Wieso dann mit winzigen Hämmerchen ohn‘ Unterlass vermutete schweinsfarbene Steinfrüchte nach irgendeinem in hysterischer Selbstversicherung gesuchten Kern (der Sache [sic!]) malträtieren?
Das Loch im gekränkten Bauch der Subjektivität soll gefüllt werden mit dem behaupteten Kern des Andern. Verwechselt mit der Kunst des Andern.
Und drei Mal sich in versehentlichem Bannfluch versprechend wird mühsam herausgehaspelt:
Authenziti-, Austhentizi-, Authentizität.
Alles raunt, erneut geeinigt auf eine kürzlich erdachte, synthetische Tradition.
Hand und Fuß: angeklebt.
Gemischter Arsch! Was regt es mich auf.
Verliebt bin ich. In die Nicht-Authentizität.
Die nicht als Negation existiert, sondern als Loch, weder bejahbar noch verneinbar. Nicht umarmbar, denn die Umarmung, siehe die Arme, selbst Loch. Ewiger Auftakt. Entzärtelte Möglichkeit. Die zugleich fetischisierte und ewig (und zurecht) postulierte Fluidität aber soll landläufig in dieser Geste einen Abschluss finden. In dümmlicher Feierlichkeit ritualisiert:
Rezeption als Bleigießen, rührseliger Silvesterschwips des Dummherzens.
Widerspruchsfreies, ungefährliches Erleben im hart und geschmacklos gekauten Kaugummi.
Geschluckt werden muss nichts, Bauchweh mag keiner.
Rio Reiser: halt dich fest, halt dich an deiner Zwetschge fest.
Hingegen Pessoa: … und existiere nur, weil jeder Kreis einen Mittelpunkt besitzt.
Der Kern der Sache also Leerstelle, Authentizität einzig als Bewegungsform denkbar, gähnender Möglichkeitsraum, lediglich umschleichbar in panischer Konzentration. Ist aber der Löwe in die Luft beißend einmal durch den brennenden Reifen getrieben worden: versengter Schwanz, anders geworden in einem Augenblick. Zahnweh, herrlich gekränkt.
Ich möchte niemandem in die Unterhose gucken, aus niemandes Tagebuch vorgelesen bekommen. Bitte nein! Wir sind keine Freunde, das Künstler und ich, und so darf es auch gerne bleiben.¹
Der Wunsch nach Authentizität ist Distanzlosigkeit, Anmaßung, Kinderwunsch. Arroganz der scheinbaren Empathie. Die Nähe aber, die die Nicht-Authentizität (fürder NA genannt) ermöglicht, ist die der notwendigen Distanz. Das von der Künstlerin verlassene Kunstwerk, anwesend darin nurmehr als Fantom. Sehr konkretes Fantom, aber gasförmig, neblig, liebevoll als Spur verlassene und hinterlassene Schablone, Schwelle, Durchgangstür; stets nur der Rücken im Abgang sichtbar. Im Gehen begriffen. Die Möglichkeit hineintreten zu dürfen, ohne sich in der mit Unterhosen vollgehängten Wäscheleine der Tatsächlichkeit zu verfangen und zu strangulieren, in diesen konkreten Nebel treten zu dürfen, das ist die Nähe, in die ich
verliebt bin.
Für dieses Erleben brauche ich keine Ehrlichkeit. Denn – ich sage es noch einmal – man findet hier keine Freunde, kein Techtelmechtel. Das Produkt ist die wahrheitslose Ehrlichkeit, nicht die Produzentin.
Ich – Amadeus Magnus Ephraima Täubling – als Maske Tragender, Maske-Seiender
(»welche Maske?« werden sich Einige, darunter auch ich, fragen), bin mir selbst Spur, unter der Maske Jean-Baptiste Réval, verkleidet als mein angeblicher Erschaffer. In diesem unauflösbaren Daumenkino der Vielnasigkeit, in dem Erzählung und Erzähler sich einander herzlich verwechselnd die Hand reichen, ist ein Sprechen möglich und erlaubt, das eine schamlose Nähe zum Material zulässt, eine Reibung, die eine Position gewährt, die sich nicht in persönlicher Meinung erschöpft. Nicht-erlöst. Nicht-identisch², wehrhaft statt wahrhaft. Die Überstürzung, das Stolpern in den dunklen Raum (vgl. Marcus Steinweg), das Schienbeinanhauen in ebenjenem, das zum Ton geformte vielstimmige Aua, das die Musik ist. Unabsichtlich, doch gerichtet. Das Sich-vor-sich-selbst-Hertreiben, prozesshafte Erfahrung, denkendes Schreiben (Kleinlich von Kleinst usw.), kunstvolles, fast olympisches Beinah-Ertrinken, geschundenes Außer-Ich, das ziellos über eine Ziellinie fällt, die weiß Gott wer da plötzlich hingemalt hat. Max Frisch (ich paraphrasiere): es geht nicht darum, eine Geschichte so zu erzählen, wie sie gewesen ist, sondern so, dass das erlebte Gefühl bei XY ankommt. Die Ehrlichkeit der Übertreibung also, verbindliche Lüge.
