NOIES MUSIK
SZENE NRW
Zeitung für neue und experimentelle Musik

gespräch mit christina messner und sandra reitmayer: miese kybernetik

Januar 2025

Dem Musiktheaterfestival ORBIT soll laut Haushaltsentwurf die städtische Förderung entzogen werden. Die künstlerischen Leiterinnen Christina Messner und Sandra Reitmayer trafen sich mit dem Komponisten Roman Pfeifer auf ein Gespräch über das Netzwerk hinter dem Festival, die Energie, die kulturpolitische Kämpfe kosten, und Annäherungsversuche zwischen freier Szene und Institutionen.
“21 Songs in a Public Surrounding" (Hannes Seidl & MAM.manufaktur für aktuelle musik) bei ORBIT – Festival für aktuelles Musiktheater 2024. Foto: Sophia Hegewald

Interview: Roman Pfeifer
Text: Verena Hahn


Als im November der Entwurf für den Haushalt der kommenden beiden Jahre öffentlich wurde, erfuhren viele Initiativen erst aus der Presse, dass ihr Projekt nicht weiter gefördert werden soll. So erging es auch Christina Messner und Sandra Reitmayer, den beiden künstlerischen Leiterinnen von ORBIT, dem Kölner Festival für aktuelles Musiktheater. Das Festival, das während der ersten Ausgabe noch SPARK hieß, fand im vergangenen April zum zweiten Mal statt und geht anhand einer großen Bandbreite inszenierender und musikalischer Formen der Frage nach, wie Musiktheater heute klingt und aussieht. 

ORBIT ist nur eins von vielen Beispielen, deren Kürzungen nicht anhand der gängigen Kriterien erklärbar sind, die einem Projekt Erfolg oder Misserfolg attestieren. Mit Kompositionen für Feuerwerkskörper, Maria Callas für nicht-hörendes Publikum oder kulinarische Performances zeigt ORBIT spartenübergreifender Innovation genauso wie praktizierte Ansätze, wie diverses und nachhaltiges Veranstalten funktionieren kann. Das Publikum dankte mit ausverkauften Aufführungen. Dazu konnte das Festival in der vergangenen Ausgabe eine Kooperation zwischen der freien Szene und der Oper Köln aufbauen. Sollte es bei der 0 im Haushaltsplan für das Festival bleiben, ist es fraglich, ob es eine dritte Ausgabe des Festivals geben wird.

Anlässlich der Kürzungen lud NOIES den Komponisten Roman Pfeifer ein, mit Reitmayer und Messner ein Gespräch über das Festival und die drohenden Kürzungen zu führen. Mit seinen Kompositionen und Inszenierungen bewegt sich Roman Pfeifer selbst im Feld des zeitgenössischen Musiktheaters und war mit seinem Ensemble Kammerelektronik an der ersten Festivalausgabe beteiligt. Pfeifer ist Teil des Netzwerks für Freies Musiktheater und lehrt an der Folkwang Universität der Künste.

Transparenzhinweis: Das Netzwerk ON Cologne, das auch Herausgeber der NOIES ist, war während der ersten beiden Ausgaben Veranstalter und Träger des Festivals. Die Kooperation zwischen ORBIT und ON ist jedoch mit Abschluss der letzten Festivalausgabe ausgelaufen.

„HARK!“ (Luísa Saraiva und Senem Gökçe Oğultekin) bei ORBIT – Festival für aktuelles Musiktheater 2024. Foto: Sophia Hegewald


Roman Pfeifer
Fangen wir doch einfach mal mit dem Festivalgedanken an. Was ist ein Festival für euch? 

Sandra Reitmayer
Das Zusammenkommen, das finde ich ganz zentral. Festivals sind einfach mein Lieblingsformat. Dass man verschiedene Sachen sehen kann, Leute trifft, Überraschungen erlebt. Es geht immer um Diskurs, allein durch das Zusammenkommen. 

Christina Messner
Wir hatten ja ursprünglich gar nicht vor, ein Festival zu machen, sondern eine Plattform zu schaffen für dieses Genre, das wir so lieben, und sind dann darauf gekommen, dass ein Festival die bessere Möglichkeit ist, Aufmerksamkeit zu schaffen. Uns ist es auch ein Anliegen, nicht nur Künstler:innen zu zeigen, die man eh schon überall hört und sieht, sondern auch einen Raum zu schaffen für das, was gerade entsteht oder das, woran man sich vielleicht auch reibt. Und für die Leute, die vielleicht unter dem Radar verschwinden, weil sie sich nicht so toll verkaufen. 

