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gespräch mit cute community radio: taktwechsel und neue räume – wie das cute community radio musik in bochum neu zentriert.

Oktober 2024

Das Cute Community Radio war eines der Kollektive, das im Sommer im Kunstmuseum Bochum das 50-jährige Jubiläum der Kemnade International feierte – ein einzigartiges Musikfestival, das erstmals 1974 von migrantischen Selbstorganisationen und dem Museum Bochum organisiert wurde. Die Journalistin Dîlan Şirin Çelik traf den CCR Gründer Guy Dermosessian auf ein Gespräch.
© Heinrich Holtgreve, Kunstmuseum Bochum

Text und Interview von Dîlan Şirin Çelik


Spätestens mittwochs erscheint auf meinem Handy jede Woche diese eine Nachricht: “Gehen wir diese Woche zum Cute Community Radio?“

Das Cute Community Radio – ein Raum und Radiosender mit Sitz in Bochum – ist aus der Wochenplanung vieler musikbegeisterter BIPoCs aus der Stadt nicht mehr wegzudenken. Jeden Donnerstagabend bietet es für 3 bis 4 Stunden die Möglichkeit, mitten in Bochum abzuschalten und eine entspannte Zeit zu genießen – ohne die Sorge, Diskriminierungen oder negative Erfahrungen zu erleben, die sonst in Clubs oft zum Alltag für BIPoC-Personen dazugehören. Mit dem Radio ist in Bochum ein Raum entstanden, der die kulturellen und künstlerischen Praktiken von BIPoC- und FLINTA*-Personen in den Mittelpunkt stellt. Im Rahmen der Ausstellung “Die Verhältnisse zum Tanzen bringen. 50 Jahre Kemnade International“ war das Cute Community Radio mit seiner Installation CCR 3000 X auch im Kunstmuseum Bochum vertreten.

Guy Dermosessian spricht über das Cute Community Radio, Kemnade International und persönliche Einflüsse, die seine Musik- und Kulturarbeit geprägt haben.

So sieht das Cute Community Radio aus, wenn gerade keine Radioshow stattfindet und der Raum leer ist. © Guy Dermosessian

Dîlan Şirin Çelik
Wer bist du und was ist das Cute Community Radio?

Guy Dermosessian
Das Cute Community Radio und der Cute Community Space wurden 2023 mit der Absicht gegründet, einen Raum zu schaffen, in dem migrantische Popmusik und diasporische Popkultur zentriert werden. Den Kern des Radios bilden verschiedene DJs und Künstler:innen wie Rubimental, Frau Beji, DJ Nury, Poulho PVLM und ADJO. Ich bin Guy, der Gründer des Cute Community Radios. Vor 20 Jahren kam ich nach Deutschland und fand durch Besuche der deutschen Clubkultur und Plattenläden die ersten Räume, in denen meine Sprachkenntnisse keine Rolle spielten und zu denen ich ohne Voraussetzungen Zugang haben konnte. Irgendwann wollte ich auch für solche Räume Beiträge leisten, und begann damit, Musik aufzulegen.

DŞÇ
Und wie kam es zu der Gründung des Cute Community Radios?

GD
Als ich damals begann, Musik aufzulegen, legte ich das auf, was alle aufgelegt haben: elektronische Musik, Hip-Hop, Soul und Funk. Irgendwann wollte ich auch libanesische Musik in meinen Sets integrieren, da ich aus dem Libanon komme und dachte, dass Clubs offene Räume seien, die verschiedene Einflüsse gerne zulassen. Bei meinem ersten Versuch in 2011, libanesische Musik in einem Club zu spielen, habe ich jedoch eine gegenteilige Erfahrung gemacht: der Promoter, der mich in den Club eingeladen hatte, sagte mir als Reaktion auf das Spielen eines arabischen Songs: “Du weißt schon, dass das hier kein soziokulturelles Zentrum ist“. So wollte er mir mitteilen, dass “diese Art von Musik“ hier nicht erwünscht ist.

Was ich jedoch aus meiner Perspektive beobachtet habe, ist, dass die Leute, die bis dahin an dem Abend weit hinten im Club standen, bei genau diesem Song nach vorne kamen, weil sie das Lied erkannten, es mitsingen konnten und wussten, wie man sich dazu bewegen muss.

Das war für mich ein Schlüsselerlebnis im Kontext von Club- und Popkultur. Ich merkte so, dass vor allem die Menschen, die verantwortlich für die Organisation eines Clubs sind, Leerstellen in ihrer Perspektive in Bezug auf Clubkultur besitzen und sich dadurch bestimmte rassistische, aber auch marginalisierende Verhaltensweisen reproduzieren. Gleichzeitig verstand ich durch dieses Erlebnis ebenfalls, wie viel Kraft darin liegt, wenn Menschen aus ihrer eigenen Perspektive sprechen.

