NOIES MUSIK
SZENE NRW
Zeitung für neue und experimentelle Musik

gespräch mit hans w. koch: in die luft schreiben

Mai 2025

hans w. koch, geboren 1962, ist ein Kölner Komponist, Klangkünstler und Musiker, der die Kölner Landschaft der experimentellen und Neuen Musik als Künstler, aber noch mehr als Katalysator geprägt hat wie wenig andere. Er leitet seit rund 10 Jahren an der Kunsthochschule für Medien den Fachbereich Sound, ist Veranstalter, überregionaler Netzwerker und kulturpolitischer Aktivist. Hanna Bächer traf koch auf ein Gespräch über Anfänge und Fortsetzungen.
®Anton Lukoszevieze

Hanna Bächer
Danke für deine Zeit, lieber hans. Es geht ja selten um dich als Musiker und Komponist, aber viele Menschen kennen dich als Professor und du bist als Veranstalter und lokalpolitisch aktiv.

hans w. koch
So richtig aktiv bin ich in beidem eigentlich gar nicht mehr [lacht]. Aber, ja, ich habe hier viel gemacht, was man so Lokalpolitik nennt. Die IfM, die Initiative freie Musik, geht auf mich zurück, ich war Vorstand der kgnm, der Kölner Gesellschaft für Neue Musik und bei der reiheM Gründungsmitglied. Aber neben der Professur kann ich das nicht mehr ordentlich leisten.

HB
Wobei deine Professur ja auch die Funktion eines sozialen Nukleus hat. Ich erlebe so viele Künstler:innen, die bei dir studiert haben, als Aktive in der Stadt.

hwk
Ich würde das jetzt nicht an mir festmachen, aber die KHM, die Kunsthochschule für Medien, ist ein Nukleus und der Soundbereich hat sich, das sage ich jetzt mal so ungeschützt, ein bisschen geöffnet, seit ich da bin. Dadurch docken viel mehr Leute bei uns an und wirken in die Stadt raus, weil sich auch die Andockmöglichkeiten in der Stadt verbessert haben. Ich versuche den Studierenden auch zu helfen, dass sie mit ihrem Abschluss was machen können.

HB
Damit die Kunst nicht nur im akademischen Kontext passiert?

hwk
Ja. Ich habe selber Komposition studiert, da hast du dann einmal im Semester ein Konzert in der Aula. Das ist schön, aber auch relativ uninteressant, das passiert halt in der Anstalt. Und deswegen habe ich ganz früh angefangen, mit Kollegen und Freunden Sachen zu organisieren und dabei haben wir uns langsam das Vertrauen des Kulturamts erarbeitet. Wir haben Anfang der 90er eine Reihe gemacht, “Neue Musik in Europa”, mit Kollegen aus dem europäischen Ausland. Da habe ich gemerkt, wie unglaublich wertvoll es ist, außerhalb der Hochschule was zu machen. Man lernt Sachen kennen, die man in der Lehre nicht gut abbilden kann.

HB 
Ich glaube, dass die geistige Herausforderung des Sozialen auch oft unterschätzt wird.

hwk
Ja.

1983: “als keyboarder der heidenheimer punkband „fuckinors“ beim letzten auftritt der band 1983″

HB
Du hast zuerst auf Lehramt studiert, bevor du nach Köln gegangen bist. Hat dich das Lehren also immer begleitet?

