NOIES MUSIK
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Zeitung für neue und experimentelle Musik

gespräch mit part-ensemble: aktionen mit musik

Aus Noies 02/25 Juli 2025

2020, mitten in der Pandemie, gründeten die Flötistin und Hochschullehrerin Evelin Degen und der Organist und Musikwissenschaftler Matthias Geuting das PART-Ensemble mit Sitz im Ruhrgebiet. Im Gespräch mit Hanna Fink wird deutlich, wie fruchtbar der kollektive und interdisziplinäre Ansatz in diesem Ensemble ist.
Aus Noies 02/25

part-musik.de

Hanna Fink
Wer oder was ist PART?

Evelin Degen
Unser Ausgangspunkt ist die Gegenwartsmusik, und gleich zu Beginn kamen die beiden Komponisten Peter Eisold und Carter Williams hinzu. Aber man kann das, was wir machen, nicht in eine, auch nicht in zwei oder drei Schubladen stecken. Wir setzen verschiedene Kunstsparten in Bezug zueinander und haben uns Leute gesucht, mit denen wir zusammenarbeiten wollen. 

Matthias Geuting
Momentan haben wir 16 Mitglieder verschiedener Generationen in unserem Ensemble. Bei den letzten Projekten haben mitgewirkt: die Schlagzeugerin Rie Watanabe, die Cellistin Emily Wittbrodt und die Clavichordistin Sigrun Stephan, aber eben auch Jennie Boultbee und Mateusz Bogdanowicz, beide Tanz, die Multimedia-Künstlerin Anastasija Delidova und der Schauspieler Mathias Max Herrmann. Unschätzbar für Licht, Ton und vieles mehr: Jörn Nettingsmeier.

HF
Arbeiten im Kollektiv – kann das funktionieren? 

ED
Bei PART gibt es nicht unbedingt das fertige Konzept, das dann nur noch geprobt und aufgeführt wird. Wir arbeiten gemeinsam: Was soll das werden, und warum und wie wollen wir es machen? Und das funktioniert tatsächlich. Es gibt einen festen Kern von uns vier Gründungsmitgliedern, der grob die Konzeption vorbereitet und sich um Organisation und Finanzierung kümmert. Die konkrete Ausgestaltung ist aber Sache aller Beteiligten.

MG
Wir haben Leute gefunden, die sich darauf einlassen: dass nicht alles genau so umgesetzt werden muss, wie es vielleicht zunächst gedacht wurde. Jede und jeder überlegt sich weit vorher seinen Part, und dann entwickeln wir das zusammen. Es verändert sich vieles, aber ein Grundstock ist da, mit dem man umgehen kann. Das lernt man bei der Gelegenheit auch: sich selbst zurückzustellen zum Wohle des Ganzen.

ED
Daher der Name: PART wie Partizipation. Es geht schon darum, Teil von etwas zu sein, übrigens auch in Bezug auf unser Gegenüber: Wir denken das Publikum von vorneherein mit, es ist Teil unserer Projektentwicklung, es soll »Teil haben«. 

PART-Ensemble. © Martin Gendig

HF
Gibt es Orte, an denen man PART immer wieder hören kann?

MG
Häufig sind es Kirchenräume, z.B. die Kreuzeskirche in Essen und die Petrikirche in Mülheim, die wir jedoch nach unseren Bedürfnissen einrichten, etwa für eine, was ich so nenne, »Wandelkonzertperformance«, die dem Publikum, nicht selten ja Gemeindemitglieder, einen Perspektivwechsel ermöglicht. 

ED
Außerdem sind wir immer mal wieder an so herrlichen Kunstorten wie im Museum Goch oder im Museum Folkwang; gerne zieht es uns auch in die Neue Musik Zentrale in Essen oder nach Köln in die Alte Feuerwache. Und klar, wir suchen auch immer die Anti-Orte. 

MG
Ja! In bester Erinnerung ist mir unsere 12-Stunden-Aktion in der Essener Nordstadt. Es fing an am Sonntagmorgen um 8 Uhr auf einer Verkehrsinsel: Evelin spielte eine Fantasie von Telemann, tänzerisch begleitet von Florian Entenfellner. Ein Pärchen im fünften Stock eines Hochhauses schaute zu.

HF
Was waren wichtige Projekte von PART?

MG 
Dem Projekt »Fake und Halluzinationen« lag eine einfache Beobachtung zugrunde: Normalerweise war Kunst doch immer für die Illusionen und Gegenwelten, sozusagen für die Lüge, zuständig. In der Gegenwart haben viele Menschen den Eindruck, dass sich die Sache umgedreht hat: Die Wirklichkeit selbst scheint verrückt zu spielen, es wird immer schwerer, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden. Was muss Kunst dann heute machen: Soll sie ihre Position ändern und für die Wahrheit zuständig sein? Wir hatten natürlich keine Antwort auf diese Frage, aber sie hat unsere Performance geleitet und auf allen Ebenen einen schiefen Boden erzeugt. 