RP
Hat dieses “Dinge zusammenbringen” auch mit der Frage zu tun, was freies Musiktheater überhaupt ist? Ist das auch damit verknüpft, dass man sagt, das und das kann auch Musiktheater sein?

SR
Dieser Begriff hat verschiedene Herkünfte. Auch Musical ist Musiktheater. Das, was man in der Oper sieht, ist Musiktheater. Dann gibt es den Musiktheaterbegriff, der von Mauricio Kagel geprägt wurde. Transdisziplinäres Arbeiten, das findet ja inzwischen in allen Sparten statt. Das ist etwas, das gerade in der Luft liegt, aber es gibt schon länger einen Begriff dafür. So ist mein Blick auf dieses Genre. Was wir im Festival zeigen, ist eine Bandbreite, eine Vielfalt von dem, was unter dem Begriff “Freies Musiktheater” laufen kann. 

RP 
Wie habt ihr euch dem genähert? Wie seid ihr das im ersten Jahr angegangen, so eine Vielfalt, die in der Stadt verstreut ist, irgendwie abzubilden? Wer macht überhaupt Dinge, die, auch wenn sie sich selbst nicht Musiktheater nennen, vielleicht trotzdem Musiktheater sein könnten? Wie habt ihr die gefunden und wie arbeitet ihr?

CM
Unsere erste Ausgabe, SPARK, fand 2022 statt, und wir haben Ende 2017 damit gestartet, wirklich von der Basis her ein Netzwerk aufzubauen. Das waren einfach ganz viele Gespräche. Ein Gespräch ergab das nächste und so haben wir wahnsinnig tolle, interessante Künstler:innen kennengelernt. Aus diesen Gesprächen hätte sich schon ein Programm für drei Festivals ergeben [lacht]. Das hat sich schon nach Netzwerk aufbauen angefühlt und das ist uns auch bis jetzt wichtig. Wir versuchen, immer weiter im Gespräch zu bleiben, auch mit den Hochschulen und den Studierenden, und zu gucken, wo es brennt. Da passieren ganz andere Dinge, zum Beispiel, wie man ausgebildet werden möchte, als Instrumentalist:in. Das prägt unsere Arbeit, immer im Kontakt mit der Szene, mit den Künstler:innen zu bleiben. Das ist eigentlich das Wichtigste. Und auch sehr zeitaufwendig.

SR 
Aber super bereichernd. Es gibt auch einen engen Austausch mit BAM! Berliner Festival für Aktuelles Musiktheater, dem Verein Stimme X in Hamburg, der 2022 auch das erste Mal das Stimme X Festival veranstaltet hat, und zur Initiative in Leipzig, deren Musiktheaterfestival TRACKS 2024 das erste Mal stattgefunden hat. Insgesamt haben sich Musiktheaterschaffende bundesweit vernetzt, und da ist bis heute ein wahnsinnig enger Austausch und eben das Netzwerk für Freies Musiktheater entstanden, was bundesweit agiert. Und das ist total toll.

„hellhörig“ (Carola Bauckholt) bei SPARK – Festival für aktuelles Musiktheater 2022. Foto: Sophia Hegewald

CM
Und das zeigt, um nochmal auf den Begriff des Aktuellen Musiktheaters zurückzukommen, das sich da was bewegt hat. Das war nicht nur so eine fixe Idee von uns beiden, sondern es ist in Hamburg entstanden, in Berlin. Irgendwas ist da gerade dran oder will sich vielleicht bilden, als Szene. 

SR 
Wir hatten dann tatsächlich schon sehr bald ON Cologne als Träger und Veranstalter mit im Boot, weil Christina und ich natürlich erst mal keine Struktur sind. Diese Vereinsstruktur war total wichtig, um überhaupt Förderanträge zu stellen. Wir hatten dann auch relativ schnell eine Förderzusage der Stadt Köln, mit einer sehr hohen Summe von 250.000 Euro, um die erste Festivalausgabe zu machen. 

