Interview & Fotos: Gábor Nemerov
Übersetzung aus dem Ungarischen: Natalie Szende
Működésben oder auf Englisch Toolkit ist eine neue Reihe beim MMN Magazin (unserem ungarischen Partner im EM Guide Netzwerk), in der das Magazin in thematischen Interviews bedeutende Akteur:innen der nationalen und internationalen elektronischen Musikszene vorstellt. Dabei liegt der Fokus einerseits auf ihren künstlerischen Methoden und kreativen Praktiken, darüber hinaus geht es jedoch auch um die Diskussion bestimmter Themen sowie um vergangene Events oder die Pläne der befragten Personen.
Die Reihe macht nicht vor eher fachlichen, tiefgründigeren Diskursen Halt, strebt gleichzeitig aber vor allem nach Zugänglichkeit. Zusammen mit Fotografien entstehen umfassende Portraits der Künstler:innen.
Im zweiten Teil von Toolkit unterhielten wir uns mit der zwischen Berlin, Budapest und Rotterdam pendelnden Künstlerin Mári Mákó über Komposition, den klinischen Tod der Virtuosität, hybride Drum Machines und die Kunst des Hörens.
Gábor Nemerov
Wie bist du zur Musik gekommen?
Mári Mákó
Ich stamme aus einer musikalischen Familie, daher war Musik von klein auf Teil meines Lebens. Nicht nur meine Eltern, sondern auch meine Schwestern haben schon immer Musik gemacht, wir alle haben eine Musikschule besucht. Mein Vater, Miklós Mákó, ist Trompeter, und meine Mutter singt in einem Chor. Sie hat ein absolutes Gehör, ist also auch ein äußerst musikalischer Mensch. Wir vier Schwestern haben von Kindesalter an gelernt, Instrumente zu spielen.
Rozi spielte Klavier, war in der Schule immer der DJ und interessierte sich vor allem für Techno; heute ist Rozi von Beruf experimentelle elektronische Musikerin und Techno-Produzentin. Kató ist ebenfalls Berufsmusikerin, Sängerin und Percussionistin. Sie ist in vielen Genres unterwegs, aber die Weltmusik liegt ihr vor allem am Herzen. Zurzeit ist sie Mitglied des Kollár-Klemencz-Kammerorchesters und nimmt an vielen anderen Projekten teil, organisiert auch Trommelkreise und Camps. Bori spielte ebenfalls Klavier, mit ihr war die Musik eine Art gemeinsames Spiel, da sie und ich uns altersmäßig am nächsten sind. Bori ist mittlerweile bildende Künstlerin und arbeitet mit erweiterten Animationen. Ich habe Flöte gespielt und Volksmusikunterricht bei einem sehr guten Lehrer genossen, mit dem ich das Lernen als Freude an der Musik erlebte.
Damals hatte ich ein Duo mit Flóra Kiss, die Drehleier spielte, und wir haben abwechselnd gesungen und unsere Instrumente zum Einsatz gebracht. Wir traten mit Volksliedern auf, nahmen an verschiedenen Wettbewerben teil und gewannen ein Festival in Kapolc. Meine Gesangsstimme ist übrigens nicht so stark, bei Kató entwickelte sich das viel instinktiver, ich benötigte mehr Stimmbildung.
Irgendwann ist dann meine Flötenlehrerin von Szentendre weggezogen (ursprünglich kommen wir aus Szentendre), und weil ich gerne Flöte spiele und ein Talent dafür habe, wurde mir der Weg der klassischen Musik nahegelegt. Das war eine ziemlich entfremdende Erfahrung für mich, ich hatte keine Chemie mit meinem Lehrer dort, außerdem hatte ich dort das Gefühl, dass es lediglich um Technik und Tonleitern ging, statt darum, Freude am Musizieren zu finden. Also ja, der Punkt ist, dass ich durch diese Erfahrung irgendwie meine Motivation am Musikmachen verloren habe. Seitdem frage ich mich, ob es vielleicht anders gelaufen wäre, wenn ich andersherum angefangen hätte – also zuerst mit der Technik und dann mit der Freude am Musizieren.
