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gespräch mit benjamin thele: experimentieren und nach vorne orientieren

Aus Noies 06/23 Mai 2024

Seit September 2022 ist Benjamin Thele Leiter der neu geschaffenen Stabsstelle Kulturraummanagement der Stadt Köln. Im Interview mit Friedemann Dupelius spricht er über neue Strukturen, offene Formate und den Dialog zwischen Stadt und freier Szene.
Aus Noies 06/23

Friedemann Dupelius
Herr Thele, die Stabsstelle Kulturraummanagement ist seit einem Jahr aktiv. Was hatte in den ersten Monaten Ihrer Arbeit Priorität?

Benjamin Thele
Zunächst einmal mussten wir Strukturen aufbauen: Wie müssen wir uns personell aufstellen? Welche finanziellen Mittel brauchen wir? Das war kein Selbstläufer und hat viel Kraft und Arbeit gekostet. Wichtig war dabei, dass wir nach außen gut verständlich sein möchten. Es sollte von Beginn an klar sein, dass wir bei allen raumbezogenen Themen – von Atelierverwaltung bis Bauzuschüssen – die Anlaufstelle sind. Deswegen haben wir diese Bereiche aus dem Kulturamt mit in unsere Stabsstelle geholt. Wir wollten aber auch schnell erste Ergebnisse erzielen. Deswegen haben wir die Räume an der Delmenhorster Straße in Niehl angemietet, wo wir nun fast 5.000 Quadratmeter zu einem Atelier- und Proberaum-Zentrum entwickeln. Da sind wir ins kalte Wasser gesprungen – Räume dieser Größe hat die Stadt noch nie für die freie Szene angemietet. Außerdem wollen wir eine verbindliche Kommunikationsstruktur aufbauen: Wie können wir mit der Szene und der Politik zusammenarbeiten? Das ist die Basis für alles.

Foto: Silke Manz

FD
Wie ist die Stabsstelle strukturiert? Wie sind die Aufgaben verteilt?

BT
Dazu muss man wissen, dass die Stabsstelle Kulturraummanagement aus dem Kulturamt heraus entstanden ist. Schon in meiner Zeit als Referatsleiter »Kultur als Akteur der Stadtgesellschaft« habe ich mit Kolleg:innen aus dem Kulturamt die »Studie zur Integration von Kreativräumen und kulturellen Raumbedarfen in die Stadtplanung« in Auftrag gegeben. Daraus entstand ein verwaltungsinterner Arbeitskreis und schnell stand fest, dass wir eine Struktur für das Thema brauchen, um konzentriert und fokussiert daran zu arbeiten. Kulturdezernent Stefan Charles wusste bereits, dass Räume eine essentielle Grundlage für alle Kulturbereiche sind – in Räumen wird geprobt, produziert und aufgeführt – und hat die Stabsstelle als Teil des Dezernats an sich angedockt. Dabei haben wir zwei Kolleginnen aus der Atelier- und Gebäude-Verwaltung und zwei aus dem Bereich Bauzuschüsse und Bausondervorhaben aus dem Kulturamt mitgenommen. Zudem haben wir gerade einen Architekten als Unterstützung in unser Team aufnehmen können. Derzeit sind wir in der Stabsstelle zu acht. Hinzu kommt unser freier Mitarbeiter, der die Stadtverwaltung aus seiner Zeit im Stadtplanungsamt genauso kennt wie die Kulturszene.

FD
Worauf kommt es langfristig an? An welche Modelle der Unterstützung denken Sie?

BT
Langfristig überlegen wir, wie es möglich ist, Räume für Kulturakteur:innen zu guten Preisen zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise auch, ihnen bei Mietzahlungen zu helfen, solange ein Ort wegen Umbau noch nicht nutzbar ist, aber der Mietvertrag bereits läuft. Wir müssen aber auch Modelle der Refinanzierung entwickeln, etwa mit vernünftigen Querfinanzierungsmodellen durch Vermietung. Dadurch schaffen wir uns die Möglichkeit, neue Räume zu erschließen und den Markt langfristig zu entspannen. Momentan gibt es da einfach keine Fluktuation. Das müssen wir aufbrechen.

FD
Im März hatten Sie zu einem Kick-Off-Event geladen. Dort fanden sich Arbeitsgruppen für drei verschiedene Themen zusammen: Zwischennutzung, Potenzialflächenanalyse und die Kommunikation zwischen Stadt und Kulturszene.  Inwiefern war das der Auftakt für etwas Langfristiges?

