darin noch die Idee des Bänkelsang, für den es wichtig ist, dass die Mitteilungen, die zu machen sind, ankommen. Im Kern bleibt es orthodoxe Zeremonie.

Panigiri im Werfthaus von Monastiri, Paros-Kyklades ® Johanna Dombois

Und dann hoppa! Gewinke, da ist Philio, έλα! kommt! Giorgos Velissaris (Γιώργος Βελισσάρης), ein wichtiger Interpret der mittleren Generation, ist schon am Platz. Neben ihm – zaubern wir ihn uns heute nochmal dazu – Makis Bekos (Μάκης Μπέκος) aus Agrinio, der 2014 starb, als einer der großen Volksklarinettisten gilt und schon mal das Jackett ausgezogen hat. Also Πάμε Παιδιά! Auf geht’s, ihr Lieben [orig.: Kinder]! Was man dann hört, kommt einem Traum nahe, aber keineswegs dem schönsten, erstmal:

Es klingt unfassbar roh. Genau, roh. Und schepprig. Schleppend vor allen Dingen, wie Gesang mit Bleifüßen, merkwürdigerweise zugleich schiebend, als besäße diese Musik ein Stromaggregat. Laut ist es, schlecht ausgesteuert. Die Besetzung: 3 Stimmen (2 Damen/ 1 Herr), 1 Klarinette, 1 E-Gitarre, 1 Synthi, 1 Schlagwerk, 1 Schellentrommel. Wie gehabt befinden wir uns heute im Norden Griechenlands. Panigiri-Besetzungen variieren regional sowohl in der Anzahl der Musiker*innen als auch der Auswahl der Instrumente. Klarinette steht für die Regionen Festland und Peloponnes, sprich Nord- und Mittelgriechenland. Auf den ägäischen Inseln wird die Κλαρίνο durch eine ΜΠουζούκι (Bouzouki, Langhalslaute) ersetzt, auf Kreta durch die Lyra/ Kniegeige, alternativ die Fiedel (beide mit Bogen gestrichen), dazu kommen passim die Sackpfeife ΤσαμΠούνα (Tsambouna, auch »griechischer Dudelsack«), das Akkordeon, die Triangel u.ä. Die regionalen Sounds, die diese Instrumente über die Zeiten etabliert haben, wirken so identifikatorisch, dass ich Leute kenne, die im Norden wohnen und im Süden Sommerurlaub machen, eigentlich eine Idiotie bei dem Wetter, bloß um endlich mal wieder eine Fiedel statt einer Klarinette zu hören. Das allergrößte Instrument der Panigiria freilich ist: der Hall. Es ist nicht möglich ohne, Kinder, was soll man machen. Gäbe es keinen Nachhall, gäb’s kein Glück.

Nach dem Panigiri Ag. Paraskivi in Lefkes, Paros-Kyklades ® Johanna Dombois

Eine halbe Stunde ist vergangen, Velissaris ist weiter bei seiner Eröffnung. Inzwischen hat man sich bei dem Gedanken erwischt, dass das jetzt bitte nicht 4 Stunden so gehe, aber nach 8 ist man womöglich immer noch da. Das Schleppende wird wiegend, naive Rhythmik, verschliffen, aufreizend, in Momenten jazzig, dann wieder nervtötend, inbrünstig, kleine mittelmeerische Walzer über elementaren Textblöcken. Der Gesang selbst betont seinen liturgisch-deklamatorischen Bezug. Sprachlicher Ausdruck rhythmisiert die Kompositionen und vermengt sich ohne Pardon für Anachronismen mit Pop-Grooves. Der alte Bob Dylan fände in dieser Pampa gute Kollegen. Titel eines Programms lauten: Ich will die Berge zerreißen; Mutters Name bleibt; Die Freude der Welt; Die Flügel der schwarzen Henne; Ich bin für rote Lippen. In Wahrheit ist es ein Sog. Es geht um eine Verflüssigung von Textmasse, die sich durch die Zeit schiebt und dramatisch wirkt, dabei ihren festgefügten Rahmen niemals verlässt. Auch einzelne Lieder werden selbst bei einem Solist*innenwechsel und zum Preis krasser Rhythmuswechsel nicht durch Pausen voneinander getrennt. Duette existieren über ein spontanes Zusammensingen hinaus ebenso wenig, sieht man vom Beitrag der Klarinette ab, die Stimme werden und reden und lachen und klagen kann. In Spitzenaufführungen führt dies zu einem Wechselgesang mit den Sänger*innen. Makis Bekos besaß die Verrücktheit, während seines Spiels zu rauchen. Wenn das kein Symbol ist, dass weniger die Klarinette vom Spieler als der Spieler von der Klarinette den Atem bezieht. Bald geht die Sonne auf.

