Aus einem Gespräch zwischen Georg Wissel und Norbert Stein
WAS
Ich mache Musik. Manchmal gab es Zeiten, da habe ich gezweifelt, ob man das Musik nennen kann. Deswegen nenne ich mich auch Sculptor of Compressed Air, das heißt, ich arbeite mit komprimierter Luft, vor allen Dingen mit Altsaxophon, bisweilen Tenorsaxophon und Klarinetten.
Ich interessiere mich vor allen Dingen für Klang und Geräusch sowie das ganze Spektrum dessen, was hörbar ist, um damit zur Gestaltung von akustischen oder nennen wir es ruhig musikalischen Ereignissen – also von Musik – zu arbeiten.
Was ich mache? Klang gestalten! Gerne mit anderen zusammen im Kontext von frei improvisierter Musik.
Meine Intention ist, den Klang darzustellen und mit dem Klang zu spielen, zu arbeiten, zu gestalten und in irgendeiner Form ein interessantes Hörerlebnis für diejenigen zu schaffen die da zuhören. Dass dabei Präparationen zum Einsatz kommen oder eben diese sogenannten erweiterten Spieltechniken usw., ist einfach dem geschuldet, dass mich dabei auch diese Geräuschebene interessiert.
WIE
Die Arbeitsprozesse, die dahinter stecken, haben viel mit Routine und Disziplin zu tun. Regelmäßig – und das heißt, nach Möglichkeit jeden Tag – gehe ich in meinen Proberaum und arbeite dort an den verschiedenen Instrumenten: Ansatztraining, konventionelle Geläufigkeit und Spieltechniken, weil es mir wichtig ist, mich eins mit dem Instrument zu fühlen.
Darüber hinaus gibt es Phasen, in denen ich neue Forschungen mache: Was kann ich noch machen an physikalischen Präparationen oder Veränderungen am Instrument?
Ich finde es auch interessant zu beobachten, wie andere Instrumentalist:innen, z. B. Klavier, Gitarre und Elektronik spielen und dann zu erforschen: Wie kann ich mit meinem Instrument in so eine Spielhaltung kommen und was macht das dann? Zu welchen Ergebnissen komme ich dann?
Ich erlebe Vorwärtsbewegung phasenweise. Bis heute bin ich nie lange stehen geblieben. Nach einer Zeit, in der ich irgendetwas für mich Neues gemacht habe und mich eine ganze Weile damit in verschiedenen Zusammenhängen bewegt habe, gibt es den Gedanken: Jetzt müsste was anderes kommen, das reicht mir nicht mehr. Eine gewisse Sattheit vielleicht. Es kommt einfach eine Neugier auf und dann muss ich Neues suchen, weil ich unzufrieden werde.
Ein großes Bedürfnis ist mir, mit anderen Menschen zu arbeiten, gemeinsam etwas zu entwickeln. Oder eben auch phasenweise einfach nur verschiedene Leute in ad hoc Situationen zu treffen, weil das auch eine Seite der improvisierten Musik ist: sich mit jemandem zu treffen, mit dem man vielleicht selten oder noch nie zusammengespielt hat und zu gucken: Was passiert? Wie kann man sich da einbringen? Wie funktioniert das zusammen?
Und die andere Sache ist, längerfristige Verbindungen einzugehen und diese dann Stück für Stück über einen längeren Zeitraum musikalisch weiterzuentwickeln.
Aber dieses Zusammenspiel mit anderen kommt nicht von selbst. Man muss etwas dafür tun und es organisieren, es ist keine Selbstverständlichkeit.
Es gibt Vorstellungen von Künstlergruppen wie z. B. der Gruppe »Blauer Reiter« , von denen man – vielleicht fälschlicherweise – das Bild hat: Die Leute waren immer im Austausch, die haben zusammen Dinge entwickelt und gemacht, ohne auf den ökonomischen Wert oder Output in dieser Zusammenarbeit zu gucken.
Das funktioniert so nicht – zumindest kenne ich das hier in Köln nicht. Ich weiß auch nicht, ob es irgendwo anders geht, zumindest in der jetzigen Zeit nicht.
Was ich feststelle, ist, dass es viele ökonomische Zwänge gibt, dass man wenig Zeit hat und dass wenig Bereitschaft da ist, zu arbeiten, ohne, dass die Dinge irgendwie gleich einen ökonomischen Output haben, das heißt, dass ein bezahltes Konzert da ist.