hwk
Nee, ich wollte nach dem Abitur ein großer Pianist werden, aber ich war halt keiner und bin durch die Aufnahmeprüfung gerauscht. Also habe ich der Musik den Rücken gekehrt und Ägyptologie und Altorientalistik studiert, aber danach gemerkt, ich will doch was mit Musik machen und bin an die PH, die Pädagogische Hochschule, gegangen, weil es da keine Aufnahmeprüfung gab. Ich habe Lehramt für Realschule studiert. Meine Eltern waren ja beide Lehrer, also war das irgendwie so eine “Ja, ok“-Entscheidung. Zwei Dinge waren super an der PH in Weingarten. Das eine war, ab dem zweiten Semester stehst du in der Schule, dann weißt du ab dem dritten, dass du da nicht dein Leben lang stehen willst, oder eben doch. Und das zweite wirklich großartige war die Klavierlehrerin, Rita Jans. Die ist bundesweit bekannt geworden, weil sie noch während meiner Studienzeit die Internationalen Weingartener Tage für Neue Musik gegründet hat, mit Heinz-Klaus Metzger, einem Adornoschüler. Der hat als Theoretiker der Neuen Musik einen wahnsinnigen Einfluss ausgeübt, auch hier in Köln, mit sehr eigenständigen Thesen und lange diese Reihe “Musik und Konzept” herausgegeben. Und er war jemand, der sich sehr für Cage eingesetzt hat. Zusammen mit seinem Lebensgefährten, dem Rainer Riehn, hatte er zum Beispiel das Ensemble Musica Negativa, die die Music Before Revolution Schallplatten gemacht haben. Die waren auch politisch aktiv. Rita Jans war selber als Pianistin Spezialistin für Stockhausen und konnte Stockhausen spielen, das habe ich nie wieder so gehört. Und die hat mich unter ihre Fittiche genommen.

HB
Weil sie in dir einen Komponist gesehen hat?

hwk
Ich hatte halt irgendwie doch ein Talent für Musik, das hat sie gemerkt und mich gefordert. Da war ich ja schon fast Mitte 20. 1984 bin ich nach Weingarten. Sie hat gesagt, Sie müssen auf die Musikhochschule. Es war aber nicht ganz klar, wie. Ich konnte nach dem Unterricht mit ihr zwar sehr viel besser Klavier spielen, aber Pianist wollte ich schon gar nicht mehr werden. Der Zug war abgefahren, auch schon altersmäßig. Sie hat dann einen Kontakt hergestellt zu Mathias Spahlinger, einem Komponisten Neuer Musik, politisch artikuliert, Jahrgang 44. Eine wirklich herausragende Figur, so wie Rihm und Lachenmann. Und da ich zu arm war, ein Telefon zu haben, hat man sich Postkarten geschrieben.

HB
Verrückt, dass das damals noch so war.

hwk
Wir haben per Postkarte eine Sprechstunde vereinbart. Er hat mich eingeladen nach Karlsruhe, da unterrichtete er und ich bin da hingefahren und dann war er da auch, das war schon toll. Der hat sich dann meine Sachen angeguckt und meinte, naja, er wolle jetzt nicht sagen, ob das gut sei oder schlecht, aber er hätte das Gefühl, dass ich noch nie eine Note aus dem 20. Jahrhundert gesehen hätte. Damit lag er nicht so ganz schief. Ab dann habe ich mit Frau Jans auch Neue Musik studiert, Stücke von Webern, Stockhausen und so weiter.

HB
Kanntest du denn beispielsweise Cage davor schon?

hwk
Cage hatte ich bis dahin wenig mitgekriegt, aber das Großartige war, für die zweite Ausgabe der Weingartener Tage für Neue Musik kam Cage. 1987. Er verbrachte ein Wochenende an der PH mit Konzerten und hat eine Performance gemacht von Empty Words Teil IV. Und da sind mir die Ohren abgefallen.

HB
War für dich der nächste Schritt, Komposition zu studieren?

hwk
Jein, ich habe Aufnahmeprüfungen an Musikhochschulen gemacht und im Herbst 1988 angefangen, in Köln zu studieren. Aber Musiktheorie und Künstlerischer Tonsatz. Tonsatz ist eine semikünstlerische Disziplin, wo man lernt “im Stil von“ zu komponieren, historische Satztechniken und Orchestrierung, und das zu expandieren. Ein ganz interessantes Konstrukt. Ich bin aber nebenher zu Johannes Fritsch in die Klasse gegangen, die nämlich im Unterschied zu den anderen Klassen offen war. Ab dem zweiten Semester habe ich gemerkt, dass ich da lieber hin will. Ich habe dann Fritsch gefragt, ob er mich nehmen würde und er hat Ja gesagt, ich musste nur intern eine kleine Aufnahmeprüfung machen.