Danach habe ich nämlich etwa 8 Jahre lang gar keine Musik gemacht. Was mich wieder dazu gebracht hat, war der Wunsch, die technischen Aspekte des Klangs zu verstehen. Wozu die verschiedenen Instrumente dienen, wie ein Tonband funktioniert, wie man kaputte Dinge repariert und so weiter. Ein sehr prägender Moment aus dieser Zeit war das erste Mal, als ich zu Hause ein Zoom-Aufnahmegerät entdeckte. Damit konnte ich alle möglichen Geräusche aufnehmen und wieder abhören, auch sehr leise, in sehr guter Qualität und mit vielen Details. Ich fühlte mich zu neuen, anderen, bisher unbekannten Klangdimensionen hingezogen, und das führte mich letztendlich zu elektronischer Musik und Instrumenten.
GN
Wie ging es weiter, nachdem du deine Verbindung zu Klang wiederentdeckt hast?
MM
Ich habe eine Ausbildung zur Tontechnikerin absolviert und war dann als Tontechnikerassistenz im A38 tätig [ein Schiff in Budapest, das als Kulturzentrum genutzt wird]. Dabei habe ich viel gelernt, aber es war auch eine ziemliche Herausforderung. Es war nervenaufreibend, man musste mit Konflikten umgehen können und für Frauen bestanden zusätzliche Hürden, ernst genommen zu werden. Nach einer Weile gelang mir das mit meinen männlichen Kollegen tatsächlich, aber da jeden Tag eine andere Band kam, wurde meine Professionalität und mein Fachwissen tagtäglich in Frage gestellt… nun, ich hatte es irgendwann einfach satt.
Und neben dem technischen Aspekt kehrte auch mein musikalisches und kreatives Interesse langsam zurück. Ich erinnere mich an viele Momente, in denen ich Konzerte auf dem Schiff gesehen hatte und mir die Musik gefiel, wobei ich mir dachte, dass ich eigentlich lieber das Klanggeschehen auf der Bühne als den Bühnenklang selbst gestalten möchte.
GN
Hast du in dieser Zeit schon mit Klang und Musik gearbeitet oder kam das erst später?
MM
So allmählich kam mir das in den Sinn, langsam, aber es hatte sich noch nicht wirklich manifestiert. Aber dadurch, dass ich viel Zeit auf dem Schiff verbrachte und mir die Konzerte anhörte, habe ich über meine eigene Musik nachgedacht, welche Art von Musik ich machen möchte, in welche Richtung ich gehen würde.
GN
Fallen dir Bands oder Künstler:innen ein, deren Konzerte einen großen Einfluss auf dich gehabt haben?
MM
Ja, und es war kein A38-Konzert, sondern das Konzert von Amon Tobin in Krakau 2011 auf dem Tauron-Festival, was einen großen Einfluss auf mich hatte. Ich erinnere mich, dass ich nach diesem Konzert keine andere Musik mehr hören wollte [lacht].
GN
Was passierte nach deiner A38-Zeit?
MM
Ich hörte, dass nach der Einführung des Studiengangs für elektronische Musik an der Universität Pécs auch an der Liszt-Akademie ein Studiengang für elektronische Musik und Medienkunst eingerichtet wurde. Das weckte sofort mein Interesse und ich wollte mich bewerben, aber da dieser Kurs eng mit dem traditionellen Kompositionsstudiengang an der Liszt-Akademie verbunden war, bedeutete dies, dass man den gleichen Wissensstand wie die klassischen Kompositionsstudierenden haben musste, um angenommen zu werden. Ich hatte mich zuvor ein wenig von der klassischen Musik entfremdet, sodass ich im Vergleich zu anderen Bewerber:innen einen Rückstand hatte.