Tische sind zusammengeschoben. Um darauf zu tanzen. Die Souvlakiastände haben längst Feierabend. Zu zweit, zu dritt, mit Kindern auf den Schultern oder einem Whiskeyglas auf dem Kopf bilden sich in der Höhe ausgelassene Reigen. Für den Rest ist der Tanzboden vor der Bühne da. Die griechischen Rundtänze ziehen alle mit hinein, die nicht einsam bleiben wollen, und fast alle Griech*innen wissen auch zu tanzen. Das weiße Tuch der Leittänzer*innen hat Champagnerflecke. Geldscheine liegen im Sand. Rosenblätter. Diese kann man pro Schale für 5€ bei den Blumenfrauen kaufen, um sie über den Köpfen von Philio, Makis und Giorgos auszuleeren. Eine Fürbittengeste, vergleichbar dem Reiswerfen bei Hochzeiten. Und man hat schon Sänger gesehen, denen Bündel von Banknoten noch mit Banderole im Gürtel steckten. Im Himmel segeln die letzten Glühfäden des Feuerwerks. Abblende. Sie ist da, Ο ήλιος. Klarinettensolo Die Sonne, Makis Bekos in Μιχόι, Präfektur Achaia, um 2012, URL: https://tinyurl.com/5eu4be6f (#31, ab 01:02:14).


Mehr Links nachfolgend. Note: Ein von mir erwähnter Name steht für fünfzig ebenso erwähnenswerte Namen, ein Dorf für hunderte von Gemeinden, ein Tanz für eine Myriade weiterer Volkstänze, eine Rosenblütenschale für eine Welt.

1. »Ur-Panigiri«: Dies ist die längste verfügbare Aufzeichnung des oben erwähnten Panigiri mit Makis Bekos und für mich eines der kostbarsten Dokumente im Netz zum Thema überhaupt. Die Veranstaltung war vergleichsweise klein. Dennoch finden sich alle Ingredienzen eines klassischen Panigiri bis hin zur klappernden Aufzeichnungsqualität. Panigiri in Μιχόι, a.a.O., URL: https://tinyurl.com/5eu4be6f (Schnittfassung).

2. Γιώργος Μάγγκας: Der griechische Roma Giorgos Mangkas aus Livadia ist ein weiterer Herkules der Klarinette. Für viele ist er der »König des Balkan-Jazz«. Zu seinen Auftritten gehört die Nummer, dass er, sofern er bei Laune ist, sein Instrument um immer mehr Segmente verkürzt, je länger der Abend wird, so dass er zum Schluss auf dem Mundstück spielt. »Mangkas« bedeutet gr. auch »verrückter Kerl«. Giorgos der Verrückte ist ein Vorzeigebeispiel für die nationale und internationale Karriere, die ein griechischer Volksmusiker durchlaufen kann. Wie alle hat er als Laienspieler in seinem Dorf begonnen, es folgten überregionale Konzerteinladungen, schließlich Studio- und TV-Produktionen sowie Plattenverträge, die die Panigiria auf die blanken Bühnen der Städte holen. 2014 war ein Kurzfilm über Giorgos Mangkas Beitrag auf der documenta 14 Athen-Kassel. Mangkas live im TV συν Πλην (plus minus) mit seiner Partnerin Τζούλη Τζινιέρη (Julie Ginieri), o.D., URL: https://tinyurl.com/5rn6zmjt

3. Γωγώ Τσαμπά: Gogo Tsampa ist die Frau, die Opopopopopopopopopopo erfunden hat. Eigentlich »O popopo popopo popopo popopopopopopo« kann man das Gebilde durchaus als musikalisiertes »Oooohhhhh« lesen. ω ΠΟΠΟΠΟ ΠΟΠΟΠΟ ΠΟΠΟΠΟ ΠΟΠΟΠΟΠΟΠΟΠΟΠΟ kommt von »ω ΠΟΠΟ«, das heißt „»Junge, Junge«, »Mannomann«, »Du liebe Zeit«, ein Ausruf des Verrücktwerdens, auch Staunens, sozusagen die kleine Fassung des Aman-Rufs. Nach allgemeiner Ansicht gehört Frau Tsampa nicht zu den Top of the Folkpops. Sie hat aber, es war anfangs wahrscheinlich einfach nur ein Tick, ein zentrales Sinnelement der Panigiria so komprimiert, dass sie damit nicht nur 2013 einen Kassenschlager gelandet hat, sondern selbst zum Markenzeichen des griechischen Kirchweihfests geworden ist, zumindest für die jüngeren Publikumsschichten. Ihr Zungenbrecher erschien zum ersten Mal in einem eigenen Song in Τα καγκέλια (Die Zäune auf Gogos Album Έχεις Τρελάνει Κόσμο, Next Records Hellas, 2013). Gogo live im TV, 2013, URL: https://tinyurl.com/3bskchf2 (EA, Ausschnitt), https://tinyurl.com/mr3zpeva (EA, komplett).

4. Rausschmeißer: Nochmals Mangkas, Impro in der Die-Lächeln-ist Ansteckend-Show, TV (Mega), o.D., URL: https://tinyurl.com/3dcp3w6v (insg. 4:10 min., alles hören! 3:14 ff., …und DAS ist Volksmusik?! – OPOPOPOPOPO…

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Die Autorin Johanna Dombois lebt in Köln und Athen. Sie schreibt Essays, kreative Non-Fiction und Kurzepik für Print, Funk und Netz. Sie promovierte zu Richard Wagners medialen Dramaturgien und gewann u.a. den Medienkunstpreis Bundesamt für Kultur der Schweiz. Dombois lehrt am Institut für Musik und Medien in Düsseldorf.