1992: “der aufbau für das stück ‚x∞= op (x∞) für zwei tonbandgeräte, mikrophon, lautsprecher und ein papprohr'“. © Michael Feuchtmaier

HB
War Fritsch als Komponist ein großer Einfluss auf das, was du gemacht hast?

hwk
Nicht in der Art, wie er komponiert hat. Ich fand das schon interessant, natürlich, vor allem seine Lineage zu Stockhausen. Aber er hatte vor allem Haltung, er war querständig, unbequem und wach, was künstlerische Entwicklungen angeht. Und als Lehrer sehr zurückhaltend, was sein eigenes Werk anging, aber konnte jede Menge Sachen aufgreifen. Und ich hatte das Glück, in einer sehr guten Klasse zu sein. Siegfried Koepf war da, später auch Oxana Omelchuk, eine Generation nach mir. Fritsch hat einen Möglichkeitsraum geschaffen. Und auch gefordert. Weil, wenn wir nichts vorbereitet haben, dann hat er seinen Vortrag über Platons “Timaios“ gehalten. Das ist ganz toll, da geht es um Stimmungssysteme und Zahlenproportionen, aber mehr als zweimal braucht man den nicht zu hören. Deswegen haben wir sehr aktiv Adorno gelesen und uns damit auseinandergesetzt. Und wir haben Stücke vorgeschlagen. Ich hatte mal vorgeschlagen, dass wir was zu Giacinto Scelsi machen, weil ich viel über ihn gearbeitet hatte und Fritsch hat dann Interpreten eingeladen und wir haben ein Kolloquium gemacht und ein Konzert in Sankt Peter. Ähnlich mit Morton Feldman. Das war klasse, weil man gelernt hat, selbstständig zu denken. Wenn ich gefragt werde, “Was hast du bei Fritsch gelernt?” Dann sage ich immer, Fragen zu stellen. An meine eigene Arbeit, aber auch an die von anderen.

HB
Wann kam der Punkt, an dem du etwas komponiert hattest, mit dem du zufrieden warst?

hwk
Ich hab erstmal ganz lange nichts eingereicht bei Fritsch. Der wurde schon nervös. Ich kann mich nicht dran erinnern, aber Jahrzehnte später hat ein ehemaliger Fritsch-Student erzählt, dass Fritsch zu mir sagte, “Dann komponieren Sie wenigstens mal ein paar kleine Klavierstückchen.” Und ich bin in die Klasse gekommen mit einer Plastiktüte und habe die auf dem Tisch ausgeleert und da waren Stücke von einem Klavier drin. Das waren meine kleinen Klavierstückchen. Kann sein, dass das wirklich passiert ist, ich weiß es nicht mehr.

HB
War das akzeptiert, damals?

hwk
Fritsch hat alles akzeptiert. Es gab kein Format, was man nicht machen konnte. Es gab einen Studierenden, der wollte eine Musik für hallige Räume machen. Das hat dazu geführt, dass der Klassenabend per Videokamera – und wir reden von den frühen 90ern, da war das nicht so trivial wie heute – aus den Herrentoiletten übertragen wurde, weil das der hallige Raum war. Und in den verschiedenen “Stalls“ saßen die Interpreten und haben Sachen auf den Gang rausgerollt und so. Das war nicht nur drollig, es klang auch gut.

HB
Wie hast du damals außerhalb der Musikhochschule Musik erlebt?

hwk
Der WDR hat veranstaltet, es gab verschiedene Reihen von der kgnm. Brückenmusik fing 1995 an. Da war ich von Anfang an als Gast. Peter Behrendsen hat mich dann gefragt, ob ich das mit ihm zusammen machen will, und ab 99 war ich selber als Organisator mit dabei. Die meisten interessanten Leute hat man außerhalb der Hochschule kennengelernt. Auch Peter. Ich bin 1996 in die kgnm eingetreten. Manos Tsangaris hatte damals eine Galerie am Gereonswall, die Schneiderei, und hat mich eingeladen, ein Solokonzert zu machen. In der Zeit habe ich angefangen, was mit Elektronik zu machen als völliger Autodidakt. Ich hatte eine Sache mit Pappröhre und zwei Tonbandgeräten, auf dem einen wird aufgenommen und auf dem anderen wiedergegeben. Ein Feedbacksystem mit einer langen Röhre, die über einer Gitarrenbox hängt,wo oben ein Mikrophon drin ist, und dadurch gibt es sehr merkwürdige Arten von Feedback. Das habe ich mit einer Bürste gestrichen. Es war alles sehr hemdsärmelig, hat aber gut geklungen.