Trotzdem versuchte ich es und beim Bewerbungsverfahren hatte ich Gelegenheit, mich mit Andrea Szigetvári [Komponistin, Professorin, Begründerin und Leiterin des Studienganges »Elektronische Komposition und Medienkunst« an der Liszt-Akademie] zu unterhalten, die mir anbot, einige Kurse als Gaststudentin zu besuchen, worüber ich mich sehr freute, das war eine tolle Gelegenheit.
Kurz darauf erfuhr ich von dem Sonologie-Studiengang am Den Haager Konservatorium, der ebenfalls mein Interesse weckte. Ich bewarb mich und wurde angenommen, sodass sich in den folgenden Jahren alles um dieses Studium drehte. Das ist auch heute noch ein sehr wichtiger Abschnitt in meinem Leben.
GN
Wie würdest du einem Laien erklären, worum es bei einem Studium in Sonologie geht?
MM
Nun, so viele Leute es in diesem Studiengang gibt, so viele Antworten auf diese Frage wird es geben. Meiner Meinung nach geht es um eine Art »klassische elektronische Musik«, Sonologie vermittelt und führt diese Traditionen weiter, schließlich ist man am Konservatorium. Wir haben uns mit algorithmischer Komposition, atonaler Musik, den Werken von beispielsweise Koenig oder Schönberg beschäftigt. Musik mit einem fremden Klang ist für das Publikum weniger einfach aufzunehmen als in einer visuellen Erscheinungsform. Deshalb sind atonale (serielle oder dodekaphone) oder algorithmische Kompositionen nicht so populär geworden; die elektroakustischen Werke von Xenakis oder Ligeti sind, obwohl sie als Klassiker gelten, immer noch nicht so bekannt und beliebt wie beispielsweise Mozart. Sonologie beschäftigt sich also mit diesen Welten, mit jenem Zweig der elektronischen Musik, der sich der Elektronik vom Standpunkt der klassischen Musik und Komposition aus nähert und nicht von dem der populären Tanzmusik. Aber darüber hinaus habe ich mir auch viel technisches Wissen angeeignet: Signalverarbeitung, Psychoakustik, Instrumentenbau, Programmieren, all das hat sich im Laufe der Jahre ergeben. Nach der Sonologie habe ich dann auch ein Kompositionsstudium am Konservatorium in Den Haag absolviert.
GN
Du hast begonnen, Instrumente für deine eigenen Zwecke zu bauen. Könntest du uns etwas über diese Instrumente erzählen und was dich inspieriert hat?
MM
Mein erstes eigenes Instrument habe ich in der Sonologie gebaut, es ist ähnlich wie ein Theremin, aber mit einem Lichtsensor. Ich nannte es Schmitt, und in diesem Zusammenhang begann ich darüber nachzudenken, wie man Körper und Performance auf organischere Weise in die elektronische Musik einbeziehen könnte. Mein Interesse daran geht auf die Tatsache zurück, dass im Gegensatz zu anderen Musikgenres bei elektronischer Musik das Phänomen auftritt, dass der Körper der Interpret:innen abwesend ist, viel weniger visuell präsent als in traditionellerer Instrumentalmusik.
Dort sind die körperlichen Gesten bei dem Instrumentalspiel viel mehr Teil der Performance als in der elektronischen Musik, wo es eine Herausforderung ist, mit dem Phänomen der Laptop-Performance umzugehen. Denn wenn wir von virtuosen Darbietungen sprechen, denken wir eher an akustische Instrumente. Ein guter Musikerfreund von mir, Matus Kobolka, nannte die elektronische Musik den klinischen Tod der Virtuosität.
Das war ein Thema, bei dem ich das Gefühl hatte, mich unbedingt damit auseinandersetzen zu wollen, und so begann ich darüber nachzudenken, wie ich elektronische Klänge mit Handgesten darstellen könnte – oder wie ich den menschlichen Körper überhaupt in diesen Prozess einbeziehen könnte. Dahinter steckte eine intuitive Motivation: Ich wollte mich so weit wie möglich vom Laptop entfernen, damit ich, wenn ich auf die Bühne gehe, ein Ausdrucksmittel habe, mit dem ich die Musik direkt beeinflussen kann.