Wir haben in der ersten Ausgabe, SPARK, gesagt, dass wir auch gerne produzieren wollen, und dass die Künstler:innen nicht selber weiteres Geld akquirieren müssen. Natürlich in einem gewissen Rahmen, aber wir als Festival haben eben auch deren Vision produziert. Das haben wir in der zweiten Ausgabe, ORBIT, nicht mehr so gemacht, weil es uns wichtig war, nicht nur Premieren zu zeigen. Bei SPARK hatten wir die Vision, dass die Stücke danach reisen werden, und wir Kontakt zu Festivals haben und noch ganz viele Vorstellungen gespielt werden. Aber wir haben total unterschätzt, was das bedeuten würde, das zu organisieren, und daran sind wir ganz schlicht gescheitert. Das hat einfach überhaupt nicht stattgefunden. Stattdessen wurden nach dem Festival sehr konkret die Bühnenbilder geschrottet, weil es keine Lagerplätze gibt in Köln, und somit ist auch die Möglichkeit einer Wiederaufnahme literally in die Tonne getreten worden. Das wollten wir nicht noch mal. Wir hatten aber auch weniger Förderung, was so ein freies Produzieren dann nicht mehr möglich macht. 

„Voice Lab“ (Frauke Aulbert) bei ORBIT – Festival für aktuelles Musiktheater 2024. Foto: Sophia Hegewald

RP
Ich glaube, in dem Kontext können wir ganz gut darüber sprechen, was so eine Null im Haushaltsentwurf für euch bedeutet. Natürlich sind alle möglichen Förderer an so einem Festival beteiligt. Aber was bedeutet es, wenn die eigene Stadt sagt, wir stellen euch jetzt mal null Euro in Aussicht? Auch in Bezug auf das Gefühl, dass das, was man da geschafft hat, auch gesehen wird. Beim ersten SPARK Festival habe ich von allen die ganze Zeit diesen Enthusiasmus gespürt, da hat es mich schon gewundert, dass die Förderungen im zweiten Festivaljahr dann runtergingen. Ich hatte eigentlich gedacht, dass das sozusagen der Proof of Concept war. Das hat gezeigt, dass es eine Musiktheaterszene gibt und dass da ein Riesenpotenzial ist. Das hat mich dann schon sehr gewundert und jetzt dann einfach gar nicht mehr? 

CM
Man muss dazu sagen, dass die Null ja nicht nur bei uns steht. Insofern nehme ich es nicht persönlich, sondern es ist ein Schlag in das allgemein schlagende Künstler:innenherz. Das sind ja auch viele langjährige und viel größere Festivals, oder auch Räume, von den wenigen, die es eh schon nur gibt in Köln. Ich kann mir das nicht erklären, warum man dieses Zeichen setzt. Dieses Geld, was damit gespart wird, rettet ja den Haushalt nicht. 

RP
Auf die Frage des Warums kommen wir gleich noch. Mich interessiert noch mal, was das jetzt konkret für eure Arbeit bedeutet. 

SR
Das ist ja noch im Prozess, es ist ja noch nicht final. Sehr konkret bedeutet das aber, dass wir seit dem 14. November, seit diese Null bei uns und bei anderen veröffentlicht wurde, viel, viel mehr Arbeit haben, als wenn da irgendeine andere Zahl gestanden hätte. Weil wir natürlich als Szene, und damit meine ich die komplette freie Szene Kölns, zusammengekommen sind. Es gab verschiedene Meetings in unterschiedlicher Konstellation mit der großen Frage: Was machen wir jetzt? Wie können wir uns gegenseitig unterstützen? Es gab ganz viele Statements, es gibt Demos in Planung und es werden viele Gespräche geführt, auch mit der Politik. 

Das fand ich das Schöne daran, dass man wirklich allgemein in der Szene sagt, okay, jetzt kommen wir erstmal einen Schritt zusammen. Aber das kostet schon extrem viel Kraft und Mühe. Selbst, wenn sich die Haushaltsplanung jetzt ändern sollte: wie oft soll man das noch mitmachen? Und welche Gesellschaft wird da aufgebaut? Von Stefan Charles wird das vielleicht nicht ganz so deutlich formuliert wie in Berlin, aber ich finde das relativ klar, dass es sozusagen keine experimentelle Kunst mehr geben soll. Wir kennen alle dieses Beispiel von Kai Wegner, dass die Kassiererin doch bitte nicht für die Opernkarten bezahlen soll. Das ist in alle Richtungen unter aller Sau. Das ist einfach eine Frechheit, und wir als Szene oder als Kulturinteressierte müssen da total aufmerksam sein und das aufdecken und sagen: Umso wichtiger, dass es uns gibt. 