1997: “’x∞ = op (x∞)2′, das pappröhrenstück als performte installation während der brückenmusik 3, 1997″ © Brigitte Burgmer

HB
Kam das aus der Zeit mit Fritsch, mit solchen Materialien und gefundenen Objekten zu komponieren?

hwk
Am Anfang bei Fritsch habe ich relativ konventionell für Instrumente geschrieben. Bis auf Sachen wie Kombinationstöne. Davon hatte ich von Fritsch gehört und dazu recherchiert und ein Stück für Ensemble geschrieben, eigentlich eine Bearbeitung von einem Alte Musik Stück von Girolamo Frescobaldi. Mit zwei hohen Klarinetten, wenn die spielen, dann hörst du den dritten Ton, den Kombinationston. Das war damals noch nicht so weit verbreitet. Der Dirigent von dem Hochschulensemble, das das damals gespielt hat, hat immer irritiert gesucht, wer denn da noch einen Ton spielt.

1997: “ditto“ © Brigitte Burgmer

HB
Du wirst oft damit zitiert, dass dir das Konzept, die Gedanken, wichtiger sind als das Material oder das Werk. War es damals noch so, dass du ein Material hattest, einen Klangerzeuger oder ein Instrument und von diesem ausgehend komponiert hast? Oder hast du komponiert und das Material, mit dem es umgesetzt wird, war erstmal nebensächlich?

hwk
Also am Anfang habe ich komponiert, wie man halt so komponiert. Dann habe ich aber tatsächlich Stücke gemacht, die sozusagen Leer-Stücke waren im Sinne von Flaschen, in die man Instrumente rein füllen konnte. Also konzeptionelle Arbeiten, das hatte noch gar nicht so viel mit Materialität zu tun.

Anfang der 90er Jahre war ich Mitglied in einem kleinen Kunstverein. Einer davon, Michael Feuchtmaier, hatte so eine sehr krude, sehr schöne Maschine gebaut, wie eine Art Plattenspieler, aber ohne Platten, sondern mit Schieferscheiben, auf die dann gekritzt wurde, während man in einer Holzkonstruktion eine Kurbel betätigt hat. Diese Überlagerungsidee hat mich fasziniert und ich habe überlegt, wie kann ich mit meinen Mitteln damit umgehen? Ich hatte von Elektronik keine Ahnung, aber kam irgendwie auf die Idee, das mit Tonbandgeräten zu machen und habe auf dem Schrott Tonbandgeräte gekauft und was zusammengestoppelt. Das wurde die berühmte Schaltung mit zwei Tonbandgeräten. In der Schneiderei habe ich auch das Stück mit dem Inneren eines Computer aufgeführt. Peter hat mich 1997 mit dem Papprohr in die Brückenmusik eingeladen, als Künstler.

HB
War das wie so ein Joghurtbecher-Telefon, die Röhre?

hwk
Oben war tatsächlich ein Joghurtbecher drin, um die dicht zu machen, mit Watte ausgestopft. Also ganz schlecht konstruiert. Wenn heute ein Student so kommen würde, würde ich sagen, pass auf, das macht man SO. Aber ich hatte damals niemanden, der mir das gesagt hat.

HB 
Ist das ein Unterschied zu heute? Ich habe manchmal das Gefühl, die Menschen sind orientierungslos, weil es schwieriger ist, experimentell zu denken, wenn so vieles schon mal da gewesen ist. Zum Beispiel, Gegenstände anders zu benutzen als intendiert.

hwk
Ich war auch naiv. Ich war nicht der erste, der mit zwei Tonbandgeräten gearbeitet hat. Ich habe aber irgendwann gemerkt, okay, du musst was lernen, du bist einfach zu dumm. Und habe so viel recherchiert, wie ich nur konnte, über bestimmte Zweige der experimentellen Musik. Ich hatte ja auch das Riesenglück, dass die meisten Komponist:innen noch lebten und ich sie alle kennenlernen konnte. Heute ist das nicht mehr so einfach. Da hat man diese Großvätergeneration. Ich versuche, den Studierenden diesen Kontext herzustellen.

HB
Das man nicht alleine auf der Welt ist?

hwk
Das man nicht vom Mond kommt. Und das muss nichts bedeuten, weil, wenn man es selber macht, macht man es garantiert anders. Es schreibt ja keiner ab. Ich habe halt relativ früh das Glück gehabt, den Leuten zu begegnen und zu merken, ich bin plötzlich in einem Kontext und muss mich dazu verhalten und es ist peinlich, wenn ich nicht einordnen kann, wo ich bin.