So habe ich angefangen, mich mit Lichtsensoren zu beschäftigen und das bereits erwähnte Instrument namens Schmitt zu bauen. Es gibt je nach Lichtintensität höhere oder tiefere Töne von sich, und dabei habe ich dann festgestellt, dass ich mit meinen Händen beim Spiel Gesten mache, die zu einer zusätzlichen Dimension führen könnten. Also brachte ich einen Beschleunigungsmesser auf meiner Handfläche an, der wiederum eine Veränderung der Klangfarbe der von mir gespielten Note auslöst. Damit konnte ich eine Bühnenpräsenz schaffen, die Verbundenheit ausdrückte. Was in der Musik passiert, was der Körper und die Hände dabei tun, wie das alles zusammen aussieht – all das dient auch dem Publikum als visueller Bezugspunkt. Währenddessen ließ ich den Klang in Echtzeit im Raum schweben, auf einem Multichannel-Soundsystem. Den Beschleunigungsmesser programmierte ich so, dass er meine Bewegungen verfolgte und die Klänge dementsprechend an verschiedenen Punkten im Raum abgespielt wurden.
GN
Nach deinem Abschluss in Komposition hast du auch Erfahrungen mit akustischen Instrumenten gesammelt. Bei welchen Projekten kannst du dieses Wissen einsetzen?
MM
Ich habe für das niederländische Kammerensemble Klang und das kanadische Schlagzeugensemble Architek Percussion komponiert und dabei verschiedene experimentelle Kompositionstechniken angewandt: Zufallsoperationen, d. h. den Einfluss von Zufall und Wahrscheinlichkeit auf die Partitur. Bei diesen Gelegenheiten war es mir sehr wichtig, die Musiker:innen in den Prozess des gemeinsamen Schaffens miteinzubeziehen. Das war auch deshalb nützlich, weil ich im Gespräch und in der Zusammenarbeit mit Instrumentalist:innen recht schnell merkte, dass sie über eine Erfahrung, ein Wissen und eine Beziehung zu ihrem eigenen Instrument verfügen, die ich nie haben würde, weil es ihnen jahrelange Arbeit abverlangte, um sie zu entwickeln. Deshalb ist es notwendig, mit den Musiker:innen ein Umfeld zu schaffen, in dem sie ihre eigenen Ideen und Techniken zum Ausdruck bringen und ihr eigenes Wissen in das Stück einbringen können. Ich kann mich den Gedanken der Komponistin Pauline Oliveros anschließen, die sagte, dass sie ihre Rolle darin sieht, die richtige Umgebung für Deep Listening-Übungen zu schaffen.
GN
Gab es eine bestimmte kompositorische Erfahrung, die für dich besonders prägend war?
MM
Einmal wurde ich von einem besonderen Ensemble, einem niederländischen Harfensextett Harp Sirens, gebeten, ein Stück für sie zu komponieren. Es gibt einen Aspekt meines musikalischen Ansatzes, und ich erlebe diesen als starke innere Stimme, dass ich der komponierten Musik, wenn sie gespielt wird, nicht meine eigenen Ideen aufzwingen will.
Sondern wenn wir mit den anderen Musiker:innen zusammen sind, dann soll das, was rauskommen will, auch rauskommen. Ich möchte Freiräume lassen, in denen die Musik sich selbst formen kann, während der Rahmen selbstverständlich immer noch da ist, der den Kern des Stückes definiert. Mein Ziel beim Komponieren ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Musiker:innen organisch bewegen können, der aber trotzdem nicht zerbröckelt oder bricht. Ich verwende gerne die Metapher, dass wir bei jedem neuen Spaziergang im selben Wald immer etwas anderes wahrnehmen werden, vor allem zu verschiedenen Jahreszeiten. Die Situation ist gegeben, aber die Erfahrung ist für jede Musiker:in (und Zuhörer:in) anders. Diese Erfahrung möchte ich musikalisch vermitteln.