Als Folge daraus habe ich angefangen, mir die Frage zu stellen, welche Orte es eigentlich in Bochum gibt, die sich mit migrantischer Musik und Popkultur auseinandersetzen und fing als Antwort auf diese Frage an, das Cute Community Radio ins Leben zu rufen.

Zu seinen Anfängen in 2019 war es ein mobiles Radio, das batterie- und solarbetrieben war und ausschließlich draußen, von Parks aus, gesendet hat. Dass sich das Radio heute zu einem geschlossenen Raum entwickelt hat, ist dem deutschen Wetter geschuldet – die Pop-Up Radio Shows draußen in Parks waren leider nur möglich, wenn die Sonne schien.

Guy Dermosessian, der Gründer des Cute Community Radios. © Henning Rogge

DŞÇ
Die Sets, die du heute spielst, beschränken sich aber nicht nur auf arabische Musik. Bist du in deiner Heimat noch anderen musikalischen Kulturen begegnet?

GD
Ich bin zu den Zeiten des libanesischen Bürgerkrieges in einer armenischen Diaspora im Libanon aufgewachsen. Aufgrund des Krieges ist ein Teil meiner Familie zum Arbeiten nach Nigeria gegangen, ein anderer Teil nach Mittel- und Südamerika. Immer, wenn sie zurückgekehrt sind, haben sie Musik mitgebracht. So bin ich bereits in Beirut verschiedenen musikalischen Impulsen begegnet, die ich mir nicht immer direkt erklären konnte, aber schon immer interessant fand. Dem konnte ich dann in Deutschland mehr nachgehen.

DŞÇ
Würdest du sagen, dass deine Migrationsgeschichte auch generell Einflüsse darauf hatte, wie du heutzutage auflegst und dein Radioprogramm gestaltest?

GD
Ja, ich glaube tatsächlich, dass mein Aufenthaltsstatus den größten Einfluss auf mein Schaffen hatte, da ich, bis ich meine Aufenthaltsgenehmigung erhalten habe, immer versucht habe, mich einzufügen und anzupassen. Das hat dazu geführt, dass ich sehr lange Musik gespielt habe, die einfach der Mainstream war – nur, um nicht aufzufallen. Das Erlangen meiner unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung hat mir dann eine viel größere Freiheit gegeben, so dass ich mich wieder mit der Kultur, aus der ich komme, befassen konnte – weil ich eben keine Angst mehr hatte, aufzufallen oder rauszufliegen. Es hat um die zehn Jahre gedauert, bis ich mein eigenes Ding durchziehen konnte.

DŞÇ
Gibt es bestimmte Künstler:innen, die dich und deine Sets prägen?

GD
Zwei sehr prägende Namen für mich sind die Sängerin Fairouz und ihr Sohn Ziad Rahbani. Das sind zwei Personen, mit denen ich mich sehr identifizieren konnte und deren Musik ich schon immer gerne gespielt habe, allein um andere Menschen mit dieser Musik zu berühren. Durch das Auflegen solcher Musik entstanden auch an manchen Abenden Verbindungen zwischen mir und fremden Leuten im Raum: Plötzlich wusste man, dass ich Arabisch spreche und woher ich komme. So ergaben sich viele Gespräche und Verknüpfungen.

Die Installation des Cute Community Radios im Kunstmuseum Bochum trug den Namen „CCR 3000X“ und wurde von Guy Dermosessian und Rubimental im Rahmen der Ausstellung “Die Verhältnisse zum Tanzen bringen. 50 Jahre Kemnade International“ entwickelt. Das Kunstwerk besteht aus einem Tisch mit mehreren Tonspuren, die sowohl alte als auch moderne Sounds auffangen. Besucher*innen können die Tonspuren am Tisch durch Regler an verschiedenen Stellen bedienen und vermischen. © Heinrich Holtgreve, Kunstmuseum Bochum

DŞÇ
Du erwähntest gerade, dass du in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen machen musstest. Wie war die Erfahrung für euch, an der Ausstellung des Kunstmuseum Bochum teilzunehmen?

GD
Die Einladung von Eva Busch an der Ausstellung mitzuwirken, fühlte sich direkt sehr glaubwürdig an. Die Tatsache, dass Eva Busch sowohl aus der freien Szene kommt als auch in Räumen involviert ist, in denen marginalisierte Menschen Orte und Rahmenbedingungen für andere marginalisierte Menschen schaffen und sie ebenfalls in der Institution, in der sie arbeitet, stets Platz für andere schafft, hat uns die Entscheidung, trotz schlechter Erfahrungen mit bestehenden Institutionen dennoch mit dem Kunstmuseum Bochum zusammenzuarbeiten, sehr vereinfacht.

DŞÇ 
Wusstet ihr von Anfang an, wie eure Installation aufgebaut sein und aussehen sollte?