Wenn man jedoch zusammen ist und zusammen spielt, dann ist das höchst anregend, spannend und höchst förderlich für alle Beteiligten (normalerweise), weil von den verschiedenen Leuten unterschiedlicher Input kommt und etwas entsteht, was mehr ist als das, was man selber alleine macht.
Erfreulicherweise gibt es öffentliche Förderungen, die ich auch in Anspruch nehme, um Projekte zu realisieren, die sonst für mich nicht machbar wären.
Teil meines Alltages ist daher also auch: Anträge schreiben, Veranstalter anschreiben, neue Veranstaltungsorte oder Veranstaltungsformate recherchieren, Infotexte schreiben, Texte übersetzen, Fotos zusammensuchen, Musikaufnahmen machen und editieren, CD-Cover gestalten, Labels für Veröffentlichungen recherchieren und kontaktieren, die eigene Website erstellen, Fachzeitschriften und Rundfunk bemustern, Konzerte und Performances auf soziale Netzwerke hochladen, die Musik auf Bandcamp laden…
Was kann ich an Widerständen nennen?
Was manchmal schwerfällt, ist Ignoranz von Veranstaltern. Wenn du Leute anschreibst und es kommt wirklich null Reaktion zurück und man nicht weiß: Soll man jetzt irgendwie noch mal was hinschreiben? Ist es einfach nur untergegangen, weil die Leute viel zu tun haben?
Das finde ich manchmal schwierig und zieht auf jeden Fall Energie raus. Klare direkte Zusagen oder Absagen finde ich immer viel einfacher. Dann weiß ich: ich kann weitergehen zu anderen Dingen.
Über Desinteresse muss man sich hinwegsetzen, bzw. muss man ein Verhältnis dazu finden, d. h. zu lernen, zu akzeptieren, dass das so ist und dabei eben trotzdem nicht den Mut zu verlieren. Manchmal fällt das wirklich schwer. Manchmal ist das vielleicht das größte Hindernis.
Aber die Selbstmotivation muss man immer wieder für sich herstellen.
Als Kind fand ich die Geschichte von Münchhausen sehr beeindruckend: Er reitet ein Pferd und kommt in einen Sumpf und droht zu versinken. Und um sich zu retten, klammert er die Beine unter dem Bauch des Pferdes zusammen und zieht sich dann am eigenen Schopf an den Haaren praktisch aus dem Sumpf heraus.
Dieses Bild fand ich damals einfach toll, weil es so schön absurd und schräg ist. Aber es ist eigentlich das, was ich lernen musste und gelernt habe: mich am eigenen Schopf wieder rauszuziehen.
Im Allgemeinen ist die Motivation da, aber es gibt eben immer wieder Punkte, an denen man an die Grenze kommt und an denen ich denke: Das ist aber wirklich zäh und wahnsinnig viel Aufwand.
Es ist immer wieder – durch die Nichtresonanz – die Auseinandersetzung mit der augenscheinlichen Gleichgültigkeit der Welt.
Aber die Welt ist eigentlich nicht gleichgültig. Wenn ich irgendwo spiele, habe ich nie erlebt, dass die Menschen, auch wenn es sie überrascht, die Musik uninteressant fanden. Die CD-Kritiken – wenn sie kommen – sind im Allgemeinen auch sehr positiv.
WARUM
Es gibt eine ganz körperliche Ebene: Wenn ich spiele, fühle ich mich einfach wohl. Diese Schwingung, diese Resonanz, dieses Atmen, dieses Spüren der Vibration im Körper, an den Fingern, an den Händen: das ist mir ein Bedürfnis und mir fehlt wirklich etwas, wenn ich längere Zeit nicht spiele. Ich kann durchaus mal eine Weile nicht spielen. Aber wenn ich hier in der Stadt bin, muss ich spielen, sonst werde ich irgendwann nervös. Unruhig. Dann merke ich: Jetzt brauche ich das.
Ich mag einfach mit diesen Klängen sein, diesen Klängen um mich herum.
Es gehen mir sowieso permanent irgendwelche Klänge im Kopf herum und wenn ich durch die Straße laufe, sind meine Ohren eigentlich immer irgendwo auf und hören Klänge, Geräusche. Diese akustische Welt umgibt mich einfach und ich mag es eben, das mit meinen Mitteln zu gestalten. Das ist mir wichtig. Ich finde das interessant.