Zurück zu den Harfen: Ich habe viel darüber nachgedacht, was ich für ein Harfensextett schreiben könnte, aber die Inspiration kam nicht so leicht. Ich arbeitete damals in einem Café und stellte gerade eine Tasse ab, als mir ein Bild in den Sinn kam, als sich die Tasse nach unten bewegte, womit auch die Idee kam: Es wäre großartig, wenn die Partitur des Stückes aus fallenden Blättern bestehen würde (als eine Art materialisierte grafische Notation, sowohl räumlich als auch zeitlich), und das Stück vom Herbst handeln würde, was dieses Bild auch im englischen Titel (»Fall«) wiedergeben würde. Das Stück sah am Ende so aus, dass der Dirigent auf eine Leiter kletterte, während das Harfensextett im Halbkreis darunter stand, und die Komposition und das Stück selbst drehten sich darum, welches Papier ausgewählt wurde, wie es fiel und welche Farbe es hatte. Die Harfenist:innen machten Musik auf der Grundlage dessen, was fiel, welches Symbol darauf war usw. Ich entwickle dieses Konzept mit einer kinetischen Skulptur weiter, die den Dirigenten ersetzt. Es wird im September in Den Haag mit dem Spaceship Ensemble uraufgeführt.
GN
Was hat das Studium in Den Haag für dich bewirkt?
MM
Vor allem, dass ich kompositorisch nicht engstirnig bin. Ich wurde so sehr angeregt von avantgardistischen Kompositionstechniken, die mir ganze Welten eröffneten. Allein die Tatsache, dass ich Beispiele für Dinge gesehen habe, mit denen ich vorher überhaupt nicht in Berührung kam, wie beispielsweise grafischer Notation– das hat mir sehr geholfen.
Wenn man an das Komponieren von Musik denkt, assoziieren viele Leute, dass es sich um eine sehr einsame Tätigkeit handelt. Bis heute hat sich ein Bild von Komponist:innen in den Köpfen der Menschen festgesetzt, in dem er oder sie zurückgezogen grübelnd an einem Tisch klemmt, in großer Stille und mit einer Feder in der Hand. Natürlich gibt es das auch, aber sehr oft ist das Komponieren eher eine gemeinschaftliche Erfahrung oder bestenfalls eine Einheit dieser beiden Pole. Am Konservatorium hatte ich sehr prägende Gemeinschaftserfahrungen, die mir viel gegeben und meinen kompositorischen Horizont erweitert haben.
GN
Wie sieht der gemeinsame Prozess des Komponierens mit Instrumentalist:innen aus?
MM
Das ist genau das Thema, mit dem ich mich in meiner Masterarbeit beschäftigt habe. Ich nenne den Prozess workshop rehearsals: Dabei entwickle ich ein Gerüst und zeige es den Teilnehmer:innen. In den Proben stellt sich in der Regel heraus, was von den Ideen, die ich mitbringe, funktioniert und was nicht, wie bestimmte Teile des Gerüsts weitergedacht werden können, damit das Stück funktionsfähig wird. Das ist ein organischer Prozess, aber ich habe auch die Rolle eines Regisseurs, also bin ich diejenige, die in erster Linie vorschlägt: »Lasst uns diesen Teil ausprobieren« oder »Lasst uns diesen Teil weglassen«. Und wie ich schon sagte, ist es für mich dabei wichtig, eine Umgebung zu schaffen, in der sich die Musiker:innen komfortabel und frei ausdrücken können, das heißt: Sie können sich in einem bestimmten Segment frei bewegen, aber erfüllen sie das, was ich verlange. Ich muss also darauf achten, dass ich gerade genug Anweisungen gebe, nicht zu viel und nicht zu wenig.