HB
Ich glaube, alle Anfang-Zwanzigjährigen haben das, dass sie denken, sie sind die ersten Menschen, die auf irgendeinen Gedanken kommen. Ich war auch so. Wie notierst du eigentlich?

hwk
So wie es zweckmäßig ist. Wenn du willst, dass Leute bestimmte Töne spielen, dann schreibst du die Töne auf. Wenn du willst, dass Leute Töne erwürfeln, dann musst du eine Notation dafür finden, die das möglich macht. Geräusche kann man sehr delikat notieren. Ich gehöre aber nicht zu denen, die sagen, mit sanftem Druck 30 Zentimeter nach vorne bewegen auf dem Material. Das ist nicht meine Art zu notieren, weil ich auch in Notationen eher an Prozessen interessiert bin, als an der Formulierung eines Ziels.

HB
Gilt das auch für deine frühen Stücke?

hwk
Da dachte ich, wenn jetzt ein Ensemble von Studierenden aus der Musikhochschule das spielt, schreibe ich die Noten besser genau hin, sonst spielen die irgendwas. Da wollte ich, dass etwas Bestimmtes rauskommt. Meine erste Erfahrung mit einem Stück mit offener Notation war nicht sehr ermutigend, die haben das nicht ernst genommen. Das war da auch ein bisschen der Spirit, an der Musikhochschule.

HB
Dieser Fokus auf das Prozesshafte, hat der auch etwas damit zu tun, dass es so wenige Veröffentlichungen von dir gibt? In der Welt der Tonträger wird das Objekt ja gerade von Rezipientenseite manchmal völlig überhöht. Da geht es nur noch um das Artefakt. Hat dich das nie interessiert?

hwk
Nein, Tonkunst ist ja in die Luft geschrieben. Das hat, finde ich, auch etwas Tröstliches. Die Artefakte, die es gibt von mir, sind zwei eigene Releases. Das eine ist eine Schallplatte bei Edition Telemark, “the O. theorem”. Da habe ich gedacht, why not, alle machen Schallplatten, jetzt machst du auch mal eine. Und das andere ist die DVD mit der Klavierzerstörung (“requiem for a baby grand”). Die Wohnung, in die ich damals gezogen bin, von der Schwester von Thomas Lehn, kam mit einem fußkranken Flügel, den man nicht mehr bewegen konnte. Ein alter Försterflügel, aber wirklich abgerockt. Den wollte ich loswerden und niemand wollte ihn. Das habe ich Hermann-Christoph Müller erzählt, der war gerade frisch im Kulturamt und meinte, “Ich gebe dir Geld, mach ‘ne Kunstaktion”. Also habe ich Ben Patterson angerufen, mit dem war ich eh gut befreundet, und Thomas, es war ja sein früherer Flügel. Und Jozef Cseres, der ist Professor für Ästhetik in Brno. Jozef ist eine super wichtige Figur als Hub in Osteuropa und Mitglied von der Band Lazy Anarchists. Und alle hatten Lust. Die Performance fand zur Art Cologne im Vorraum der Deutzer Brücke statt. Thomas und ich, wir beide hatten ja eine Klavierlehrervergangenheit, haben vierhändig Stücke gespielt, Jozef hat einen Vortrag gehalten und Ben hat irgendwann zur Zange gegriffen und die Saiten durchgeknipst, während wir gespielt haben. Zur Dokumentation habe ich Pavel Borodin gefragt, der in den Dialograum “Kreuzung an St. Helena” in Bonn involviert ist. Der hat ein Label, PanRec und kam mit hochprofessioneller Kameratechnik. Es ist ein schöner Film draus entstanden, und Pavel hat den Sound gut gemischt. Das waren aber alles Dinge, die mich eigentlich nicht so interessieren und Pavel ist an mir fast verzweifelt.

HB
Sound zu mischen hat dich nicht interessiert?

hwk
Also die Aktion hat mir wahnsinnigen Spaß gemacht. Der Flügel lebt jetzt in Kölner Häusern weiter, weil, nachdem er dann kurz und klein war, durfte das Publikum sich Stücke mitnehmen. Georg Wissel hat zum Beispiel den Deckel mitgenommen, die haben daraus einen Tisch gemacht. Man sah die Leute mit Hämmerchen, Tasten und sonst was rausgehen.