GD
Am Anfang ging es Rubimental und mir vor allem darum, Räume und Momente zu kreieren, in denen migrantische Musik gehört werden kann und über sie gesprochen werden kann. Je länger wir darüber nachgedacht haben, haben wir festgestellt, dass es schwierig ist, aus einer einzigen Perspektive über migrantische Musik zu sprechen – um es aufrichtig zu machen, braucht man mehrere Personen und verschiedene Perspektiven. Wir haben uns außerdem gefragt, wie wir Menschen dazu bringen können, miteinander in einen Dialog zu treten, ohne eine Perspektive wichtiger als die andere wirken zu lassen. Wir wollten also eine Installation bauen, in der es keine Deutungshoheiten oder Hierarchien gibt und der Fokus stattdessen darauf liegt, mit anderen in den Dialog zu kommen und zusammen zu arbeiten.

DŞÇ
Also wurde das Kunstwerk bewusst so gebaut, dass es von mehreren Menschen gleichzeitig bedient werden kann?

GD
Genau, wir haben uns bewusst dafür entschieden, dass eine einzige Person dieses Objekt eben nicht allein kontrollieren kann und auf Hilfe, Unterstützung und Solidarität von weiteren Beitragenden angewiesen ist. Der Tisch ist für acht Personen gebaut worden, die alle gleichzeitig sprechen und produzieren können. Damit wollten wir plastifizieren, dass sowohl Erinnern als auch Imaginieren kollektive Prozesse und Praktiken sind und dass Vergangenheit und Zukunft stets kollektiv reflektiert und ausgehandelt werden sollen. 

DŞÇ
Ein Teil der Tonspuren am Tisch stammt aus dem Archiv des Kunstmuseum Bochums, korrekt?

GD
Genau. Wir haben diese Installation mit 32 Tonspuren bestückt. Die eine Hälfte der Spuren bestand aus 16 Tracks, die aus der veröffentlichten Kemnade International Schallplatte “Kemnade Live“ (1979) stammen. Die andere Hälfte bestand aus 16 neu produzierten Tracks der Produzentin Shalee.

Für uns war es wichtig, damit auch aufzuzeigen, dass wir heute mit unserer Installation nur im Kunstmuseum Bochum stehen können, da bereits 1973 auf den Bühnen von Kemnade International Menschen standen, die Kämpfe für unsere Generation geführt haben. Genauso führen wir heute auch Kämpfe für die kommenden Generationen. Deshalb verliehen wir unserer Installation den Untertitel “100 Jahre Kemnade“ – 50 Jahre Kemnade International reichen uns nicht! Die Frage, die sich uns stellt, ist: Was hinterlassen wir für die nächste Generation?

DŞÇ
Kommen wir vom Mischen alter und neuer Töne zum Mischen generell: Findest du, dass kulturelles Erbe durch das Mischen von Musik nicht nur neu interpretiert werden kann, sondern auch bewahrt werden kann?

GD
Ja! Ich kann nicht für alle sprechen, aber ich bin der Ansicht, dass ein künstlerischer Beitrag oft das Anliegen hat, fortgeführt zu werden. Jeder künstlerische Beitrag ist ein Impuls für einen weiteren Beitrag. So sehe ich auch die Musik, die von den Kemnade International Festivals dokumentiert und archiviert wurde, als einen Impuls für meine heutige Arbeit.

Dass wir so weit kommen konnten wie heute, ist zum Teil auch den Künstler:innen von Kemnade International zu verdanken und ich sehe es dadurch auch als unsere Aufgabe an, deren Erbe fortzuführen und dann irgendwann weiterzugeben.

© Heinrich Holtgreve, Kunstmuseum Bochum

DŞÇ
Als Abschluss würde ich gerne mit dir in die Zukunft blicken und dich fragen, was dein Wunsch an die DJ-Szene und Radioarbeit wäre, damit migrantische Musiktraditionen sichtbarer und hörbarer gemacht werden können?

GD
Ich beobachte manchmal eine Gefahr der Überladung von bestimmten Körpern mit bestimmten Identitäten, die mit vielen Aufgaben und Verantwortungen zu kämpfen haben, die Menschen mit Privilegien manchmal nicht einmal wahrnehmen.

Damit meine ich, dass Menschen, die ohnehin nicht vorbelastet sind, machen dürfen, was sie wollen, und keinerlei Erwartungen erfüllen müssen. Währenddessen müssen marginalisierte Menschen mit ihrer künstlerischen Tätigkeit immer wieder für viele Sachen gleichzeitig einstehen. Dürfte ich einen Wunsch an die Zukunft äußern, wäre es der Wunsch, genau diese belasteten Menschen zu entlasten und ihnen die Möglichkeit zu geben, das zu tun, was sie wollen, so dass deren künstlerische Praxis vielleicht auch irgendwann für sie selbst als ein Mittel zur Heilung dienen kann.