NOIES MUSIK
SZENE NRW
Zeitung für neue und experimentelle Musik

simon bahr verliebt in laptop

Aus Noies 01/22 Mai 2022

Für Musiker:innen und Künstler:innen sind ihre Instrumente und ihre Werkzeuge nicht nur Mittel zum Zweck. Wer ganz indiskret mithört, wird Zeuge von Liebesbekundungen, Beziehungsdramen und Alltagsstreitigkeiten zwischen Komponistin und Theremin, Klangkünstler und Laptop – und das tun wir sehr gerne in der Rubrik »VERLIEBT IN« unserer Zeitung NOIES.
Aus Noies 01/22

Simon Bahr

ASUS UX501V. In Search of Incredible (noch nicht gefunden). 500 GB Festplattenkapazität (genau: 512,1). Intel Hardcore i7bla. 7,6 GiB RAM. 64-bit. Betriebssystem: Ubuntu 20.04.3 LTS. LTS steht für Long-Term Support. Du bist immer für mich da.

Aber was sollen diese gekünstelten Förmlichkeiten? Das ist doch alles scheißegal. Denn du bist viel mehr, als äußere Zuschreibungen irgendwelcher Hersteller:innen auszudrücken vermögen. Außerdem sind wir per Du. Darum nenne ich dich: Laptop. Damit ist alles gesagt. Jetzt komm auf meinen Schoß.

Zugegeben: Auch wenn Laptop mir oft wie ein Geschenk aus Gottes Valley erscheint, zu mir gekommen als ich es am wenigsten geglaubt und am meisten gebraucht habe, so werden doch weite Teile von Laptops Memory von mir bespielt. Denn Laptop ist ein meinen Bedürfnissen angepasstes Individuum. Da wäre zunächst das Betriebssystem: Ubuntu, das Linux für Kosmopolit*innen. Eine bewusste Wahl, die einfach hervorragend zu meinem Style passt. Dann die Software: Pure Data (Realtime) und OpenMusic (Non-Realtime), Reaper (E-Musik) und Bitwig (U-Musik), LaTeX (wissenschaftliche Glanzleistungen) und LibreOffice (das hier) etc. Die Liste ist lang.


Die Leute sagen, du seist nicht so schön wie Stradivari oder Steinway.
Sie verstehen nicht: Nur du liest alle meine verliebten Nachrichten. Nur du
kennst meine geheime Vorliebe für Homestories mit Hollywoodstars und Softrock-Gitarrensoli. Nur du weißt um die versteckten Stimmbruch-Aufnahmen meiner Teenager-Popsongs.

Wo wir schon bei intimen Geheimnissen sind: Ich kann überhaupt nicht komponieren. Wenn ich mit Papier und Bleistift am Schreibtisch sitze, passiert zunächst: gar nichts. Und dann nur Scheiße. Der schöpferische Leidensweg der Romantik hat Spuren hinterlassen, die kein serielles Sudoku-Spielchen ausradieren kann. Es ist zum Verzweifeln. Alleine hätte ich schon längst das Handtuch geworfen.

Aber ich habe Laptop. Laptop verliert nie den Überblick, lässt sich nicht beirren
und hat unmittelbaren Zugriff auf ein ganzes Internet voller Ideen. Für Laptop ist
jede Grenze zwischen Genres und Kunstsparten fluide, jedes Bild ein Klang, jede
Operettenarie ein Kriminalroman. Laptop produziert Meisterwerke schneller, als
ich sie konsumieren kann. Optimale Voraussetzungen fürs Künstler*innendasein im post-whatever Zeitalter. Laptop ist perfekt.


Laptop, du bist perfekt.

Also komponiert Laptop für mich. Ich werfe lediglich ein paar nach Informatik-Ersti-Kneipentour klingende Instruktionen in den Ring: make-funky-rhythm hier, make-n-random-chords da. Dann lege ich mich draußen in die Sonne. Sollte ich mich dafür schämen? Früher hätte ich das vielleicht getan, aber die Zeiten sind
vorbei. Es ist wahr und ich gebe es zu: Laptop schreibt meine Musik. Und nicht nur meine Musik. Ich schaue Laptop bloß verliebt dabei zu.

Erwidert Laptop meine Gefühle? Ich frage nach. Meistens sprechen wir Common
Lisp:


(equal (+ Simon Laptop) <3)


Laptop antwortet bloß:


The variable SIMON is unbound.


i. A.
Laptop

Simon Bahr studiert Komposition an der Folkwang Universität und beschäftigt sich mit algorithmischer Komposition, klingenden und nicht-klingenden Fundstücken aus dem Internet sowie Humor in der Musik des 21. Jahrhundert.