Die Forderung nach Objektivität in der Subjektivität, identitäre Identifikationsgier, ist strunzdumm. Die Akzeptanz der Nicht-Verschmelzbarkeit mit der begehrten Rotznase ist hingegen weder schlau noch dumm, sondern aufmerksam. Voraussetzung für Auseinander-Setzung, liebevolle Zertrennlichkeit, begehrte Unruhe. Der Wunsch nach Authentizität ist der Wunsch nach Beruhigung, nach Geschmack, nach von der Rotznase ungestörter Projektionserlaubnis: die nichtlaufende Rotznase. (Michael Jackson,
legendär für seine Authentizität, King of Rotz usf.)
Ich liebe deine Kunst, nun gut; ich liebe deine Kunst, denn du bist deine Kunst, musst deine Kunst sein, damit ich sie lieben kann; autoaggressives Betasten der eigenen Leere. Überdruss.
Nekrophilie, insofern als der Künstler im Kunstwerk gestorben ist, nicht darin weiterlebt, zum Glück; wie viele von diesen bescheuerten Leben soll man denn noch ertragen?³
Jean-Baptiste Réval: ich begehe jeden Tag Selbstmord, jeden Tag, wenn wir uns morgen sehen, werde ich ein Anderer sein.⁴
Das Kunstwerk begatten, wenn es denn sein muss, aber den Künstler darin nicht. Keine Perversionsschelte, aber Contenance, bitte.
Liebe: ich möchte nicht dein Gesicht sehen, ich möchte all deine Masken sehen. Utopie selbstverständlich auch hier. Allein hehrer Versuch der Abzählbarkeit der Sterne mit z.B. der Zahl 9 zu drohen. Mille-feuille der gottlosen Seele. Krachend beiß in mich hinein, bin nicht hier, muss hier nicht sein. Luft ist die geheime Zutat.
Die NA ist das größte Geschenk, das im Tun der Schaffenden geleistet werden kann:
ich verlasse den Raum, den ich geschaffen habe, und man darf ihn bewohnen, verunstalten mit dem eigenen Ich, unbeobachtet vom Künstler, will meinen, unbeobachtet von einer konkreten also gewünschten also falschen Vorstellung des eigenen Selbst. Meine Augen drehen sich nach hinten, fallen wie zwei Murmeln in mich hinein, kling Glöckchen klingelingeling. Danke, schön war’s oder nicht schön!
Und: die Annahme, der Künstler läge tot im Kunstwerk herum, gefällt mir ebenso als Komposthaufen. Keine Hinterlist, keine konkrete Manipulation, eine Vorlist zum Vergehen hin. Eingehen, porös, ich gehe ein, aber im Werk, nicht ins Werk, höchstens als süßer Geruch der Verwesung;⁵ Blume/Distel vllt. später. Die Veränderlichkeit, das gemeinsame Mitwachsen/Schrumpfen des Werks mit mir und vice versa, bedarf der NA als Bodenlosigkeit, als Vertikale, Schraube im Nichts. Durch tausend Treppen stürzend bedeutet jene Tiefe, nach der verlangt wird, nicht der Spaziergang die eine Treppe hinunter. Der Abgrund hat kein Geländer, die Hölle keinen Ofen. Das Verlangen nach Authentizität ist also die Forderung nach der Unerschöpflichkeit der Künstlerin, ausgerechnet mir zugänglich, wie brutal.
Nochmal zum Beäugtwerden; Rilke: da stürzte Gott aus seinem Hinterhalt.
Das Ertapptwerden, die Instanz, das Gericht über die Rezeption: wer will denn das?
Grauenhaft. Der Wunsch nach Führung, Mama Papa, aus scheinbarer Innerlichkeit heraus stilisierte Selbstinfantilisierung.
Wahrhaftigkeit, die: mit Haftkleber notdürftig an einen Misthaufen gepapptes Menschheitstrauma (umgangssprachlich: Bewusstsein, Vernunft), das bei zu starker Sonneneinstrahlung sich auflöst, abrutscht, Schlieren hinterlassend, abschmiert, Schmierenkomödie usw., vgl. „Prometheus am Misthaufen“⁶.
Wir befinden uns auf einer Bühne! Hallo?
Ich schätze dich sehr. Ich schätze dich über, sagt man, während der Bumerang einem ans Hirn knallt.
Überschätzung, die: scheinbar große Wertschätzung (einer Symphonie, Groschenromans o.ä.), Aufessen des Überschätzten, Verdauung, Verwechseln der eigenen Scheiße mit der Essenz des Überschatzes statt Auseinandersetzung mit besagter Scheiße usw. Wer würde denn seinen Geliebten Überschatz nennen? Nietzsche vllt. Faschistoides sich in den andern Hineinlieben, Lassoliebe, heraus mit dir aus dir, mach Platz da. Zurück in die Neu-Mutter sich zwängend. Aggressiver Applaus, großbäuerlich. Der Künstler möge sich zeigen bei der letzten Zugabe, der einen zu viel, Besitzanspruch, Zerstörungswunsch. Erniedrigung in die Fassbarkeit. Am Material vorbei, tragisch. Dabei wäre so viel zu holen gewesen.
