NOIES MUSIK
SZENE NRW
Zeitung für neue und experimentelle Musik

gespräch mit ina stock und kornelia vossebein: mindesthonorare: mehr eier, mehr hefe – besserer kuchen?

Aus Noies 02/23 Juli 2023

Die Kulturminister-Konferenz hat eine Honorarmatrix vorgelegt, die den Ländern bei der Einführung von verbindlichen Basishonoraren für künstlerische und kulturelle Tätigkeiten in landesgeförderten Zusammenhängen dienen soll. Ina Stock (Vereinigung Alte Musik NRW) und Kornelia Vossebein (Künstlerische Leiterin Europäisches Zentrum für Jazz und Aktuelle Musik Stadtgarten, Köln) sind an verschiedenen Stellen an den Diskussionen zur Honorarmatrix beteiligt, u.a. in der Facharbeitsgruppe des Musikreferats im Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW. Thomas Gläßer traf die beiden im Januar 2023 auf ein Gespräch.
Aus Noies 02/23

Den aktuellen Entwurf eines »Konzepts Basishonorare« der Gewerkschaft ver.di findet Ihr hier.

Thomas Gläßer (IFM e.V.):
Ina Stock und Kornelia Vossebein, was ist für Euch das wichtigste strategische Ziel der aktuellen Debatte um Honoraruntergrenzen bzw. Mindest- oder Basishonorare, zum Beispiel für das Jahr 2030?

Ina Stock:
Ich hoffe, dass das Thema 2030 längst gegessen ist. Mein wichtigstes Ziel als Vereinigung Alte Musik und auch als Privatperson und ausübende Musikerin wäre, dass alle meine Kolleg:innen, die 2030 noch als Musiker:innen arbeiten und Familien zu ernähren haben, dies ohne existentielle Sorgen tun können, ohne sich total krumm zu machen und ohne zu behaupten, sie kämen zurecht, obwohl das gar nicht stimmt. Ich spreche hier auch als Pädagogin, die an der Hochschule Musiker:innen ausbildet und das eigentlich gar nicht mehr mit gutem Gewissen tun kann, weil mit dem Musikerberuf zur Zeit keine belastbare Erwerbsperspektive verbunden ist. Ich selber habe Glück, weil mein Partner stabil Geld nach Hause bringt, aber das kann ja nicht das Modell sein!

Kornelia Vossebein:
Genau das ist unser gemeinsames Ziel: Jede:r Musiker:in – und auch jede:r Techniker:in, jede:r Organisator:in, alle die Livemusik ermöglichen – sollte von dem, was sie/er tut, leben können, ohne auf die Altersarmut zuzusteuern. Dazu muss viel mehr Geld ins System – und gleichzeitig muss die Infrastruktur der Spielstätten und Veranstalter:innen deutlich besser finanziert werden.

TG:
Was genau soll mehr Geld im System bewirken? Mein Eindruck ist, dass das entweder zu einer Ausdehnung des ganzen subventionierten Bereichs führt oder aber zu einem härteren Qualitätswettbewerb.

KV:
Letzteres, natürlich. Eine wesentliche Frage ist die Definition dessen, was wir unter »professionellen Künstler:innen« verstehen, wer also eine Mindestgage bekommen soll. Denn nur weil jemand ein Schild hochhält, »Künstler:in«, kann er/sie nicht lebenslang alimentiert werden. Viele junge Menschen starten mit Enthusiasmus in den künstlerischen Bereich, können aber schlussendlich nicht stabil davon leben und steuern auf Altersarmut zu. Daher wollen wir alle Mindesthonorare für professionelle Musiker:innen. Wahrscheinlich wird es dann erstmal weniger Arbeit geben, aber die ist dann besser bezahlt.

TG:
Deckt sich das mit deiner Auffassung, Ina? Brauchen wir besser subventionierte und tragfähigere Erwerbsmodelle für weniger Musiker:innen?