Ich möchte immer wieder Klänge neu sortieren und freue mich jedes Mal auf dieses Abenteuer, eine andere Konstellation, eine andere Lösung zu finden. Da fühle ich mich lebendig, wach und irgendwo eins mit der Welt.
In dem Moment, wo ich Menschen einlade, sich auf den Weg zu machen, sich die Mühe zu machen, zu kommen und mir zuzuhören, spüre ich eine Verantwortung mit dem, was ich tue, weil das heißt: diese Dinge, die ich da für mich mache, müssen sich auch in der Welt irgendwo bewähren, auch vor anderer Leute Ohren, Vorstellungen und Ideen von der Welt. Mich dem auszusetzen, reizt mich auch. Darin steckt auf jeden Fall eine Befriedigung. Ich komme dann auch in einen Austausch, denn das Publikum hört diese Dinge, nimmt sie auf und gleicht sie sicherlich automatisch mit dem eigenen Erleben der Welt ab. Das ist dann auch eine Prüfung, ob die Ideen, die ich für mich entwickle, auch eine Gültigkeit über meine persönliche Welt hinaus haben.
Wenn ich die Welt als akustisches Phänomen erlebe und wenn ich dann das, was mich tagtäglich umgibt und klanglich bewegt, verarbeite, gestalte und in eine ephemere Form bringe, dann gebe ich meinen Eindruck der Welt dem Publikum wieder. Das betrachte ich als Kommunikation. Und das ist ein Beitrag dazu, die Welt anders zu erleben
Einen konkreten Inhalt vermittle ich nicht. Darum geht es mir auch nicht. Ich möchte nichts darstellen oder vorstellen oder zeigen, auch keine Geschichten erzählen, sondern Erfahrungen ermöglichen. Paul Lytton hat das einmal so schön gesagt: »I’m not here to entertain you, but to stimulate your imagination.«
Es gibt unendliches Material, alles ist verwendbar. Es gibt eigentlich nichts, was in den Kategorien »schön«, »harmonisch«, »hässlich« oder sonst wie funktioniert, sondern alles kann eigentlich verwendet werden. Es ist die Frage, in welcher Kombination und wie man das macht.
Dieses »Sich treffen und spielen, ohne eine Absprache zu machen«, etwas Gemeinsames erschaffen wollen, ohne jemanden zu dominieren (und wenn doch, dann vielleicht nur temporär); und immer wieder Raum und Platz zu lassen, hat schon auch gesellschaftliche und soziale Aspekte.
Diese Freiheiten funktionieren nur, wenn du auch Verantwortung für dich und für deine Handlung, für dein Tun und für das Ganze übernimmst. Und dann schließen sich manche Dinge in manchen Situationen einfach aus. Dann ist es eben nicht beliebig. Und das heißt: Da geht es dann auch um einen sehr verantwortungsvollen und trotzdem lebendigen Umgang miteinander.
Dann denke ich, dass es in unserer Gesellschaft, in der viele Leute nach einem starken Führer rufen und schreien und alles irgendwie an die Politik abgeben wollen, sich dann aber beschweren, dass die Politik irgendwie alles nur blöd und schlecht macht, dabei aber selbst die ganze Welt vermüllen und versauen, eigentlich ein sehr interessanter und schöner Gegenentwurf ist: Musikmachen als gesellschaftliches Modell, als Idee, mit welcher Haltung man dem Leben gegenüber vielleicht auch sein könnte: In Verantwortung und Freiheit etwas Schönes und auch Freudiges machen, etwas, was Spaß macht, was lebendig ist, also nicht nur Selbstkasteiung und übermäßige Selbstkontrolle ist, sondern durchaus auch ein Überborden zulassen kann.
This article is brought to you as part of the EM GUIDE project – an initiative dedicated to empowering independent music magazines and strengthen the underground music scene in Europe. Read more about the project at emgui.de
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Georg Wissel ist vor allem im Bereich der zeitgenössischen freien improvisierten Musik tätig. Er spielt Alt- und Tenorsaxophon, Klarinette und Bassklarinette. Seit 2010 hat Wissel die Klang- und Geräuscharbeit seiner instrumentalen Praxis zusätzlich um akusmatische Klangkompositionen erweitert.