Wenn wir den ersten Entwurf haben, proben wir ihn in einem Durchgang. Dann kann man sehen, wer wie einsteigt, wer auf welche Weise funktioniert, und dann können wir daran feilen. Interessanterweise ist meine Erfahrung, dass man nicht zu viel proben sollte, denn wenn man es überreizt, ermüdet das Material. Generell ist es wichtig, den spielerischen Charakter des Stücks zu bewahren, die Neuartigkeit kann bei zu viel Proben verloren gehen.
GN
Inwiefern unterscheidet sich der Arbeitsprozess bei deinem Soloprojekt, zum Beispiel beidem unter deinem Namen erschienenen Album »Oudemian«?
MM
Das war eine interessante Phase. Das war die Covid-Hochzeit, als alles geschlossen wurde, also war ich zu dieser Zeit mit diesem Projekt völlig allein. Es war mein erstes Album, und da habe ich wirklich gemerkt, dass es etwas ganz anderes ist, Musik für ein Album zu machen als für einen Live-Auftritt. Die Rezeption erfolgt bei aufgenommenem Material in einem völlig anderen Modus, als bei dem Besuch eines Konzertes. Außerdem sollte das Konzept des Albums neben dem Einbeziehen persönlicher Ideen auch eine globaleres Narrativ vermitteln. Wiedergeburt, das Überwinden persönlicher Herausforderungen, all das kommt darin vor.
Im Nachhinein habe ich das Gefühl, dass ich etwas angespannter war, als es nötig gewesen wäre. Es war wie eine Last, die ich mit mir herumtrug, bloß weil es hieß: »Ich werde ein Album veröffentlichen«. Jetzt sehe ich das Ganze als etwas, das ich hätte leichter nehmen sollen. Aber vielleicht waren auch covidbedingte Ängste mit dabei, wer weiß.
GN
Welche Werkzeuge, Instrumente und Methoden kommen beim Musikmachen (oder Komponieren) in deiner Praxis zum Einsatz?
MM
Früher habe ich viel auf der Citera gespielt, aber das Wichtige dabei ist, dass ich sie nicht als Volksmusikerin und auch nicht als Citera-Spielerin verwendet habe, sondern nur als Klangerzeugerin meiner eigenen individuellen Vorstellung. Und daneben stand Schmitt. Ich hatte beide Instrumente bei meinen Auftritten dabei, und da kam mir der Gedanke – warum sollte ich nicht beide zusammenführen? So begann ich, über ein neues Instrument nachzudenken, an dem ich auch momentan arbeite und das wir jetzt hier bei uns haben. Mit diesem ersten Prototyp bin ich noch nicht zufrieden, es gibt also noch einiges zu tun.
Ich möchte ein Instrument bauen, das nicht nur elektronisch oder nur akustisch ist, sondern elektroakustisch, mit Saiten und nach dem Schmitt-Prinzip funktioniert. Der Plan ist, dass das Spielen auf den Saiten auch den elektronischen Klang beeinflusst. Für mich ist es wichtig, dass ein Instrument über eine Art Klangskulptur-Attitüde verfügt, somit also auch einen visuellen Charakter hat. Tamás Páll ist eine große Hilfe bei der Gestaltung, er hat mir geholfen, das Instrument digital zu entwerfen.
Für mich ist der Konflikt zwischen akustischen und elektronischen Klängen ein sehr attraktiver und interessanter Bereich, und mein Ziel ist es, Musik zu machen, die diesen vermeintlichen oder tatsächlichen Konflikt auflöst. Nach vorne blicken, aber die Vergangenheit reflektieren. Wie kann man mit traditionellen Instrumenten ein futuristisches Hörerlebnis erreichen, ohne die Musik von ihren Wurzeln in der Vergangenheit zu trennen?
GN
Auf deinem Tisch sehe ich eine Dave Smith Tempest Drum Machine – benutzt du sie für deine eigene Musik oder hauptsächlich für Kollaborationen?