CM 
Das sind die zwei Pole, zwischen denen das schwankt. Das ist wahnsinnig viel Arbeit, die wir jetzt ehrenamtlich tun, um irgendwas zu erhalten. Manchmal ist man so am Ende der Kraft, dass man wirklich nicht mehr kann oder irgendwelche körperlichen Symptome kommen. Und gleichzeitig, wenn man das dann so vor sich sieht – oh Gott, das gibt es dann alles nicht mehr, und es sind ja auch soziokulturelle Projekte bedroht – dann regt sich bei mir Widerstand, also kämpfe ich weiter. Aber wo soll das hinführen, dass wir das dann alles nur noch unbezahlt machen? Ich sehe das Ende noch nicht. 

RP
Habt ihr das Gefühl, dass die freie Szene mit ihren Argumenten gehört wird?

SR
Wir haben viele Gespräche mit den kulturpolitischen Sprecher:innen geführt, die hören alle total gut zu. Die kulturpolitischen Sprecher:innen haben sich ja auch dieses Ehrenamt ausgesucht, weil sie genauso dafür brennen. 

Aber dann gibt es schon auch so ein schwarzes Loch. Wir sind im Gespräch, aber was jetzt z. B. noch mit der Kulturförderabgabe passiert, da hören wir unterschiedliche Sachen: “Das ist eh alles schon verplant”, oder auch “Das ist eh für euch gedacht, deswegen ist alles nicht so schlimm”. Das hört man dann eben in diesen Zweiergesprächen. Eigentlich müsste Stefan Charles mal mit der Szene reden. 

CM
Das ist so ein wuschiges, komisches Feld, wo es allen eigentlich ähnlich geht, außer, dass manche da vielleicht schon mehr Erfahrungen haben. Es gibt jetzt diese gemeinsamen Meetings, aber trotzdem weiß man nicht, kämpft jetzt doch jeder um seinen eigenen Kuchen? In der letzten Woche habe ich das mal etwas beiseite gelegt. Aber am Anfang kam es mir vor, als schwämme ich in einem Schlammfeld und ich weiß gar nicht, wo es langgeht. Und ich glaube, das geht vielen so.

„Vielsinnliches Musiktheater Masterclass“ (Athena Lange & Franziska Henschel) bei ORBIT – Festival für aktuelles Musiktheater 2024. Foto: Sophia Hegewald

RP
Das ist auch, was ich eben mit der Frage meinte, ob das Ahnungslosigkeit ist oder miese Kybernetik. Oder ist da ein genereller Wechsel in der Art und Weise, wie man überhaupt über Förderung von freier und experimenteller Kunst nachdenkt?

SR 
Ich habe am Anfang gedacht, da wird einfach nicht gut genug drauf geguckt, ob da nicht noch etwas rauszuholen ist für Kunst, Kultur und Soziales. Inzwischen bin ich eher der Meinung, das ist genauso gewollt. Und das ist natürlich viel, viel schlimmer.

RP 
Geht es dir da auch so?

CM
Keine Ahnung. Ich weigere mich, diesen Gedanken so klar zu denken. Ich habe manchmal eher das Gefühl, dass das vielleicht noch eine Gedankenlosigkeit ist oder ein anderer Plan, den man verfolgen will. Aber ich wage noch nicht zu denken, dass jemand absichtlich kaputt machen will. Ich weiß es nicht.

RP
Deswegen habe ich das mit der miesen Kybernetik gesagt. Das war meine erste These, dass es da eine völlige Unfähigkeit gibt, Zusammenhänge von Systemen zu denken. Dass das Kleine und das Große zusammenhängen und dass es alle möglichen Effekte in allen möglichen Größenordnungen haben kann, wenn man da Teile herausnimmt. Also eine ganz einfache Ursache-Wirkungs-Denke. Das war meine These, dass man einfach nicht fähig ist, zu verstehen, in welchen Abhängigkeiten das alles steht. 

Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass es für ganz viele opak ist, was freie Szene eigentlich bedeutet. Diese Zusammenstellung von total reagieren müssen, auf was jetzt gerade an Geld reinkommt, und die Menge an ehrenamtlicher und freiwilliger Arbeit, die da drin steckt. Aber auch an Enthusiasmus für die Sache, was das Ganze ja am Leben hält, und das ein totales Zusammenhaltsgefühl gibt, dass man das Gefühl hat, man arbeitet gemeinsam an etwas und es gibt Räume und Ansprechpartner. In dem Moment, wo man das einfach disruptiert, entsteht halt nichts Neues oder Besseres – diese Denke von kreativer Zerstörung gibt es ja hin und wieder auch in der Wirtschaft – sondern es ist einfach unkreative Zerstörung, was hier passiert.

Aber inzwischen bin ich auch der Meinung, dass da gerade ein Wechsel passiert. Und kein besonders informierter Wechsel, würde ich sagen. Da sind eine ganze Menge Ideen, die auch das freie Musiktheater schon aufgelöst hat, Ideen aus dem 20. Jahrhundert, von wegen “E” [sog. ernste Musik] und “U” [sog. Unterhaltungsmusik], und der erfolgreichen U-Musik, die organisch ihr Publikum findet und sich selbst tragen kann, und die Clubs, und das stimmt ja alles nicht. Wenn man in die Clubstudie reinguckt, dann sind 10% diese Riesenclubs, die auch wirtschaftlich richtig was machen, aber da sind auch die Jugendclubs drin, da sind die Jazzclubs drin. Die werden natürlich zum Großteil von unbezahlter Arbeit, von Ehrenamt getragen und werden natürlich gefördert. Und es ist ja auch nicht so, dass du, wenn du seltsame Popmusik machst, damit irgendwie Geld verdienen kannst. Die sind genauso auf Förderung angewiesen, wenn sie eine Platte machen wollen, weil du damit gar kein Geld mehr verdienen kannst. Da passieren richtige Umbrüche im ganzen Musikbusiness. Und da gibt es offensichtlich eine völlige Planlosigkeit, was das überhaupt werden soll, dieses Feld. 

Der Täubling bei ORBIT – Festival für aktuelles Musiktheater 2024. Foto: Sophia Hegewald

SR
Ja, auf jeden Fall. Wenn man die Großstädte kulturell so ausbluten lässt, ist das fatal. Da passiert so Vielfältiges, es ist lebendig. Man will da zu Besuch hinkommen, aber man will da auch leben. Man sucht sich ja auch nach Möglichkeit einen Studienort aus, oder danach, nach dem Studium: Wo will ich bleiben? Na ja, klar, da wo es eine Szene gibt und die ist natürlich zu finden, wo es Strukturen gibt, in Festivals, aber natürlich auch in Vereinen, Räumen und Interessensvertretungen. Auch da sind ja extreme Kürzungen geplant. Auch die können dann ihre Arbeit nicht so weitermachen wie bisher. Was auch total fatal ist, denn das ist ja das, was man braucht, weil das in der Hochschule ja nicht gelehrt wird. Und dann stehe ich da mit meinem Abschlusszeugnis, und wenn ich vielleicht nicht den klassischen Weg wählen will, sondern auch nur ein bisschen davon abweichen will, dann gibt es da nichts. 

Und vielleicht wäre noch wichtig, zu ergänzen: In allen Projekten, die sich über Förderung finanzieren, ist die kommunale Förderung total wichtig für andere Förderer, dieses Signal der Stadt, ja, wir wollen das, wir kennen die, wir unterstützen die, die haben schon gute Arbeit geleistet. Das kann man gar nicht hoch genug hängen. Natürlich war bei unseren beiden Festivals auch die Kunststiftung ein großer Förderer. Wenn wir da jetzt aber mit 0€ ankommen, dann ist das natürlich für die Kunststiftung direkt weniger interessant, da mit rein zu gehen, weil sich das natürlich gegenseitig bedingt, dass das wachsen kann. Und auch für einen selber, ich finde es schon schwer, dann zu denken, okay, man macht dann trotzdem irgendwie weiter, obwohl die Stadt das nicht haben will. Wir werden sehen, wie wir weitermachen, ob wir weitermachen können, wenn diese Null bleibt. 