ED
Dann kann man »Female Affairs« erwähnen, eine rein weibliche deutsch-indische Kollaboration mit Konzerten in beiden Ländern. Es gab Kompositionsaufträge an zwei deutsche und zwei indische Komponistinnen, und alle Beteiligten haben eine Woche lang intensiv zusammengearbeitet. Unsere Tournee durch Indien mit Konzerten und Workshops war phänomenal, für uns alle etwas ganz Neues – ein anderes Publikum, eine für uns unbekannte Art der Rezeption, auch der Organisation, sozusagen »immer spontan und meistens im Stau«. Dieses Jahr gibt es dann eine Fortsetzung des Projekts, wieder mit einer Reise nach Indien, mit insgesamt fünf Veranstaltungen, zum Teil Gesprächsformate, zum Teil auch in Kirchen, wo das klassische indische Instrumentarium mit einigen der wenigen Orgeln des Landes in Beziehung gebracht werden soll. 

HF
In euren Programmen kommen nicht nur verschiedene künstlerische Disziplinen, sondern manchmal auch Musiken unterschiedlichster Entstehungszeit zusammen – man kann Hans-Joachim Hespos, Johann Sebastian Bach, Füsun Köksal, Johann Jakob Froberger und Farzia Fallah an einem Abend hören.

MG
Es erscheint uns anregend, historisch fernliegende mit gegenwärtiger Musik zu konfrontieren, damit man an beiden das Aktuelle erkennen kann. Es ist im Grunde unsinnig, alte und neue Musik zu trennen. Zeitgenössisch kann beides durch unsere Beschäftigung werden. Andererseits steckt hinter dem Wort »zeitgenössisch« auch ein gewisser Anspruch, hinter dem wir stehen.

HF
Welche Pläne gibt es für die Zukunft?

ED
Im August haben wir ein Austauschprojekt mit dem New Yorker Ensemble Unheard-of. Wir fahren nach San Antonio zum Festival »Composers Collaborative Initiative«, Anfang 2026 kommen dann die vier zu unserem Winterfestival »Realness« nach Düsseldorf und Köln, verbunden mit einem kleinen Symposium an der Heinrich-Heine-Universität. 

MG
PART steht auch für die Suche nach zu Unrecht vergessenen Komponistinnen und Komponisten. Mit Konzerten und einem Kolloquium wollen wir im Herbst an die 1925 in Córdoba/Argentinien geborene Hilda Dianda erinnern, übrigens eine Pionierin der elektronischen und elektroakustischen Musik. Wir haben dazu den Kontakt zu einer Musikforscherin aus Santiago de Chile gesucht, die uns beratend zur Seite steht. 2026 widmen wir uns dem großen Sylvano Bussotti, der uns sehr am Herzen liegt und der erstaunlicherweise in Deutschland fast nicht aufgeführt wird. Bussotti war Komponist, Dichter, Zeichner, Kostümdesigner und Theatermacher und hat zahlreiche Stücke mit Tanz konzipiert, die uns besonders interessieren. Außerdem stehen neue Arbeiten von Volker Heyn, Sara Glojnarić und Eloain Lovis Hübner auf dem Zettel, von Carter Williams und Peter Eisold sowieso. Gerne lassen wir uns durch eine bestimmte Überschrift leiten, in diesem Jahr geht es im Museum Folkwang um »Staub«. 

ED
Auf dem Gebiet der Improvisation steht die Zusammenarbeit des ganzen Ensembles mit einer sehr musikaffinen Choreographin an. Aber das ist gerade noch Zukunftstanz. 

HF
Ihr seid ja auch als Duo unterwegs. 

MG
Ja, wir musizieren seit fast zehn Jahren in der nicht gerade alltäglichen Besetzung Flöte und Orgel. Die Kombination dieser beiden Instrumente, die ja ihre Töne auf ähnliche Weise produzieren, mag aus kompositorischer Sicht problematisch sein, womit wohl auch zusammenhängt, dass bisher nur wenige – jedenfalls aus unserer Sicht – interessante Stücke für Flöte und Orgel komponiert worden sind. Wir haben uns gedacht, dass die Verwandtschaft der beiden Instrumente auch Perspektiven eröffnen kann, und angefangen, Komponistinnen und Komponisten unterschiedlichster Couleur um Beiträge zu bitten. Das waren manchmal Aufträge, manchmal wurden uns Stücke aber auch einfach geschenkt. Das Wort »Flöte« ist übrigens vielfältig zu verstehen: Piccolo, große Flöte, Glissando-Flöte, Altflöte, Bassflöte und Kontrabassflöte. Die Orgel fest verankert am Platz, die Flöte potenziell mobil – auch darin liegen Chancen.

ED
Kurzum, wir konnten bereits zahlreiche neue Stücke, zum Teil auch mit Live-Elektronik oder Zuspielung, aufführen und aufnehmen. Eine zweite CD, mit Stücken von »alten Meistern« wie Juan Allende-Blin und Volker Heyn, aber etwa auch Komponistinnen der jüngeren Generation, zum Beispiel Anda Kryeziu, ist gerade in Arbeit.

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PART initiiert, entwickelt, partizipiert, kooperiert. Das 16-köpfige Ensemble mit Sitz im Ruhrgebiet wurde im Jahr 2020 gegründet, um interdisziplinäre Projekte zu realisieren. Die festen Mitglieder kommen aus unterschiedlichen künstlerischen Sparten. PART entwickelt Formate und phantasievolle Darbietungsformen, die für Kunstschaffende aus allen Bereichen offen sind.