NOIES MUSIK
SZENE NRW
Zeitung für neue und experimentelle Musik

reise zum frakzionen festival: musik auf augenhöhe

Aus Noies 01/23 April 2023

In der Rubrik »Reise nach« geht es diesmal nach Bielefeld! Wer einen Tapetenwechsel von den üblichen Festivalstädten braucht, kann im Januar zum FRAKZIONEN Festival in die Zionskirche kommen. Festivalleiter Christof Pülsch versucht seit 2017 Barrieren abzubauen und mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen. Und das alles im kirchlichen Raum.
Irene Kurka beim FRAKZIONEN Festival 2022. Foto: Christian Weische, Bethel
Aus Noies 01/23

frakzionen-festival.de

Seit 2017 findet das Festival FRAKZIONEN jährlich in der Zionskirche statt, im Januar 2023 zum sechsten Mal. Die Zionskirche ist schon seit Jahrzehnten ein bewährter Aufführungsort für zeitgenössische Musik, und Christof Pülsch hat diesen Akzent seit seinem Amtsantritt als Kirchenmusiker 2006 immer stark betont. Und so konnte er bei der ersten Auflage des Festivals bereits auf ein gewachsenes Netz an Musiker:innen aus der Szene, eine gewisse Akzeptanz in der Gemeinde und die Mithilfe engagierter Menschen aus der Gemeinde bauen.

FRAKZIONEN will möglichst barrierefrei den Zugang zu der zeitgenössischen Musik ermöglichen: Das liegt in der Verankerung in der Zionsgemeinde, die Teil der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel ist und prägend für die inhaltliche Ausrichtung des Festivals ist. Es sind nicht in erster Linie die erfahrenen Hörer:innen der Neuen Musik, die die Zielgruppe ausmachen, sondern Menschen, die vielleicht sonst klassische Konzerte oder andere kulturelle oder kirchliche Veranstaltungen besuchen. Es sind Besucher:innen, die neugierig sind, was es abseits der traditionellen Musik zu hören gibt. 

Festivalleiter Christof Pülsch hat sich selbst der zeitgenössischen Musik über einen langen Zeitraum genähert und kann sich daher noch gut an das Gefühl des Befremdens angesichts Neuer Musik erinnern. Er sieht sich mit seinem ehrenamtlichen Helferteam als Mittler zwischen der Musik und den Menschen.  

Voraussetzung bei allem bleibt die Bereitschaft, sich unvoreingenommen dieser fremden und zuweilen auch herausfordernden Musik auszusetzen und mit ihr in einen Dialog zu treten. Nichts anderes sei übrigens gefordert, wenn es um die Auseinandersetzung mit theologischen und existentiellen Fragen gehe, und daher sei auch gerade eine Kirche für die Aufführung dieser Musik prädestiniert, findet Christof Pülsch.

Die Zionskirche ist zudem ein besonderer Ort in einem besonderen Stadtteil Bielefelds: in Bethel. Sie liegt mitten in der Stadt und zugleich dem städtischen Trubel enthoben. Bethel ist ein Ort, an dem man schon lange weiß, dass Menschen und Perspektiven »anders« sein können, als gesellschaftliche Normen es scheinbar zwingend vorzugeben scheinen. Außerdem verfügt die Zionskirche über eine warme, klare Akustik: wie geschaffen für die Wahrnehmung von Klang und Musik.

Alle Konzerte dauern etwa 40 Minuten, die Besetzung wechselt nach jeder Einheit, und Pausen von 20 Minuten dazwischen bieten die Gelegenheit, das Gehörte zu verarbeiten und mit den anderen Besucher:innen und auch den Musiker:innen – es gibt keinen Backstage-Bereich, in dem sie sich verschanzen könnten – darüber ins Gespräch zu kommen. Und gerade diese Begegnungen sind es, die das Festival ausmachen. Eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Besucher:innen und Musiker:innen gleichermaßen wohl und willkommen fühlen: Das ist das erklärte Ziel des Festivals.

Der Eintritt ist zu allen Konzerten frei, um auch hier keine Barriere zu errichten. Ermöglicht wird das durch Spenden der Besucher:innen und die finanzielle Unterstützung u. a. der Bielefelder Hanns-Bisegger-Stiftung und der Kunststiftung NRW.

In der Folge des Festivals haben sich weitere Kooperationen, z. B. mit der Hochschule für Musik Detmold, ergeben bzw. verstärkt, so dass die zeitgenössische Musik ihre Position auch in der Reihe der sonntäglichen Zionskonzerte gestärkt hat und so zu einer Art Alleinstellungsmerkmal der Zionskirche in der Region geworden ist.

Der Organisator des Festivals Christof Pülsch studierte evangelische Kirchenmusik in Detmold sowie Orgel in Piteå (Schweden). Nach Stationen in Säter (Schweden) und im Kirchenkreis Bielefeld ist er seit 2006 Kirchenmusiker in der Zionsgemeinde Bethel in Bielefeld.