NOIES MUSIK
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Zeitung für neue und experimentelle Musik

gespräch mit e-mex-ensemble: frischer wind in der nische

Aus Noies 06/24 Februar 2025

Im Herzen des Ruhrgebiets wirkt seit 25 Jahren das E-MEX-Ensemble. Mit ungebrochener Leidenschaft widmen sich die Musiker:innen der Neuen Musik, verknüpfen sie mit anderen Disziplinen, ungewohnten Blickwinkeln und Kontextualisierungen. Sophie Emilie Beha sprach mit Dirigenten Christoph Maria Wagner, der seit dem zweiten Konzert Teil von E-MEX ist.
E-MEX © Martin Gendig
Aus Noies 06/24

e-mex.de

Sophie Emilie Beha
Ich schätze das E-MEX-Ensemble nicht nur für die tolle Musik, sondern vor allem für seine durchdachten Gesamtkonzepte, wo Neue Musik mit anderen Kunstformen, Epochen und Sichtweisen in Kontakt tritt. Ist dieser Ansatz schon von Anfang an — seit 1999 — in das Ensembleprofil eingeschrieben?

Christoph Maria Wagner:
Seit dem ersten E-MEX-Konzert in Essen war es den sechs Gründer:innen wichtig, das Ensemble relativ divers aufzustellen, also dass wir auch verschiedenste Stilrichtungen und sowohl ganz neue und ganz radikale Sachen spielen, aber dann auch immer wieder Stücke aus der Vergangenheit und das so kontextualisieren. Wir spielen eben auch mal eine Schönberg-Kammersinfonie…

SEB 
… oder Werke der Kölner Komponistin Maria Herz (1878-1950), für deren Aufnahme ihr vergangenes Jahr den Preis der deutschen Schallplattenkritik bekommen habt.

CMW
Das ist natürlich überhaupt keine Neue Musik, aber da geht es eben wieder um den Kontext. Wir haben mit der Sängerin Christiane Oelze auch Liederabende begleitet, wo wir dann eben auch neuere Werke gespielt haben, neben Gershwin, Weill und Szymanowski.

Festival „A Tribute to Ruth Crawford … Ein Fest“ von E-MEX und oh ton-Ensemble, 2024 © Daniel Swoboda

SEB
Ein weiteres E-MEX-Highlight von mir ist eure Interpretation der Video-Oper „An Index Of Metals“ von Fausto Romitelli. Eigentlich hat Romitelli da ja ein genresprengendes Gesamtkunstwerk visioniert: Klang, Bild, Farbgebung, Rhythmus, Poesie und Licht verschmelzen zu einem gewaltigen Kosmos. Das passt natürlich zu E-MEX.

CMW
Das war ein super Projekt. Wir hatten dafür ein sehr junges Team an Videoleuten. Der Cutter hat eigentlich für Netflix gearbeitet und hatte mit Neuer Musik überhaupt keinen Kontakt. Aber wir haben den einfach mal machen lassen. Das Ergebnis ist toll, schnelle Schnitte und eine Bildsprache, die eben sehr zu unseren heutigen Sehgewohnheiten passt. Da hatten wir dann erstmal Sorge, ob der Original-Filmemacher Paolo Pachini uns das so freigibt, aber der war zum Glück auch total begeistert.

SEB
Geht es euch bei all diesen Kontextualisierungen — egal ob zeitlich, interdisziplinär oder inhaltlich — auch darum, mal über den manchmal doch recht hohen Tellerrand der Neuen Musik zu schauen?

CMW
Das Problem ist, dass die Neue Musikszene ja doch sehr in sich selbst kreist und deshalb ist es mir persönlich auch immer sehr wichtig, mal raus auf den Marktplatz zu kommen. Man muss sich schon darüber im Klaren sein, dass die Neue Musik natürlich eine absolute Nische ist, und da tut es gut, wenn man ein Fenster aufmacht und mal die frische Luft reinlässt. Die Auseinandersetzung mit Rezeptionsmechanismen finde ich extrem wichtig.

SEB
Anders als andere Neue-Musik-Ensembles wie die Musikfabrik oder das Ensemble Modern hat E-MEX ja dich als festen Dirigenten. Was macht das mit der Gruppendynamik?

CMW
Ich werde jetzt nicht ganz aus dem Nähkästchen plaudern, aber es gibt sicher Ensembles, die es kritisch sehen, dass E-MEX einen festen Dirigenten hat. Wir haben aber auch einen Vorstand, der einen Großteil der inhaltlichen und organisatorischen Arbeit übernimmt und unsere Geschäftsführerin, Violetta von der Heydt — ohne die ich wirklich nicht weiß, wie das alles funktionieren würde. Wir sind eben kein Orchester, das heißt, jede:r kann sich einbringen und sich für inhaltliche Schwerpunkte einsetzen. Die Musiker:innen müssen sich mit dem Programm identifizieren können, das bedeutet, dass das Programm letztendlich divers sein muss.

SEB
Kann das nicht auch manchmal ziemlich herausfordernd sein?

CMW
Auf jeden Fall! Das Musiktheater „Sideshow“ von Steven Dazu Takasugi war wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen, denen sich E-MEX jemals gestellt hat. Das Stück ist einfach ein großes wagnerisches Musikdrama. Die Partitur hat 600 Seiten und alles ist extrem schnell. Da waren einige Musiker:innen wirklich in großer Sorge, ob sie das hinkriegen. Wir hatten dann auch besonders viele Proben angesetzt und uns vom Regisseur Valerij Lisac unterstützen lassen. Die Aufführung wurde sehr enthusiastisch aufgenommen und dann merkte man richtig, wie allen diese Steine und Gebirge vom Herzen plumpsten.

Festival „A Tribute to Ruth Crawford … Ein Fest“ von E-MEX und oh ton-Ensemble, 2024 © Daniel Swoboda

SEB
Das E-MEX-Ensemble feiert in diesem Jahr 25-jähriges Jubiläum, da kann man ja an dieser Stelle ein bisschen pathetisch werden: Habt ihr eine Vision?

CMW
Natürlich wäre es für uns fantastisch, wenn uns nach 25 Jahren endlich ein fester Proberaum gestellt würde, was uns viel bessere Planbarkeit und kontinuierlicheres Arbeiten an künstlerischen Visionen ermöglichen würde. Wir müssen immer noch einen Großteil unserer Projekte einzeln beantragen. Außerdem steht ja im Moment die ganze freie Neue-Musik-Szene etwas zur Disposition [Anm. der Red.: Zurzeit werden auf kommunaler, Landes- und Bundesebene Kürzungen des Kulturhaushalts diskutiert oder bereits beschlossen, die die freie Szene empfindlich treffen. Vgl. NOIES 05/24 “Versprechen gebrochen” von Hannah Schmidt], deswegen wäre ich froh, wenn erstmal der Status Quo weiterginge und ich würde mir wünschen, dass alle ein bisschen aus diesem Ghetto rauskommen würden und dass Neue Musik eine Selbstverständlichkeit sein kann.

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Das auf zeitgenössische Musik spezialisierte E-MEX-Ensemble wurde 1999 gegründet. Zur Grundidee gehört, eng und in direktem persönlichen Austausch mit Komponist:innen zusammenzuarbeiten und Positionen der Gegenwartsmusik in ihrer ganzen Breite vorzustellen. Von der Zusammenarbeit mit Rundfunkanstalten wie SWR, WDR und DLF zeugen viele CD-Produktionen. Zahlreiche Projekte führen das Ensemble regelmäßig ins europäische Ausland, nach Südamerika und in die USA sowie in asiatische Länder.