Ferdinand Kriwet
Pause (Hörtext XIII)
1977
Kriwet arbeitet sich an der Thematik der Pause ab, macht sie in unterschiedlichen Formen hörbar und schafft so ein Panorama der Unterbrechung. Ein heißer Kandidat für eine Neuauflage auf CD, falls wir uns mit Spoken Matter dazu entschließen sollten, historische Arbeiten mit ins Programm zu nehmen.
Anne-James Chaton
Événements 09 (CD)
2011
Diese turbulent obsessiven Tracks aus geloopten Namen und Slogans (“Pina Bausch” oder “Pop is dead”) und einer zusätzlichen, simultan ablaufenden Spur aus rasant runtergeratterten Textflächen, in denen Alltäglichstes – U-Bahnfahrkarten, Börsenkurse, Einkaufszettel – zu literarischem Material wird, ist die gelungene Verbindung aus konkreter Poesie und Techno. Sollte von allen DJs, die etwas auf sich halten, hin und wieder mal in ein einen Clubmix eingebaut werden.
Tracie Morris
Handholding with Schwitters: Resonatæ 01
(Buch mit DL Code / Bandcamp)
2016
Hier entstehen auf simple aber erschlagende Weise Hommagen an Koryphäen, in diesem Fall der Lautpoesie. Als eine Art dialogische Aktivierung historischer Arbeiten reagiert Morris vokalakrobatisch und quasi in Echtzeit auf Passagen aus Schwitters‘ Ursonate und bleibt trotz aller technologischer Möglichkeiten, die uns heute zur Verfügung stehen, produktionsästhetisch bei einer entwaffnenden Einfachheit.
Sue Tompkins
Raid/Turnover (7” Vinyl)
2016
Tompkins ist eine im direkten Wortsinne sportliche Performerin: Wir hören ihre stetigen Bewegungen, die sie bei ihrer ganz eigenen Variante von Sprechgesang vollführt, fast durch die Platte hindurch – die Bewegungen scheinen das Gesprochene förmlich zu strukturieren. “Weitermachen” (Tim Abramczyk R.I.P.)
Jörg Piringer
One Each (10” Vinyl)
2021
Diese Platte überschreitet Grenzen: 1. die der Autorschaft (die Stücke wurden von Algorithmen komponiert); 2. die der menschlichen Stimme (synthetische Stimmen ‘performen’ jenseits der Einschränkungen der menschlichen Stimme — etwa mit sturen Wiederholungen länger als jeder menschliche Atem); und 3. die der Duplikationslogik von Tonträgern (keine zwei Platten klingen gleich!). Nicht zuletzt macht es einfach einen Heidenspaß, diesen dichten, rhythmisch pulsierenden Stücken zuzuhören.
DJ Q-Bert
Toasted Marshmellow Breaks (12” Vinyl)
1995
Auf dieser Platte – ein DJ-Tool des wohl besten Turntablisten jemals – wechseln sich Schreie von Soulsängern mit Geräuschen aus Kung-Fu-Filmen, Hiphop-Ansagen und Breakbeats ab. Eigentlich nicht dazu gedacht, in einem Stück gehört, sondern gescratcht zu werden, hat gerade dieser Klassiker einen eigenen Rhythmus jenseits des Gebrauchswerts. Wer verstehen will, was konkrete Poesie für Sampling bedeuten könnte, wird von der Virtuosität dieser Platte akustisch an die Wand gespielt.
Robert Barry
Otherwise (12” Vinyl)
1981
Auf Otherwise finden sich einzelne Wörter und Phrasen mit großen Abständen aneinandergereiht. Dabei entsteht ein fantastisches konzeptuelles Stück, das in einem sehr direkten Sinn seine Umgebung und die Zuhörenden mit einbezieht. Die Lücken zwischen den Wörtern sind so groß, dass es kaum möglich ist, sie zu einem Text zu verbinden. Stattdessen kommen und gehen die Wörter und werden von uns, dem Raum, den Geräuschen der Umgebung, den Gedanken gefüllt. Wir ritzen uns bei jedem Hören mit in diese Platte, nehmen auf, lagern ab … atmen.
Ian Hatcher
Drone Pilot (7” Vinyl)
2017
Ian Hatcher hat seine Stimme darauf trainiert, wie eine leicht in die Jahre gekommene, synthetische Computerstimme zu klingen – mit all ihrer faktischen Kälte und glitchigen Nostalgie. In Drone Pilot treibt er diese Fertigkeit auch inhaltlich auf die Spitze. In zwei Stücken, die von technologischen Kontrollapparaten handeln, changiert der Klang seiner Stimme ohne technische Hilfsmittel zwischen Mensch und Maschine, bis das postdigitale Reenactment so uncanny wird, dass das Zuhören von Faszination in blankes Entsetzen zu kippen droht.
Aram Saroyan
Crickets (Endlosrille auf 12” Vinyl)
1975
Saroyan, ein Meister der Minimal Poetry, ist in kaum einem Text so konsequent wie “Crickets“. Das mehrfach wiederholte Wort erzeugt lautmalerisch das Geräusch, das es bezeichnet, und steht zugleich für die Relation von Dichter*in, poetischer Sprache und Welt. Auf der Compilation 10+2: 12 American Text Sound Pieces wird das Stück konzeptuell auf die Spitze getrieben: Hier spricht der Dichter das Wort nur ein einziges Mal, gepresst in die Endlosrille der Schallplatte. In einem endlosen Loop überlagert sich das gesprochene Zirpen der Grillen mit dem Knacken der Platte und wird zum perfekt auf das Material zurückbezogenen minimal-poetischen Exzess.
Lily Greenham
Do you wonder about this society
1971
Greenham dekostruiert Slogans rund um die politischen Zuschreibungen “rechts“ und “links“. Keine verbale Hufeisentheorie – vielmehr stellt sie ebenso witzig wie analytisch genau aus, wie wirkmächtig und zugleich absurd diese Zuschreibungen sind. Bis die Unterscheidung (left, right, left, right, left, right…) schließlich selbst zum Stechschritt wird. Sound Poetry als sprachanalytisches Tool im besten Sinne!
Andreas Bülhoff ist Autor und Verleger. Er forscht künstlerisch und wissenschaftlich zu Text und Technologien. Marc Matter arbeitet künstlerisch und forschend im weiten Feld zwischen Sound und Sprache. Er ist außerdem in zahlreichen musikalischen Projekten aktiv, u.a. Institut für Feinmotorik, The Durian Brothers, sowie auch solo.