HB
Also mit den Artefakten… Ist das das einzige Mal, dass du dich so direkt auf Fluxus bezogen hast?

hwk
Ich bin zwar mit Fluxusleuten in Kontakt gewesen und einige haben auch gesagt, “Das, was du machst, ist Techno Fluxus.” Wie ich den Laptop als Akkordeon spiele und solche Dinge. Da ist eine Verbindung hergestellt worden, wo ich dann mal schnell recherchieren musste, wovon die denn reden. Als ich Ben kennengelernt habe, Ende der 90er Jahre, da war mir noch nicht so klar, was Fluxus war. Aber ich fühle mich nicht als Fluxuskünstler. Das wäre anmaßend.

1997: “auftritt mit ‚computermusic I – sprengzeichnung‘ beim voltage controled festival (VCF festival) 1997 in der alten feuerwache“ © Joker Nies

HB
Du hast eben gesagt, dass dich Technik oder wie man etwas aufnimmt, nicht so interessiert. Heute gibt es das ja, dass Aufnahmetechnik auch an Musikhochschulen beigebracht wird, aber damals gab es eine strikte Trennung zu den Toningenieur:innen, oder?

hwk
Man hat bei Fritsch vielleicht noch am ehesten mitgekriegt, wie man ein Mikrofon aufstellt und er konnte dazu auch kompetent was sagen. Aber das war eigentlich nicht Lehrinhalt. Und elektronische Musik, das hat mich schlicht nicht interessiert. Weil damals das Modell so war, du machst als Komponist einen Plan und arbeitest dann mit dem Techniker, der das für dich realisiert. Ich wollte lieber dilettieren, Fehler machen und Dinge gegen den Strich bürsten. Es waren viele “what, if?“-Fragen. Mein erstes Computerstück war so eine Frage: Alle reden immer von Computermusik, aber keiner davon, wie eigentlich ein Computer klingt. Ich hatte Glück, der Vater von einem meiner Klavierschüler hatte einen Recyclingbetrieb für Büroelektronik. Ich habe mir ein paar ausgemusterte Bürocomputer mit nach Hause genommen, die aufgemacht und Drähte an die Schaltkreise gehalten, um zu gucken, wie es klingt.

HB
Also hat dich Hardware interessiert, aber Software nicht? Es gab ja diesen Punkt, ab dem plötzlich DIY-Musik gemacht werden konnte mit Software, ohne dass diese Übersetzung an einen Techniker passieren musste.

hwk
Das hat bei mir erst später eingesetzt. Die erste Software, die ich benutzt habe, war Max.

HB
Klar.

hwk
Das war nicht so klar! Das gab es noch gar nicht auf dem Markt. Ich habe es von einer Freundin bekommen, die am Ircam einen Kurs gemacht hatte. Auf einer Floppy Disk, das konnte noch kein Audio, nur MIDI. Sie hat mir Dinge demonstriert und ich dachte, wow! Und dann hatte ich diese Floppy Disk und einen Computer und keine Ahnung, was man damit machen kann. Das Handbuch war irgendwie zehn Seiten. Ich habe nichts verstanden und angefangen, rumzuprobieren, bis ich auf Ideen kam. Danach habe ich angefangen zu programmieren, später auch mit MSP, dem Audioteil. Ich habe ewig gebraucht, bis ich mir Logic gekauft habe, weil mich das nicht so interessiert hat. Das Programmieren aber, so wie Max, das war kongenial für mich

HB
Auch weil Max nicht linear ist, wie ein DAW? Wenn ich an deine Stücke denke, verstehe ich das richtig, dass dein Denken, deine Ideen, auch weniger eine Linearität verfolgen, als viel mehr Textur?

hwk
Oder Struktur, oder einen Prozess, von dem man noch nicht genau weiß, was herauskommt. Manche Prozesse kann ich vorhersehen, da kann ich sagen, okay, das ist so wie bei anderen Prozesskompositionen, man weiß genau, wie es endet. Und in solchen Fällen ist das Resultat dann interessant, eben weil man genau weiß, wie es endet. Da muss man dann bereit sein, den Weg dahin zu gehen.