IS:
Ja, das teile ich unbedingt – das ist eine Konsequenz, die man in Kauf nehmen muss. Ich würde nicht die ganze Masse an Musiker:innen, die sich in den letzten Jahrzehnten in allen Musikbereichen entwickelt hat, als reine Profis bezeichnen, die wirklich von der Musik leben könnten. Das ist bitter und im Einzelfall bedauernswert, aber auch der Musikmarkt sortiert Musiker:innen aus. In der Alten Musik gab es vor nicht allzu langer Zeit nur eine Handvoll Musiker:innen, inzwischen sind wir 1500, vielleicht 5000, wahrscheinlich noch deutlich mehr. Andererseits glaube ich, dass es für die handwerkliche Qualität der Musik und für die Entfaltung der Kreativität sehr günstig sein kann, wenn man neben der künstlerischen Arbeit nicht noch einen oder zwei andere Jobs machen muss, um überleben zu können.

KV:
Ich hatte diese Woche ein Erstsemester-Seminar von Jazzstudierenden zu Gast im Stadtgarten. Im Grunde müssen sich all diese Studierenden darüber im Klaren sein, dass sie später als quasi Solo-Selbstständige arbeiten werden. Sie müssen sich klar sein, dass sie Erwerbsmodelle, Auftraggeber:innen brauchen – und dass der Wettbewerb hart ist. Ich bin mir nicht sicher, ob die Hochschulen das klar genug thematisieren.

IS:
Matthias Hornschuh, Komponist, hat in unserer Ministeriums-Arbeitsgruppe immer gesagt: Wenn die Kuchenstücke größer werden, der Kuchen aber nicht, dann bekommen weniger Akteur:innen was vom Kuchen ab. Und ich denke, tja, dann brauchen wir mehr Hefe, mehr Eier, einen größeren Kuchen, mehr Stücke – in diesem Fall vom Ministerium.

TG:
Konkreter Ausgangspunkt für die Diskussionen ist in der Regel die Honorarmatrix der Kulturministerkonferenz. Sie sieht gestaffelte Honoraruntergrenzen nach kunstfremden Kriterien wie Studienabschlüssen oder Berufserfahrung vor. Wie ist hierzu der Stand in der Musik-Arbeitsgruppe im Ministerium?

IS:
Wir haben das alles geschlossen abgelehnt: Keine unterschiedlichen Honorare je nach Studienabschluss, nach Musikgenre oder Alter. Ella Rohwer (Pro Musik) und ich haben einen flexiblen Nachweis der Professionalität vorgeschlagen: Entweder Studienabschluss oder Website, Videolinks, Konzerterfahrungen, Referenzen – und auf keinen Fall ein einkommensbasiertes Kriterium wie 51% Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, weil das für viele unter den aktuellen Bedingungen gar nicht zu erzielen ist.

TG:
Hätte die Einführung von Honoraruntergrenzen Auswirkungen auf die geförderten Inhalte? Wird es möglicherweise schwerer für Nischenmusiker:innen, wenn die Kuchenstücke größer werden, ohne dass der gesamte Kuchen entsprechend wächst?

KV:
Alle Spielstätten finanzieren experimentelle Inhalte ohnehin quer – in der Regel aus publikumsstarken Konzerten, Partys oder Vermietungen. Damit dieses Mischfinanzierungsmodell unter Mindesthonorarbedingungen weiterfunktionieren kann, müsste die Grundförderung von einem Haus wie beispielsweise dem Stadtgarten entsprechend aufgestockt werden. Wenn das nicht passiert, müssten wir entweder unser Programm entweder deutlich reduzieren oder kommerzieller ausrichten. Beides sollte unbedingt vermieden werden.

IS:
Bei alledem dürfen wir nicht vergessen, dass der Diskussionsprozess im Ministerium noch ziemlich am Anfang steht und noch lange nichts spruchreif ist. Da kann sich noch sehr viel bewegen. Die Umsetzung war zwar für Januar 2023 angekündigt, aber im Grunde wäre es eine stolze Leistung, wenn die neue Förderrichtlinie für alle Kunstsparten rechtzeitig vor den Antragstellungen für 2024 verabschiedet wäre.

Ina Stock ist freiberufliche Musikerin der Alten und Neuen Musik, Lehrbeauftragte an der Universität Köln und der Folkwang Universität Essen sowie Vorsitzende der Vereinigung Alte Musik NRW. Kornelia Vossebein ist künstlerische Geschäftsführerin des Stadtgarten Köln. Sie leitete u. a. den Bunker Ulmenwall Bielefeld und ist Sprecherin der Bundeskonferenz Jazz.