BT
Die Veranstaltung war rückblickend enorm wichtig für das Kulturraummanagement und ermöglichte uns ein Stimmungsbild einzuholen und die Bedarfe strukturiert zu sammeln. Es war eine sehr gute Möglichkeit den Kulturschaffenden das geplante Arbeitsprogramm des Kulturraummanagements zu präsentieren und Partizipationsmöglichkeiten aufzuzeigen und dies teils auch kontrovers zu diskutieren. Die Ergebnisse des Auftakttreffens konnten wir in einer Dokumentation zusammenfassen, welche in Kürze auf unserer Interpräsenz abgerufen werden kann.

FD
Wie ging es seitdem mit diesen offenen Formaten weiter?

BT
Mit dem Kick off ist lediglich der Grundstein für ein neues Kommunikationsformat zwischen Szene, Politik und Verwaltung gelegt worden. Ich stelle mir vor, dass wir uns in regelmäßigen Abständen, dann vielleicht auch in kleineren Gruppen, weiterhin treffen. Dann können auch Expert:innen eingeladen werden, um zum Beispiel am Thema Zwischennutzung weiterzuarbeiten. Derzeit planen wir bereits in Zusammenarbeit mit dem Kulturnetz Köln ein Symposium im Dezember 2023 um die systematische Beteiligung der Szene weiter auszubauen.

FD
Für diese dritte Gruppe stellen Sie die Frage: »Wie kann ein Pendant des Kulturraummanagements in der Szene aussehen?« Welche Antwort würden Sie darauf geben?

BT
Es soll einen zivilgesellschaftlichen Part geben, der bestimmte Aufgaben übernimmt. Wenn man über die Stabsstelle Kulturraummanagement spricht, muss man wissen, dass wir das ja als eine Art Reallabor konzipiert haben. Wir haben die Notwendigkeit, agieren zu müssen, ganz real Räume zu entwickeln und anzubieten. Parallel dazu müssen wir auch uns selbst als Verwaltung hinterfragen: Macht es Sinn, Teil der Verwaltung zu sein? Oder könnte man sich auch eine externe oder hybride Lösung vorstellen, also mit einem Brückenkopf in der Verwaltung und einem zivilgesellschaftlichen Part? Das sind Überlegungen, die wir in oben genannten Symposium weiter vertiefen und diskutieren wollen.

FD
Eine der ersten Aufgaben der Stabsstelle ist das Kartographieren von Leerstand und potenziellen Nutzflächen. Das hat viele hellhörig gemacht. Wie sieht dieser Prozess aus?

BT
Gemeinsam mit der Fakultät für Architektur der TH Köln und Studio Quack realisiert das Kulturraummanagement gerade ein dreiteiliges Format zur exemplarischen Analyse von Potenzialflächen unter den Titeln »Mapping the city«, »Imagine the city« und »Connecting the city«. Besonders erfreulich ist es, dass hier direkt ganz konkrete Partizipation der Szene umgesetzt werden konnte. Bereits während des ersten Kurses im Sommersemester und im Rahmen der einwöchigen Summer School gelang es Studierende und Kulturschaffende zusammenzubringen, so dass exemplarisch wissenschaftlicher und kultureller Blick verschmolzen und so neue Wege bei der Suche nach neuen Räumen für Kunst und Kultur beschritten werden konnten.

Wir beginnen demnächst mit dem Kartographieren. Dabei wollen wir zwar offen denken, aber nicht nur Träume formulieren und auf eine schöne Karte zeichnen, sondern auch auf die Realisierbarkeit beachten. Am meisten interessiert mich, wie man Entwicklung mitdenken kann. Also einerseits: Räume und Flächen identifizieren und visualisieren, aber dabei immer überlegen, wie sie sich entwickeln können. Die Karte soll nicht bloß ein hübscherer Immoscout werden, sondern über eine reine Datenbank hinausgehen. Wir möchten ein richtiges Portal haben, über das sich beispielsweise auch Proberäume buchen lassen. Für diesen Prozess sind die Erkenntnisse aus dieser Kooperation enorm wertvoll.

FD
Könnte ich dem Portal auch einen spannenden Ort zuspielen, den ich gefunden habe? Oder anders gefragt: Wie zugänglich soll es sein?

BT
Wenn Sie beim Spazierengehen eine alte Lagerhalle entdecken, könnten Sie die als potenziellen Leerstand melden, der dann von uns geprüft würde. Genau so ist das gedacht. Ehrlicherweise ist das aber auch ein Riesenbrett, das wir bohren müssen. Das Portal soll eine Menge beinhalten, aber dabei trotzdem userfreundlich sein. Ich will kein krudes Tool, das am Ende keiner versteht.