CM
Diesen Gedanken habe ich auch schon gehabt. Aber was ist dann “die Stadt”? Wie du ja auch schon erwähnt hast, gab es nach dem ersten Mal die Rückmeldung, dass es super ist, dass es das endlich gibt in Köln. Es gibt jetzt ein großes Unverständnis aus der Szene, dass es das Festival jetzt nicht mehr geben soll. Die Stadt, die über die Finanzen entscheidet, sagt vielleicht, wir wollen es nicht, aber die Stadt, die Menschen, die hier arbeiten, zum Teil zumindest, die wollen es gerne haben. 

„Hanabi-Fu“ (Lea Letzel) bei SPARK – Festival für aktuelles Musiktheater 2022. Foto: Sophia Hegewald

RP
Wir haben ja eben schon kurz über Acht Brücken gesprochen, das zwar nicht zur freien Szene gehört, aber trotzdem etwas dafür tut. Ich habe immer diese Idee von Permakultur: Du kriegst den Baum nicht, wenn es keine Sträucher gibt. Wenn die großen Institutionen jetzt nicht so stark betroffen sind, ergeben sich für euch dann auch Forderungen an die Größeren nach dem Motto: Ihr sprecht immer davon, dass die freie Szene wichtig ist als Inkubator, weil ihr viel träger seid in der Art und Weise, wie ihr arbeitet, und das für euch sozusagen ein Nährboden ist für Zukünftiges? Da stellt sich für mich schon die Frage: Was ist euch das wert? Seid ihr jetzt auch bereit zu sagen, wir sehen, dass wir eine Verantwortung gegenüber der freien Szene haben? Führt ihr Gespräche mit Leuten in den größeren Institutionen?

SR
Die Forderung, dass da eine Annäherung stattfindet  – wenn es euch doch so ernst ist, dann wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, das zu zeigen – das finde ich total richtig. Aber ich glaube, man ist gerade auch ein bisschen vorsichtig. Die zarten Bande, die nicht nur wir mit der Oper Köln, sondern auch die freie Szene mit dem Schauspiel Köln geknüpft hat… Es gibt viel mehr Gründe, die in den seltensten Fällen bei den Personen liegen, sondern die Strukturen funktionieren so anders, und deswegen kommt das so selten zusammen.

Wir hatten ja beim letzten Festival eine Kooperation mit der Oper und die sagten, ah ja, wunderbar, dann können wir ja über das nächste Mal sprechen. Aber wir können nicht sprechen, weil wir 0€ in der Tasche haben. Und dann sagen die, okay, aber wir können jetzt nicht mehr länger warten. Beim letzten Mal haben wir mit Müh und Not einen Montag rausgekriegt. Das hatte aber auch damit zu tun, dass die bereit waren, wirklich was freizuschaufeln und wir bereit waren, ein Freie-Szene-Festival an einem Montag enden zu lassen. Das ist auch eher ungewöhnlich. Und das ging, weil da Menschen, die Entscheidungen treffen, also Stephan Steinmetz und Hein Mulders, das Projekt so toll fanden, dass sie sagten, ja, wir machen das möglich und auch wir sagten, ja, das machen wir möglich. 

CM
Vielleicht ist das überhaupt erstmal das Mögliche oder Erstrebenswerte, dass man miteinander spricht, auf Augenhöhe. Diese Strukturen sind anders aufgebaut, sehr hierarchisch und mit einem Riesenapparat. Für jede Frage ist wieder jemand anderes zuständig. Und bei uns ist es in der Regel so, dass wir eher kollektiv denken und entscheiden. Und wenn dann etwas gekappt wird, was vielleicht gerade angefangen hat, an Gesprächen stattzufinden, weil jemand auf der Entscheiderebene sagt, nee, fege ich wieder vom Tisch, dann macht es das schwieriger. Aber dass wir jetzt überhaupt Gespräche führen, das sind die ersten Schritte. Und ob das produktiv weitergeht… Schauen wir mal.

Christina Messner & Sandra Reitmayer. Foto: Nina Gschlößl

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