MM
Absolut auch für meine eigene Musik. Es ist ein analog-digitales Hybridinstrument, mit dem man sehr organisch klingende Drum Sounds und Patterns erzeugen kann. Das Design der Tempest bringt übrigens einen Workflow mit sich, mit dem ich sehr gut zurechtkomme. Sie fühlt sich intuitiv und spielerisch an, und ich kann mit ihr leicht rhythmische Welten erschaffen, die mir gehören.
GN
Was macht die Tempest für dich charakterlich interessant und attraktiver als andere Drumcomputer?
MM
Zum Beispiel gibt es einen super FX-Teil, mit dem man nicht nur einzelne Drum-Sounds auf einer Mikro-Ebene beeinflussen kann, sondern auch global, um jeden Sound simultan zu verändern. Die meisten Drumcomputer haben diesen Effektteil nicht, das ist die eine Sache, und die andere ist, dass sie auch über analoge Oszillatoren verfügt, so dass man wirklich schöne, tiefe Sounds aus ihr herausholen kann. Bei anderen Drumcomputern, mit denen ich gearbeitet habe, war das nicht so präsent, und mit der Tempest hat man mehr Kontrolle über den Kompositionsprozess. Sie ist ein ziemlich virtuoses Instrument, das mich immer wieder überraschen kann. Wenn ich einen Rhythmus mit ihr erzeuge, kann sie ihn auf unterschiedliche Weise wiedergeben, so dass ich immer wieder ein Gefühl der Neuheit verspüre, wenn ich mit ihr komponiere.
GN
Welches andere Instrument besitzt du, ohne das es für dich schwer vorstellbar wäre, Musik zu machen oder zu komponieren?
MM
Ich setze gerne meine eigene Stimme ein, aber eher in einer Art und Weise, die der Musik Farbe verleiht, also nicht als Sängerin. Ich habe festgestellt, dass man sich bei jeder Art von Musik sofort auf eine menschliche Stimme konzentriert, sobald man sie hört. Bei meiner eigenen Musik ist es jedoch nicht mein Ziel, mich darauf zu konzentrieren, sondern ihr eine allgemeine Richtung zu geben und sie dronelastiger, mantraartiger und nachhaltiger klingen zu lassen.
Neben den Instrumenten, die ich bisher genannt habe, verwende ich auch Softwares wie Max MSP, mit der ich das Programmieren von Schmitt gemacht habe.
GN
Irgendwann habe ich den Überblick verloren: In wie vielen verschiedenen künstlerischen oder musikalischen Projekten und Bereichen bist du aktiv?
MM
Im Großen und Ganzen habe ich derzeit vier verschiedene kreative Bereiche: Erstens die elektronischen Solo-Performances unter meinem eigenen Namen; zweitens Kompositionsarbeit und Auftragsarbeiten; drittens Theaterprojekte, wobei derzeit eine nächste Arbeitsphase für eine Performance namens Monolith geplant ist, die ich mit der Tanzchoreografin Sofie Kramer entwickle. Zu guter Letzt ist da noch das Duo Committee.
Für mich sind das keine separaten Projekte, sondern Ideen, die sich gegenseitig beeinflussen und ergänzen, es gibt viele Überschneidungen zwischen ihnen. Für mich ist es ganz natürlich, in so vielen musikalischen Bereichen tätig zu sein – ich glaube nicht, dass es Künstler:innen gibt, die ausschließlich an einer Sache arbeiten. Natürlich gibt es Schwerpunkte in diesen vier Projekten: Die ersten drei betrachte ich als eher intellektuell, künstlerisch und zum Nachdenken anregend; bei Committee hingegen geht es absolut darum, Musik zum Vergnügen zu machen. Es handelt sich um Tanzmusik, die sowohl im Clubkontext als auch auf der Leinwand gut funktioniert. Natürlich wird sie auch ernst genommen, aber es geht mehr um freigesetzte Energien als um abstraktere Konzepte.
