Von Verena Barié
Inmitten von Wuppertals kultureller Vielfalt ist der ORT ein herausragender Treffpunkt für Liebhaber:innen improvisierter und experimenteller Musik. Die Wohnstube des im Jahr 2002 verstorbenen Kontrabassisten Peter Kowald, einem Star der improvisierten Musik, wird seither von engagierten Vereinsmitgliedern und einem aktiven Musiker:innen-Vorstand betrieben. Regelmäßige Konzerte mit improvisierter Musik waren der Ausgangspunkt. Mittlerweile sind vier Reihen etabliert, die verschiedene Aspekte der Musikszene abdecken: von Jazz bis zur NRW-weit reisenden Reihe SOUNDTRIPS mit frei improvisierter Musik sowie zeitgenössischer Kammermusik. Mit der von Ute Völker etablierten Reihe all female, die ausschließlich Frauen in der Musikszene auf die Bühne bringt, bietet der ORT eine breite Palette an Veranstaltungen für Genießer:innen aller Musikarten.
Am Anfang wurden Veranstaltungen ähnlich wie von Kowald selbst organisiert: Ein interessanter Künstler oder Künstlerin kam nach oder in die Nähe von Wuppertal, woraufhin recht spontan ein Konzert annonciert wurde, meist auf Spendenbasis. Die Gesellschaft hat sich bald professionalisiert, mit einer gesetzten Aufwandsentschädigung für jeden Auftretenden. Im Zuge von Corona entschieden sich die Kurator:innen, die Konzerte in Reihen aufzuteilen, um einen klaren Überblick zu erhalten, was ihren ORT ausmacht. So entstand auch die Reihe all female. Der Gründungsgedanke kam beim FUTURE NOW Festival in Wuppertal auf, welches von Ute Völker mit Gunda Gottschalk ins Leben gerufen wurde. Völker und Gottschalk erkannten die Wichtigkeit, eine Anzahl von Konzerten zu implementieren, wo Musik von Frauen gefeiert und durchgängig abgebildet wird. Dabei ist all female spartenoffen. Wichtig ist, dass es Kunst von Frauen ist, weil diese immer noch (egal wo) hinten ansteht. »Mein größter Wunsch ist es, dass Gleichberechtigung in der Musikszene zur Normalität wird«, sagt Ute Völker. »Bis dahin werden wir hart daran arbeiten, eine vielfältige und inklusive Umgebung für alle Künstlerinnen und Künstler zu schaffen. Erst wenn nicht mehr plakativ all female drauf stehen muss, können wir weitergehen.« Dieser Fokus hat auch bewirkt, dass die Kolleg:innen der anderen ORT-Reihen mehr auf ihren Frauenanteil achten. Die Hoffnung ist, dass durch eine Plakatierung wie all female sich mehr Frauen trauen, dem ORT, aber auch überall, wo Musik spielt, mit Konzertanfragen gegenüberzutreten. Denn mehr Künstlerinnen müssen gehört werden können.
Die Reihe soll weiterhin ausgeglichen mit internationalen und lokalen Künstlerinnen gefüllt werden. Ute Völker ist ohne Restriktion neugierig auf die unterschiedlichen Angebote. Dabei ist es wichtig, den ORT zu öffnen für jede Person, die sich als Frau liest. Bei der Aufsplittung der Reihen habe sich das Publikum nicht teilen müssen, meint die Kuratorin. Die interessierte und experimentierfreudige Zuhörer:innenschaft scheint keinen Unterschied zu machen zwischen SOUNDTRIPS und all female zum Beispiel. Denn Spielfreude und Neugierde sind bei jeder ORT-Veranstaltung zu Hause.
Der ORT ist jedoch nicht nur ein Raum für Musik, sondern auch einer des Engagements. Durch das aktive Vereinsleben und die Unterstützung von Mitgliedern und Sponsoren kann der ORT seine Türen offen halten und Künstler:innen eine Bühne bieten. Trotz der Herausforderungen, die die aktuellen Kürzungen im Kulturbereich mit sich bringen, leistet der ORT seinen Beitrag zur kulturellen Vielfalt in der Stadt und in NRW. Mit einer klaren Verpflichtung zur Aufwandsentschädigung und zur Unterstützung von Künstler:innen, einschließlich Hotelübernachtungen für auswärtige Gäste, setzt der ORT Maßstäbe für Gleichberechtigung und Fairness im Rahmen der improvisierten Musik-Clubs. Aber ORT bleibt klar ein Mitgliederverein, mit viel ehrenamtlicher Unterstützung bei Veranstaltungen oder im Bereich der Werbung. Nur dank dauerhafter Finanzierung durch die Mitgliedsbeiträge kann die Miete bezahlt werden. Gerade jetzt in Zeiten der Kürzungen im Kulturetat ist auch der ORT besonders auf seine Mitglieder und weitere Sponsoren angewiesen. Die experimentelle Musikszene in Wuppertal mag nicht so groß sein wie anderswo, aber die Peter Kowald Gesellschaft ist entschlossen, Raum für Kreativität und Innovation zu schaffen.
Der Verein ist in seinem 20-jährigen Wirken gealtert. Auch Bewerbungen oder Anfragen per Mail, vor allem für die Reihe all female, erhält Völker erstaunlicherweise wenig. Und es bewerben sich generell nicht viele Frauen im ORT, ihren Recherchen zufolge. »Das muss man einfach sagen. Ich habe letztens mal alle Bewerbungsschreiben durchgesehen und es haben sich zu 100 % nur Männer-Quartetts oder Trios gemeldet. Ja, vielleicht mal ein Quartett, wo eine Frau dabei ist.«
Wenn man über die Zukunft nachdenke, seien gerade finanzielle Sorgen im Verein am lautesten. Aber auf die Frage, ob Völker bei einem Neuanfang wieder den ORT und all female wählen würde, ist ihre Haltung eindeutig: »Ich würde es wieder so machen, ja. Vielleicht nicht mit diesem Namen, aber ich würde darauf Wert legen, dass in jedem Konzertbetrieb ein gleicher Anteil an Frauen gefördert wird. Eine Quote ist meiner Meinung nach sinnvoll, jetzt.« Die Frage ist nicht, ob es nötig ist, Frauen durch spezielle Programme zu fördern, sondern wann es nicht mehr nötig sein wird. Das Bestehen von ORT ist jedoch gerade sehr unsicher. So Völker: »Ich beobachte, wie der Kulturmarkt gerade einbricht. Wir und andere haben noch nie so viele Absagen bekommen wie dieses Jahr. Dieser angebliche Fokus der Förderer auf den ländlichen Raum ist interessant. Aber dann kriegst du einmal die finanzielle Unterstützung – und im nächsten Jahr nicht mehr. Es fehlt strukturelle Förderung, und das betrifft nicht nur uns hier, sondern den gesamten freien Kulturbetrieb.«
Der ORT bleibt ein Ort des Wandels, ein Ort der Experimente und vor allem ein Ort der Musik. Gerne auch für Unterstützende, die auf der Webseite der Peter Kowald Gesellschaft / ort e.V. einen Link zum Spenden finden können.
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Ute Völker ist Akkordeonistin und Kuratorin von ALL FEMALE im ORT in der Luisenstraße 116 in Wuppertal. Seit 2002 stellt sich der rund 100 Mitglieder starke Verein der Herausforderung, hier im Sinne von Peter Kowald ein organisch-künstlerisch-musikalisches Gebilde weiterzuführen.