2001: “’flute tube lute tune use 50 tuba tubing used true tubes 55 ukulele musical bugle‘ gemeinsame performance von barbara held und hans w. koch in der deutzer bruecke als teil des fesivals ‚bcn-cgn‘ (http://bcn-cgn.de/de/start.html) september 2001″ © Georg Dietzler

HB
Spielt Überraschung dabei eine Rolle?

hwk
Nö. Weil ich ein bisschen eine Abneigung gegen Dramaturgie und narrative Formen habe, um es mal ganz deutlich zu sagen. Das macht mich nervös. Denn Dramaturgie und Überraschungen sind auch Formen, von, okay, ich manipuliere jemanden. Ich bin lieber langweilig.

HB
Noch mal zurück zu deinem Alltag. Du hast die Musikhochschule beendet und hattest wissenschaftliche Lehraufträge. Wie hast du Geld verdient, in der Zeit, bis du dann im Robert Schumann Institut, nach 2009, das erste Mal auch einigermaßen vernünftig bezahlt wurdest?

hwk
Ich bin von 1990 bis 2002 als privater Klavier- und Theorielehrer von Haus zu Haus gezogen. 2002 habe ich das Villa Aurora Stipendium gekriegt, zusammen mit Andreas Wagner. Das habe ich als Anlass genommen, aus dem Klavierlehren auszusteigen und mich dann mit Konzerten, Installationen und konzertpädagogischer Arbeit über Wasser gehalten. Und meine künstlerische Arbeit ging besser und besser. 2007 hatte ich dann eine Gastprofessur in Kalifornien. Das war das erste Mal, dass ich Geschmack gekriegt habe an der Vorstellung, innerhalb von Institutionen zu unterrichten.

HB
Weil diese Institution speziell gut ist, oder weil das einfach in dem Moment für dich gepasst hat?

hwk
Das hat gepasst. CalArts ist gut, aber das Merkwürdige war für mich, dass die Idee der Multidisziplinarität überhaupt nicht funktioniert hat. Jede Disziplin hat so vor sich hin gewurschtelt. Ich habe auch verstanden, warum: Weil jeder wahnsinnig viel zu tun hat und so ein extra Ding extra Energie, Zeit und Kraft erfordert.

HB
Wer war denn zu deiner Zeit im Musik- und Kompositionsbereich an der CalArts?

hwk
Direkt vertreten habe ich Michael Pisaro, der war im Sabbatical. James Tenney war gerade gestorben. Mark Trayle war noch da, der mich vorgeschlagen hat. David Rosenboom war der Dekan, den kannte ich auch schon vorher. Und Barry Schrader, der Komponist elektroakustischer Musik.

HB
Wenn du sagst, das wurde besser mit deinen eigenen Kompositionen, heißt das einfach, dass du mehr aufgetreten bist oder auch, dass deine kompositorische Arbeit besser wurde?

hwk
Das kann man so nicht sagen. Ich bin kein besserer Komponist geworden, sondern ich hatte mehr zu tun. Das mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass die Sachen irgendwie bekannter wurden. Ob sie besser geworden sind, weiß ich nicht. Für mich selber war ich immer von dem überzeugt, was ich gerade gemacht habe. Im Rückblick kann ich sagen, die Sachen, die ich auch jetzt noch gut finde, das sind nicht sehr viele.

HB
Welche dann?

hwk
Ich denke, eine gute Serie von Arbeiten ist die “Computers As Musical Instruments”, womit ich nicht nur für mich einen bestimmten Punkt erreicht habe, sondern die immer noch in Büchern auftaucht. Und “circle_of_fifths”. Das versteht zwar keiner, aber das ist eine wichtige Arbeit in vielen Kontexten. Und mit dem “O. theorem”, da gibt es auch Dinge, die sehr gut gelungen sind, denke ich. Nicht alle, aber das ist ja auch noch nicht abgeschlossen.