GN
Committee wurde schon vor Jahren von dir und Rozi auf die Beine gestellt. Wer macht was, gibt es verteilten Rollen?
MM
Wer sich womit einbringt, hat sich ganz von selbst entwickelt. In den Niederlanden hatte ich einen befreundeten Musiker und Instrumentensammler, Joel, mit dem ich ein Studio gemietet habe und mit Rozi war damals schon davon die Rede, auszuprobieren, wie es wäre, zusammen Musik zu machen. Rozi kam in dieses Studio, das mit Synthesizern auf der einen Seite des Raumes und Drum Machines auf der anderen Seite eingerichtet war. Es gab eine Korg-Drum-Machine, die meine Fantasie anregte, und Rozi begann mit einem Roland Alpha Juno zu spielen, es war also von Anfang an klar, welches Interessensgebiet im Techno zu wem gehörte. So kam es, dass ich die Rhythmen und Beats machte und Rozi die Melodien und andere tonale Teile. Oh, und wir machen auch Vocals.
GN
Du hast erwähnt, dass sich die Arbeit an einer Live-Performance sehr von der Arbeit an einem Album unterscheidet. Worin genau?
MM
Da ich keine speziellen Songs schreibe, keine Hits, die ich auf der Bühne immer wieder spiele, neige ich dazu, eine Art »prozessuale Musik« zu machen, wenn ich auftrete. Ich könnte es damit vergleichen, dass eine Blume zunächst nur ein kleines Etwas ist, das sich dann mehr und mehr öffnet und zeigt, was in ihr steckt. Bei einer Performance wird also viel mehr Wert auf Übergänge gelegt, auf deren Ausarbeitung.
Und bei einem Album sind Hörer:innen ungeduldiger. Was in einem Konzert 5 Minuten lang funktioniert, ist auf einem Album nur etwa eine halbe Minute lang interessant. Es ist eine andere Art des Zuhörens, also erfordert es eine andere Art des Schaffens, außerdem fehlt bei der Arbeit an einem Album die Bühnenpräsenz.
GN
Du bist auch Doktorandin an der MOME. Was ist dein Forschungsthema?
MM
Der aktuelle Arbeitstitel meiner Doktorarbeit lautet »Die Kunst des Zuhörens«, in der ich eine interaktive Klangskulptur als Kunstwerk verwirklichen möchte. In dieser Forschung untersuche ich, wie wichtig es ist, Deep Listening als einen sozialen und didaktischen Mehrwert zu verstehen. Zuhören kann nicht nur eine individuelle Erfahrung sein, sondern auch eine Gemeinschaftserfahrung, die im 21. Jahrhundert immer seltener vorhanden ist. Byung-Chul Han’s Buch »Das Verschwinden des Rituals« ist eine große Inspiration für mich. Han beschreibt darin, dass in einer zunehmend narzisstische Welt Individualität immer wichtiger wird und dass die gemeinschaftliche Erfahrung in den Hintergrund tritt. Die neoliberale Welt isoliert die Menschen und fördert die Selbstvermarktung. Ich hoffte, durch das Zuhören einen Kanal zu entdecken, der uns auf empathischere, weniger individuell ausgerichtete Realitäten einstimmen kann.
This article is brought to you by MMN Mag as part of the EM GUIDE project – an initiative dedicated to empowering independent music magazines and strengthen the underground music scene in Europe. Read more about the project at emgui.de.
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Mári Mákó is a sound artist and composer based in Rotterdam and Berlin. Her work has been described as avant-garde electronic and post-club, characterized by controlled yet abstract complexity in her music. She creates her own instruments to produce unique and unconventional sounds in her compositions. These practices are informed by her research interests, which include the ecology of listening, experimental notations, interactive designs, and conducting processes. Currently, she is pursuing her Doctor of Liberal Arts program at MOME in Budapest while also participating in residencies between Rotterdam and Berlin.