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reise zum kaiser wilhelm museum: musikschulen des lebens

Aus Noies 02/23 August 2023

Klangkunst, Pop, Publizistik, Grafikdesign - Elisa Metz sieht keinen Grund, sich zwischen den Disziplinen zu entscheiden. Ein guter Ausgangspunkt, um nach den frühen Spuren des Klangs in der Kunst zu suchen - im Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld. Ein Reisebericht von Verena Hahn.
Foto: Gianna Maier-Quadt
Aus Noies 02/23

Auch 2023 kann man die »Nine Wands« hören und sehen. Kommende Termine erfahrt Ihr am schnellsten über instagram.com/elisametz.de.

Als Elisa Metz und ich an einem Sonntagvormittag am Kölner Hauptbahnhof in den RE7 nach Krefeld steigen, ist es erst das dritte Mal, dass wir uns persönlich treffen. Und doch fühlt es sich an, als würden wir uns schon lange kennen. Bis vor wenigen Wochen begegnete sie mir vor allem in Form ihrer Klanginstallationen, dem Fanzine »grapefruits« oder ihrer Grafikdesignarbeiten. Das ändert sich, als ich Elisa im letzten Oktober mit einem grapefruits-Stand beim Phew-Konzert im Kölner Urania-Theater erwische. Den passenden Artikel über Phew von Theresa Nink aus der zweiten Ausgabe des Zines kann man sich direkt vor Ort von der Musikerin signieren lassen.

Nun sind wir auf dem Weg zur Ausstellung »ON AIR. Der Klang des Materials in der Kunst der 1950er bis 1970er Jahre«, die aktuell bis zum 26. März im Kaiser Wilhelm Museum läuft. Die Ausstellung zeigt Arbeiten größtenteils bildender Künstler wie Jean Tinguely, Bruce Nauman oder Joseph Beuys, die in der frühen zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts im Zuge erweiterter Kunstverständnisse auch Klang als Material verwendeten.

In der Klanginstallation »Rainforest V (Version 2)« von David Tudor & Composers Inside Electronics

Ein Thema für Elisa Metz. Ende letzten Jahres erscheint ihr Album »Glass Wands« – benannt nach ihrem selbstgebauten, räumlichen Instrument aus neun bunten Glasstäben. Bei einem Besuch in der Glaswerkstatt ihres Onkels stellt Elisa fest, dass die Stäbe ein großes Spektrum an Ober- und Untertönen produzieren, wenn sie mit einem Hammer angeschlagen werden. Dafür baut sie gemeinsam mit dem Schreinermeister Hanno Mühlenbach die Arbeit »Nine Wands« – ein begehbares Instrument oder eine Installation, die zum Klingen gebracht wird. Auf ihrem Album setzt Elisa das Instrument nun erstmals ein, um damit Lieder zu komponieren.

Elisa über »Nine Wands«, während wir die interaktive Klanginstallation »Rainforest V (Version 2)« von David Tudor & Composers Inside Electronics ausprobieren.

In einer klingenden Installation finden wir uns auch wieder, als wir die Ausstellung betreten. In der Arbeit »Rainforest V (Version 2)« von David Tudor & Composers Inside Electronics hängen Objekte aus Alltagsgegenständen ähnlich wie Schlingpflanzen oder Fluginsekten von der Decke. Die Geräusche, die sie erzeugen, verschmelzen mit den Klängen der angrenzenden Räume, und ich fühle mich wie in einer Zoohandlung oder einem Tropenhaus. Eine Museumswärterin spricht uns an – aber nicht, um uns auf den Sicherheitsabstand aufmerksam zu machen. Diese Installation darf angefasst werden! Als würde ich die Tritte eines Fötus im Bauch fühlen, lege ich die Hand auf einen kürbisförmigen, vibrierenden Klangkörper und merke, wie selten in Kunstwerken Berührung miteinbezogen wird. Elisa erzählt, dass ihre Klanginstallation bald auch vom Publikum gespielt werden darf. Dass dabei Glasstäbe kaputt gehen können, findet sie nicht schlimm. Denn, wenn die Stäbe zerbrechen, offenbart sich im verbleibenden Rest ein neues Klangspektrum.

Elisa und Verena testen die Klangmaschinen von Jean Tinguely.