Rilke fasst besagte Unsitte zusammen in den letzten Zeilen seines mir gewidmeten Gedichts »Menschen bei Nacht«:
An ihren Händen hängt die Schwere Gebärde,
Mit der sie sich bei ihren Gesprächen verstehen;
Und dabei sagen sie: Ich und Ich
Und meinen: Irgendwen.
Darum: die notwendige Flucht nach { }. Pessoas Heteronyme usf. Masken mit eigener Biographie. Die Akzeptanz der befreienden Kränkung. Scharlatan statt Untertan. Metapher der Geigensaiten. Unvereinbares zu einem Akkord – konsonante Dissonanz und vice versa – zusammengefasst, zusammengezogen, Bezug, Bogenführung. Durch Schwingung, also Trennung und Reibung aber erst wahrnehmbar, final unverschmolzen, existenzieller Zwischenraum usf. Ich bin ein Bogen, das ist all mein Sein, eine Hand hat eh keiner, ich bin ungehalten, Suche aufgebend, in Ohr mich verwandelnd.
Statt authentisch zu werden, ließe ich mich lieber vom Blitz zerschlagen: dann hätte die gelbe Pisspfütze der Subjektivität endlich ein Gesicht: nämlich keines mehr!
Denn: in der und zu der Nicht-Authentizität bleibt mein Erleben wach, meine Sprache verändert sich mit meinem Gegenüber (Mensch oder Werk oder Material), der Code ist nicht fix, nie, nichts ist selbstverständlich. Nähe scheint möglich, aber bleibt momentan. Herrlich anstrengend. Geschmack ist Arbeit.
Dagegen die Synonymisierung des angeblichen Kerns der Sache mit dem angeblichen Kern der Produzentin also mit meinem angeblichen Kern, Halbschlafpanik: Hände hoch! Behäbigkeit und fauler Rausch respektive nicht-nüchterner Rausch, statt konzentrierter Überstürzung. Keine dunkelnde Spannung der Schemen, sondern ein rührseliges Funzellicht in derselben, mit feuchten Fingerchen betatschend die vorgefasste Vermutung des Erlebnis-Wunsches (Spaß ohne Freude), die ich mir gegenübersitzend wähne, vermute; vermutigt, ängstlich also, dabei potenziell immer enttäuscht, ohne aber bereit zu sein, jene Enttäuschung als einzige Form der Nähe anzuerkennen. Versicherung statt Schwindel.
Schwindeln. Mir schwindelt. Kunst soll mich anschwindeln, in diesem Sinne: ja! JA!
Ich habe genug.⁷
Herr Ober, ein Soda Zitron.
Abgehend winke ich mit fünfhundert Händen Lebewohl, mit der Spaltzunge an den Gefängnisstäben schleckend. Henkersmahlzeit für Genießerschweine⁸.
In freudiger Hoffnungslosigkeit aber verbleibe ich allhier, in aktiver Nah-Verlassung, romantisch natürlich.
Denn: wer die Romantik aufgibt, liebt die Liebe.
Ich liebe einzig den Versuch.
Ihr, sich Ihnen nicht ergebender,
A.M.E. Täubling
1 Réval, Jean-Baptiste: Tagebucheintrag vom 21.09.1750, S.1f.
2 Papachristos, Laura Eftychia: Der Pulpo in der Psychoanalyse, Tellaro Verlag, 2022, S.302.
3 NA hier bitte missverstehen als Nekrophile Anonymiker.
4 Réval, Jean-Baptiste: Täubling Album #2, ca. 2027, Track 5.
5 »Champagner muss immer auch etwas muffig schmecken«, sagte die kleine Kuh.
6 Katzling, Samuel: Prometheus am Misthaufen, Trisselwand Verlag, 1346.
7 Bach, Johann Sebastian, Kantate zu Mariä Reinigung, BWV 82, 1727.
8 M. Kaggwa u. K. Kummer: Genealogie des anthropomorphen Arschlochs, Wasbringtdertag Verlag, 1998, S.117
This article is brought to you as part of the EM GUIDE project – an initiative dedicated to empowering independent music magazines and strengthen the underground music scene in Europe. Read more about the project at emgui.de
Funded by the European Union. Views and opinions expressed are however those of the author(s) only and do not necessarily reflect those of the European Union or the European Education and Culture Executive Agency (EACEA). Neither the European Union nor EACEA can be held responsible for them.
Herr Täubling (Mit vollem Namen: Amadeus Magnus Ephraima Täubling). Akademischer Grad: Prof. für Angewandte Misanthropie. Genre: Touretterap. Begründer der Strömung des Radikalen Misanthropismus. Besondere Merkmale: gepflegtes äußeres Erscheinungsbild. Berühmte Zitate: »DU PENNER!!!«