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Zeitung für neue und experimentelle Musik

gedanken über vielfalt im verein: mach’s einfach!

Aus Noies 05/24 Oktober 2024

Asiatische Musiker:innen und Komponist:innen sind ein fester Bestandteil der deutschen neuen Musik. In Vereinen und Interessenvertretungen fehlen sie jedoch häufig. Die Musikerin Rie Watanabe fragt sich, woran das liegt – und hat ein paar Vorschläge.
Aus Noies 05/24

riewatanabe.net

Von Rie Watanabe
Hier geht’s zur japanischen Version des Texts


Musiker:innen und Komponist:innen mit asiatischem Migrationshintergrund gehören zur deutschen Musikszene und zu den deutschen Musikhochschulen selbstverständlich dazu. Einige von ihnen sind in Deutschland geboren oder aufgewachsen. Andere sind aus verschiedenen Gründen zum Studieren nach Deutschland gekommen und hier geblieben. Ich selbst bin eine von ihnen.

Foto: Julian Pache

Das Verhältnis von asiatischen und nicht-asiatischen Musiker:innen und Komponist:innen ändert sich jedoch nach dem Studium deutlich, weil nicht wenige Studierende nach ihrem Abschluss in ihr Heimatland zurückkehren. Trotzdem sind asiatische Musiker:innen von den deutschen Bühnen nicht wegzudenken.

Seit 2011 lebe ich als freie Musikerin in Köln und bin seit 2018 Mitglied bei der KGNM, der Kölner Gesellschaft für neue Musik, einem Verein für die freie Musikszene. Nach meinem Beitritt zur KGNM erhielt ich zunehmend die Gelegenheit, aktiv oder passiv an Sitzungen und Veranstaltungen teilzunehmen. Irgendwann stellte sich mir die große Frage: Wo sind die Kolleg:innen aus Asien, obwohl ich sie immer wieder auf der Bühne sehe? Warum sitzen bei solchen Sitzungen fast nur deutsche Kolleg:innen, es sei denn, das Thema hat etwas mit Asien zu tun? Gleichzeitig frage ich mich auch, warum ich sie vermisse und denke, dass ich meine Kolleg:innen aus Asien gerne ebenfalls in einem Verein wie der Gesellschaft für neue Musik dabei hätte.

Mit diesen Fragen habe ich vier Kolleg:innen aus Asien kontaktiert: drei aus Japan und Korea, die aktuell in NRW leben, sowie eine weitere Kollegin aus Japan, die früher in Köln lebte und jetzt wieder in Japan wohnt. Ich stellte ihnen einige Fragen und machte mir auch eigene Gedanken dazu. 

Die erste Frage lautete: Wussten die vier von Vereinen wie der KGNM, als sie studiert haben? Die Antworten waren unterschiedlich. Manche wurden von ihren Professoren gut informiert. Für die anderen war und ist noch immer unklar, was dort genau gemacht wird und wer Mitglied werden kann. Warum?

Als ich, und auch die anderen, zum ersten Mal das Wort „Verein“ hörte und es ins Japanische übersetzte, dachte ich zunächst, dass man nur unter bestimmten Voraussetzungen Mitglied werden könnte. Es gibt natürlich Vereine mit solchen Beschränkungen, aber die KGNM oder die GNMR sind ziemlich offen für alle. Das erfuhr ich zufällig von einem Kollegen, der es mir mit einfachen Worten erklärte (ein glücklicher Zufall!). Natürlich kann jeder direkt eine E-Mail an den Verein schreiben, um nachzufragen, aber das habe ich nicht getan. Ein Grund dafür ist, dass es für uns Japaner:innen eine ungewöhnliche Kommunikationsart ist, “direkt” nachzufragen. Gewöhnlich beobachten wir zunächst die Situation und versuchen dann, selbst zu verstehen. Nach und nach lernen wir jedoch, dass man hier in Deutschland direkt nachfragen oder ansprechen kann – ja sogar MUSS.