Viele der Arbeiten in der Ausstellung stammen aus Kontexten, in denen Grenzen zwischen Kunstdisziplinen in Frage gestellt wurden. Bildhauer:innen publizierten, bezogen den eigenen Körper mit ein oder gründeten Parteien. Auch in Elisas und meinem Umfeld beobachte ich, dass es längst nicht mehr nur die Instrumentalausbildung an der Musikhochschule ist, an welcher musikalisches Arbeiten gelehrt und gelernt wird. Trotz Unterricht in Akkordeon, Gitarre und Gesang während der Schulzeit entschied sich Elisa, an der Köln International School of Design zu studieren. Für ein Seminar mit dem Titel »How To Make A Hit« tritt sie zum ersten Mal mit einem Song auf, den sie mit der Musikerin Stefanie Grawe geschrieben hat. Viele ihrer Kommiliton:innen spielen in Bands oder legen auf. Mir fällt das Klischee ein, dass sich unter Grafikdesigner:innen viele DJs finden. Vielleicht liegt das daran, dass man auf wenigen Oberflächen so viel gestalterische Freiheit hat wie auf dem Cover einer Schallplatte. Oder an der engen Beziehung zwischen dem Hören und dem Teilen von Musik. Die Geschichte des Fanzines ist auch ein Stück Designgeschichte.

Die Marktausrichtung vieler Designschulen bietet vielleicht nicht immer die beste Atmosphäre, um künstlerische Positionen zu vertiefen. Aber an Designunis wird man gefordert, sich neue Fähigkeiten selbst anzueignen und die eigene Arbeit in die Öffentlichkeit zu stellen. Ähnlich viel Freiraum, aber dafür mit gründlicherer Vertiefung, findet Elisa im Masterstudiengang »Klang und Realität«. Der ist zwar an der Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule und damit an einer Musikuniversität angesiedelt. Aber der Positionierung des Studiengangs nach ist musikalische Praxis nicht unbedingt daran gebunden, ein Instrument zu spielen, sondern kann Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Forschungspraktiken und künstlerischen Ausdrucksmitteln sein. 

Im Seminar bei Prof. Heike Sperling publiziert Elisa gemeinsam mit der Klangkünstlerin und Architektin Nathalie Brum die erste Ausgabe von grapefruits. Kurz zuvor besucht sie den Workshop »Remix Regendered«, in welchem die Musikproduzentinnen Angelika Lepper und Maya Consuelo Sternel Techniken der elektronischen Musik an Frauen vermitteln. In einem theoretischen Teil geben sie einen Einblick in die Geschichte weiblichen Musikproduzierens, und stellen Pionierinnen wie Daphne Oram und Annea Lockwood vor – Klangkünstlerinnen, von denen Elisa bis dahin noch nie gehört hat. Dass trotz zahlreicher Retrospektiven weiblicher Klangkünstlerinnen noch viel Bildungsarbeit nötig ist, zeigt leider auch »ON AIR«. Wer abseits des Sonderprogramms durch die Ausstellung streift, gewinnt den Eindruck, dass sich zwischen den 1950er und 70er Jahren ausschließlich Männer für Klang als Material interessierten. Das grapefruits-Fanzine korrigiert diesen Eindruck und stellt die Arbeit zeitgenössischer wie historischer Komponistinnen vor. 

Seit der ersten Ausgabe ist das Redaktionsteam um viele weitere Autorinnen gewachsen. Trotzdem lesen vor allem Männer die grapefruits. Elisa vermutet, dass sich eine Leserinnenschaft weiblicher Musiknerds noch in der Entwicklung befindet, werden doch Musikforen und Plattenläden vor allem von männlichen Fans frequentiert. In Workshops laden die grapefruits dazu ein, sich damit auseinanderzusetzen, was und wie man hört – ohne den Druck, sich über Geschmack profilieren zu müssen. Sollte die Sphäre der Musiknerds bislang noch eine eher männlich besuchte sein – Projekte wie grapefruits oder weibliche DJ-Kollektive machen Hoffnung, dass sich das in Zukunft ändert.

Elisa Metz performt »Nine Wands« im Museum Kunstpalast

Elisa Metz ist Klangkünstlerin, Herausgeberin des grapefruit Fanzines und Art Director in Köln. Sie schloss ihren Master in »Klang und Realität« an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf ab. Kürzlich erschien ihr Album »Glass Wands« sowie das Debütalbum ihres Popprojekts Henry Lee.