HB
“Circle of Fifths” finde ich interessant, weil es ja ganz klar Klangkunst ist. Andere Sachen, die du machst, gehen in die Composer-Performer-Richtung. War die Beschäftigung mit Klangkunst eine bewusste Entscheidung oder hat sich das einfach so entwickelt?

hwk
Klangkunst ist ja ein bisschen ein leerer Begriff geworden, damals hatte er noch mehr Bedeutung. Jeder, der zwei Lautsprecher anschließen kann, bezeichnet sich heute als Klangkünstler, um es mal ganz salopp zu sagen. Ich hatte dadurch, dass ich an der Brückenmusik mitgewirkt habe, das Glück, die besten Leute der Klangkunst frei Haus zu holen und mit ihnen beim Aufbau Zeit zu verbringen. Mitzuerleben, wie denken die, was machen die? Das ist unglaublich wertvoll. Ich habe das als Erweiterung meiner Arbeitsmöglichkeiten gesehen, ich habe nicht ursprünglich installativ gedacht. Aber es war mir sehr nahe, Dinge so zu sehen, als jemand, der in Prozessen denkt, die potenziell ja auch länger laufen können als eine Konzertdauer.

2006: “das von ben patterson ins leben gerufene tatlin quartett bei seinem ersten und einzigen konzert im „espace multimedia gantner“ bourogne, frankreich. von links: ben patterson, hans w. koch, dima bulnigin, annegret heinl“ © Yvan Etienne

HB
Komponierst du anders oder weniger, seitdem du Professor bist und dich so viel mit den Werken anderer Leute beschäftigen musst?

hwk
Natürlich mache ich viel weniger, schon kraft- und zeitmäßig. Ich war nie schnell, aber jetzt brauche ich noch mal doppelt so lang, um einen Gedanken zu entwickeln. Ich arbeite jetzt eher so in Jahresschritten. Es gibt einen Zweig in meiner Arbeit, der hat mit Mathematik zu tun, da mache ich jedes Jahr einen kleinen Schritt.

HB
Wenn man unterrichtet und sich so intensiv beschäftigt mit den Prozessen anderer Menschen, ist es dann auch schwieriger, eigene Ideen abzugrenzen?

hwk
Nö. Ich habe nicht dieses Ding, das sind meine Ideen oder jemand anderes Ideen. Ideen sind Ideen, die kommen alle aus dem gleichen Geist. Und ich belästige Studierende ja auch mit meinen Ideen angesichts ihrer Projekte. Manchmal habe ich dann das Gefühl, dass ich über den Tag so viele Ideen verteilt habe, dass abends keine mehr übrig sind für mich selber. Vielleicht ist das auch ein bisschen anmaßend, aber ich merke, dass ich dann abends keine Kraft mehr habe.

HB
Findest du das schlimm?

hwk
Schlimm nicht. Aber was ich manchmal traurig finde, ist, dass ich so lange brauche, weil ich eine bestimmte Art von Ruhe in meinem Kopf brauche, um einer Idee nachzugehen. Eine Idee ist ein scheues Tier. Diese Ruhe nicht zu haben, das finde ich manchmal traurig. Denn wenn ich ein paar Tage habe und etwas fängt gerade an, zu keimen, dann geht die Mühle wieder los. Aber nicht wegen den Studierenden, sondern wegen der Verwaltungsarbeit.

HB
Aber in einer absehbaren Anzahl von Jahren ist ja der sprichwörtliche Ruhestand erreicht.

hwk
Da freue ich mich auch drauf. Die Arbeit mit den Studierenden ist herausfordernd, macht aber Spaß. Das mit der Verwaltung macht nur begrenzt Spaß. Aber wenn ich einen Tag mit Sprechstunden gefüllt habe, dann bin ich am Abend zwar leer, aber auch ein Stück weit glücklich. Die Studierenden sind mir nicht lästig.

HB
Das merkt man.

hwk
Das sind Leute, die sind in einer Situation, in der ich mal war, mit vielen, vielen Unterschieden. Ich habe viel von denen gelernt, wie sich die Lebenswahrnehmung so ändert. Als ich in ihrem Alter war, wurde die Mauer abgebaut, jetzt werden wieder Mauern aufgebaut.

HB
Das stimmt. hans, danke für das Gespräch.

2001: “’flute tube lute tune use 50 tuba tubing used true tubes 55 ukulele musical bugle‘ gemeinsame performance von barbara held und hans w. koch in der deutzer bruecke als teil des fesivals ‚bcn-cgn‘ (http://bcn-cgn.de/de/start.html) september 2001″ © Georg Dietzler

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