FD
Ein großes Problem bei der Aushandlung von Kulturraum ist, dass zwischen Kulturakteur:innen und Investorengruppen oft kaum Kontakt besteht. Inwiefern sehen Sie sich als potenzieller Vermittler zwischen solch unterschiedlichen Interessensgruppen?

BT
Ich sehe Potenzial, dass wir dabei eine vermittelnde Rolle spielen oder ein vertrauensgebendes Moment geben können. Zum Beispiel muss dem Thema Zwischennutzung der Schrecken genommen werden. Es gibt die Vorstellung, dass Kulturakteur:innen eine Zwischennutzung nie wieder verlassen und dann die große Welle mit Einschaltung der Presse usw. machen. Man muss differenzieren zwischen einer Zwischen- und einer Pionier-Nutzung. Eine Zwischennutzung hat einen klaren Anfang und ein klares Ende. Aber wenn sich beispielsweise eine Baugenehmigung verzögert, könnten wir dann vermitteln, damit die Akteur:innen den Ort entsprechend länger bespielen können. Es ist aber kompliziert: Nach deutschem Steuerrecht ist es oft günstiger, einen Raum leer zu lassen, weil die Abschreibungen sich mehr lohnen als eine Vermietung zu reduziertem Mietzins. Das sind Absurditäten, doch wir können keine bundesweiten Steuerreformen umsetzen. Was wir können, ist: Strukturen schaffen und in den Dialog gehen. Anfang des kommenden Jahres planen wir ein erstes Format um Eigentümer:innen und Investor:innen für kulturelle (Zwischen-)Nutzungen gewinnen zu können.

FD
In Ihrer vorherigen Position war das Thema Pluralität der Stadtgesellschaft ein zentrales Anliegen im Hinblick auf eine diversere Kulturpolitik und Kulturszene. Nun gehört zu dieser Pluralität ja auch, dass längst nicht alle Menschen Kulturorte wollen – nicht nur Investor*innen. Wie lässt sich das moderieren?

BT
Ich komme ja selbst aus der Kultur und in meiner jetzigen Position muss ich natürlich den Kulturstandort absolut setzen. Aber natürlich stellen wir in der breiten Stadtbevölkerung oft fest, dass man etwa Pflegeplätze gegenüber Ateliers priorisiert. Auch in der Verwaltung spiegeln sich diese unterschiedlichen Bedarfe wider. Ich möchte versuchen, eine andere Form des Denkens einzubringen, in der diese Dinge nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern neue Möglichkeiten des Miteinanders gedacht werden.

FD
Auf welche Weise und auf welchen Kanälen ist die Stabsstelle nahbar für die Bürger:innen? Wie können sie die Stadt und die Kulturlandschaft mitgestalten?

BT
Man kann uns immer anrufen und anschreiben und den direkten Kontakt suchen. Es ist ja kein hermetisch abgeschlossener Prozess, in dem wir uns befinden. Wir wollen die Leute mitnehmen und mit ihnen langfristig zusammenarbeiten. Als Stabsstelle müssen wir Sparringpartner in der Szene und der Politik haben, mit denen wir gemeinschaftlich auf einer Arbeitsebene produktiv an die Themen herangehen. Das ist Grundvoraussetzung, wenn man wirklich etwas bewegen will. Ich weiß, dass es auch knirschen wird, dass es um Fragen der Repräsentanz gehen wird. Ich weiß aber auch: Ich möchte keine Veranstaltungen dieser Art mehr: Alle klagen ihr Leid, dann schreiben wir das auf Zettel, kleben sie an die Wand, schütteln uns die Hände und gehen nach Hause. Wir müssen uns nach vorne orientieren, müssen ausprobieren und experimentieren – und das mit Spaß und Lust!


Dieser Text wurde uns freundlicherweise vom IFM e.V. zur Verfügung gestellt.

Benjamin Thele ist Leiter der neuen Stabsstelle Kulturraummanagement bei der Stadt Köln. Zuvor war er als Referatsleiter »Kultur als Akteur der Stadtgesellschaft« im Kulturamt der Stadt Köln eingesetz. Von 2011 bis 2018 betreute er als Betriebsdirektor des Theaters an der Ruhr Mülheim ein Kooperations-Netzwerk von Theatern aus dem gesamten Mittelmeerraum und war an der Gründung des syrischen Theaterkollektivs Ma’louba beteiligt.