Es ist einerseits großartig, dass dies eine Basis des Zusammenlebens und -arbeitens in Deutschland ist. Andererseits stellt es eine große Herausforderung dar für diejenigen, die nicht daran gewöhnt sind, ihre eigene Meinung oder Fragen in einer Fremdsprache verständlich und überzeugend gegenüber Muttersprachler:innen zu präsentieren – besonders, wenn es um eine Situation außerhalb von Freundschaft oder engen Beziehungen geht. In den Gesprächen mit den jungen Kolleg:innen aus Japan habe ich erfahren, dass es für sie und ihre Kolleg:innen auch so ist.

Die zweite Frage war, ob sie Mitglied des Vereins für Gesellschaft für neue Musik sein wollen würden. Für manche war es durch die Erklärung eines Professors oder Kollegen gut vorstellbar, welche Möglichkeiten und Vorteile eine Mitgliedschaft dort bietet und wie hilfreich dies besonders für freischaffende Künstler:innen zu Beginn ihrer Laufbahn sein kann. Andere können sich noch nicht klar vorstellen, wie sie sich in einem Verein einbringen können. 

Als Mitglied und derzeitiger Vorstand der KGNM stelle ich mir die Frage: Wie können wir als KGNM Musiker:innen und Komponist:innen aus Asien, insbesondere diejenigen, die Deutsch als Fremdsprache gelernt haben und sich kurz vor oder nach ihrem Studienabschluss befinden, kennenlernen und zu unserem Gespräch einladen, obwohl es sichtbare und unsichtbare kulturelle Unterschiede sowie Herausforderungen beim Gespräch in einer Fremdsprache gibt?  Wie können wir sicherstellen, dass die neuen Kolleg:innen in der freien Szene zu Beginn ihrer Laufbahn als freischaffende Künstler:innen nicht allein gelassen werden?

Sicherlich gibt es an der Musikhochschule Situationen und Angebote für Gruppengespräche. Dennoch benötigen viele asiatische Musiker:innen und Komponist:innen Zeit, um die neue Sprache sowie andere Traditionen des Gesprächs und der Kommunikation kennenzulernen. Ich selbst gewöhnte mich erst kurz vor meinem Abschluss daran. 

Als Ausländer:in muss man seine Sprachkenntnisse verbessern. Aber die Kolleg:innen, mit denen ich gesprochen habe, haben ein recht hohes Sprachniveau erreicht. Für Gespräche in großen Gruppen brauchen sie Mut und fühlen sich häufig überfordert. Das ist also einer von mehreren Gründen, warum es für asiatische Musiker:innen und Komponist:innen nicht leicht ist, an öffentlichen Sitzungen und Veranstaltungen mit Gesprächen teilzunehmen. Das ist eigentlich ein großer Verlust der Gelegenheit, vielfältige Meinungen auszutauschen und unsere freie Szene noch attraktiver zu machen. 

Jetzt überlege ich, ob es ein guter erster Versuch sein kann, einen Raum zwischen Studium und freier Szene für Musiker:innen und Komponist:innen, insbesondere für diejenigen mit asiatischem Migrationshintergrund, zu öffnen. Dieser Raum könnte beispielsweise aus einer kleinen, engagierten Gruppe bestehen, in der wir uns auf einfachem Deutsch austauschen oder Workshops anbieten, in denen Gespräche mit hilfreichen Erläuterungen geführt werden. Könnte dieser Versuch sogar als Experiment für die Zukunft dienen, um zu erkunden, wie wir eine wirklich offene Diskussion führen können?

Ich würde mich sehr freuen, liebe Leser:innen von NOIES, zu erfahren, was Ihr denkt! Habt Ihr vielleicht andere Ideen oder Vorschläge? Es wäre großartig, wenn Ihr Euch bei noies@on-cologne.de melden könntet. Ich/wir würden uns sehr freuen, Eure Gedanken zu hören!

Die Schlagzeugerin Rie Watanabe ist in Japan geboren und lebt in Köln. Sie ist künstlerische Leiterin vom Ensemble DEHIO, TRAVEL MUSICA, und Teil des Vorstands der KGNM.